(Un-)Heimliche Innovationsriesen
Man nennt sie Leitbetriebe, „Hidden Champions” - neuerdings auch „Frontrunner” - und je nach Definition und Untersuchungsdesign gibt es davon in Österreich knapp über hundert bis mehrere hundert Unternehmen. Was die solcherart beschriebenen Firmen eint, ist die Marktführerschaft in ihren selbst geschaffenen oder bewusst ausgesuchten Nischen und ihre immense Innovationskraft.
Das Phänomen der versteckten Marktführer hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Interesse der Fachwelt, aber auch von Medien und Öffentlichkeit geweckt. Mehrere Studien haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihr Geheimnis zu entschlüsseln.
Georg Jungwirth von der Fachhochschule Campus 02 in Graz beschäftigt sich schon seit 2006 wissenschaftlich mit dem Thema Hidden Champions. Als solche gelten Unternehmen, die auf dem Weltmarkt auf den ersten drei Plätzen sind oder zumindest die Marktführerschaft in Europa innehaben. Ihre Kunden sind in der Regel Unternehmen im Ausland, weshalb sie in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Je nach Definition liegt ihr Jahresumsatz unter einer gewissen Höchstgrenze, in Österreich sind das bei Jungwirth beispielsweise 300 Mio. Euro.
Gewachsene Champions
Generell hat der Begründer des Begriffs, der deutsche Unternehmensberater und Wirtschaftsprofessor Hermann Simon, die Grenze international mittlerweile von ursprünglich drei auf fünf Mrd. Euro angehoben. „Wir tragen damit dem Wachstum dieser Firmen seit 2005 Rechnung. Viele Firmen, die typische Hidden-Champions-Merkmale aufweisen, sind inzwischen in diese Größenordnung hineingewachsen”, schreibt Simon in seinem aktuellen Buch „Hidden Champions - Aufbruch nach Globalia”. Jungwirth und Kollegen haben in Österreich bisher an die 200 solcher Unternehmen ausfindig machen können. Dabei kristallisieren sich „einige, wenige Aspekte heraus, wo sie sich deutlich von anderen Firmen unterscheiden, die nicht in dieser Welt- oder Europamarktführer- Position sind“. Die Unternehmensgröße sei oft nicht entscheidend. Jungwirth: „Es gibt auch Weltmarktführer, die nur 25 Mitarbeiter haben.“
Überdurchschnittliche F&E-Ausgaben
Gemeinsam ist ihnen, dass sie punkto Produktqualität ihren Mitbewerbern offenbar überlegen sind. Das hänge natürlich stark mit den Innovationen zusammen. Bei einer Befragung der Kunden sei auch genau das herausgekommen. „Das hat seine Ursache in absolut überdurchschnittlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E)“, betont Jungwirth gegenüber APA-Science. In einer aktuellen Studie im Auftrag des Fachverbands der Maschinen und Metallwaren Industrie (FMMI) kam der Forscher auf durchschnittlich acht Prozent. Spitzenreiter meldeten, sogar um die 25 Prozent ihres Umsatzes in F&E zu investieren. Da könnten auch innovative und forschungsaktive Großkonzerne nicht mithalten. Auch bei den oft als Innovationsindikator herangezogenen „Patenten pro einhundert Mitarbeitern” kommen die heimischen „unsichtbaren Gewinner“ auf „außerordentliche Werte jenseits von 20“.
Der technologische Vorsprung durch die hohen Investitionen bringt entsprechend mit sich, dass diese Firmen am Weltmarkt auch bessere Preise für ihre Produkte erzielen können. Das Ergebnis davon sei wiederum „eine sehr gute Gewinnsituation“. Entsprechend gute Werte fanden die Wissenschafter auch in Bezug auf andere wirtschaftliche Kennzahlen, wie der Eigenkapitalquote. „In der Regel sind diese Unternehmen betriebswirtschaftlich hervorragend aufgestellt“, so Jungwirth.
Vier Studien in einem
Einen umfassenden Forschungsansatz verfolgt auch die neue Studie „Hidden Champions Wirtschaftskammer Wien“, die auf der Auswertung von 115.000 Bilanzdaten, 710 quantitativ befragten Unternehmen sowie 18 Fallstudien mit Wiener Exzellenz- Unternehmen (RHI, Donau Chemie, EVVA, Hoerbiger etc.) beruht. Inklusive der Sichtung der einschlägigen Literatur seien das „quasi vier Studien in einem”, erklärt Peter Haric, Geschäftsführer von Leitbetriebe Austria, im Gespräch mit APA-Science. Die Ergebnisse der Studie sind Mitte Juli in Form eines Handbuchs und einer eigenen Webseite erschienen. Bisherige Untersuchungen, die sich der „heimlichen Gewinner” annehmen, wie Haric sie nennt, würden sich in den verwendeten Begrifflichkeiten oft nur oberflächlich betrachtet unterscheiden. „Was bei McKinsey ,Kompetenzführer‘ genannt wird, ist bei Hermann Simon der ,Spezialisierer‘. Beide meinen aber dasselbe, nämlich einen engen thematischen Fokus und eine tiefe Wertschöpfungskette”, versichert Haric.
Drei Entwicklungspfade
Demnach gibt es drei Entwicklungspfade, die die „unbekannten” Marktführer einschlagen: Spezialisierung, Premium-(Preis-)Strategie und Segmentierung. Vereinfacht gesagt bedeute dies, dass man sich eine Marktnische sucht, in der man die Kernkompetenzen immer weiter ausbaut, die Preise auf hohem Niveau kontrolliert und sich dann die Marktsegmente sehr präzise wählt, in denen man tätig sein will. „Hidden Champions sind immer im Hochpreissegment unterwegs”, erklärt Haric. Daher komme auch das Geld für das eigenfinanzierte Wachstum. Denn diese Unternehmen würden nicht kreditfinanziert, sondern immer aus Eigenmitteln wachsen, „und zwar in der Form, dass man es sich leisten kann”.
Frei gewordene Ressourcen werden umgehend für Wachstumsinitiativen eingesetzt. Daraus entstehen dann häufig zwar keine Durchbruchsinnovationen, aber immer wieder neue Verbesserungen: zum Beispiel neue Vertriebsstrukturen, ein neuer Marketingansatz oder ein Produkt, das sich aus den bereits bestehenden Produkten zusammensetzt. „Das ist die sogenannte weiche Diversifizierung. Die Innovation geschieht schrittweise und nicht durchbruchsartig”, so Haric.
Ambitionierte Ziele als Programm
Im Strategieprozess unterscheiden sich Hidden Champions „ganz klar und signifikant” von anderen Unternehmen. „Ganz wichtig ist interessanterweise, dass die Ziele immer sehr ambitioniert sind”, sagt Haric. Das könne auch eine angepeilte Wachstumsrate von 20 bis 30 Prozent bedeuten – ein reichlich hoch gegriffener Wert, den wohl kein Management- Standardwerk vorschlagen würde.
Dahinter stecke aber Kalkül: „In dem Moment, wo solche abnormen Ziele gesetzt werden, fangen die Leute an darüber nachzudenken, welche Schritte denn eigentlich dazu führen könnten. Man denkt plötzlich das Undenkbare.” Dadurch entstehe auf Dauer eine Kultur, in der man sich immer mehr zutraut: „Das ist dann diese ganz spezifische Innovationskultur.”
Zukunftsbranchen für Hidden Champions
Maschinenbauer, Autozulieferer, Metallwarenhersteller: Es sind die klassischen Industriebranchen, in denen das Gros der Hidden Champions zuhause ist. Das wird sich auch in Zukunft nicht wesentlich ändern, ist sich Thomas Haller von der Managementberatung Simon-Kucher & Partners sicher: „Industrienahe Branchen werden auch weiterhin das Hauptbetätigungsfeld von österreichischen Hidden Champions sein.” Die geografische Nähe zu Deutschland und die starke wirtschaftliche Verbindung der beiden Länder spiele dabei in der Kernkompetenz der heimischen Marktführer eine große Rolle.
Nichtsdestotrotz gebe es natürlich auch Zukunftsbranchen, in denen österreichische Spezialisten bereits eine führende Rolle einnehmen. Im Bereich Biotechnologie sei die Firma Biomin (Futtermittelzusätze) weltweit in einer Spitzenposition, bei Biopharmazie gelte Valneva (vormals Intercell AG) als führendes Unternehmen für Impfstoffe und Antikörper. „International betrachtet geben in diesen beiden Zukunftsbranchen aber derzeit noch die USA, die über eine wesentlich liberalere Forschungs-Gesetzgebung verfügen, den Ton an.”
Tipps für Jungunternehmer
Wer sich eine Unternehmensgründung überlegt und sich dabei erfolgreiche Strategien zum Vorbild nehmen möchte, sollte sich keinen vorschnellen Illusionen hingeben, warnt der Experte: „Hidden Champion zu sein kann man nicht erlernen, den Titel und Erfolg muss man sich lange und hart erarbeiten. Jungunternehmen können jedoch sehr wohl einige wichtige Themen im Entwicklungsprozess berücksichtigen. So zeichnen sich Hidden Champions allgemein durch schlanke Organisationsstrukturen aus und vertrauen hauptsächlich auf eine Einprodukt-Strategie, die sie mit einer einheitlichen Marke betreuen.”
Auch Georg Jungwirth rät Unternehmen, „die schon den Kern eines Hidden Champions in sich tragen“, ihren Fokus nicht zu verlieren, um zum großen Weltmarkt-Player in einer kleinen Nische werden zu können. „Wenn sie ihrer Linie treu bleiben, nicht ihr Sortiment verbreitern, in jeder Preis- und Qualitätskategorie noch etwas anbieten wollen – sozusagen ‚Everybody‘s darling‘ spielen wollen – und nicht jeder Wachstumsversuchung erliegen, besteht die Chance, dass sie eine international relevante Rolle spielen können.“ Ab dem Punkt, wo ein Unternehmen die Top Ten erreicht, sei zudem oft zu beobachten, dass der Ehrgeiz wächst, zu den Weltmarktführern aufzuschließen oder sie zu überholen.
Von Nikolaus Täuber und Mario Wasserfaller / APA-Science