Daten statt Spaten
Am gewohnten Bild einer archäologischen Fundstätte mit einer abgesteckten Grundfläche und mit Spaten und Pinseln bewaffneten Archäologen und ihren Helfern, die im Schweiße ihres Angesichts Tonscherben und Mauerreste freilegen, wird sich so schnell nichts ändern. Das liegt in der Natur dieser Wissenschaft, die von Sedimenten und Vegetation verschütteten kulturellen Schätzen auf der Spur ist, um sie für die Nachwelt zu erhalten und sie in einen größeren historischen Kontext einzuordnen.
Die Entscheidung darüber, wie viel und ob überhaupt gegraben werden muss, ist heute aber dank der ständigen Entwicklung von Hightech-Sensoren und der virtuellen Interpretation der so gewonnenen Daten beträchtlich einfacher geworden als zu Zeiten der "klassischen" Feldarchäologie. Wo früher in mühevoller Handarbeit große Flächen umgeackert werden mussten, um beispielsweise den Gesamtplan einer römischen Stadt zu rekonstruieren, bleibt der Boden heute weitgehend unberührt. Stattdessen fährt ein Quad - oder im Falle winterlicher Bedingungen ein Skidoo - wie ein Rasenmäher über eine Fläche und zieht dabei einen Anhänger mit seltsamen Aufbauten hinter sich her. Anschließend verrät auf der vollständig untersuchten Fläche nichts mehr davon, dass hier eine archäologische Vermessung im großen Stil stattgefunden hat.
Valletta-Konvention
Im 1992 revidierten "Europäischen Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes", auch bekannt als Valletta-Konvention, sind zerstörungsfreie Methoden aus der Luft und am Boden vor jeder archäologischen Grabung vorgeschrieben. Als nur eines von drei Ländern des 47 Länder umfassenden Europarates hat Österreich das Abkommen weder unterzeichnet noch ratifiziert.
Auf Anfrage von APA-Science heißt es dazu aus dem Bundeskanzleramt: "Österreich ist Vertragspartei des am 6. Mai 1969 in London unterzeichneten Europäischen Übereinkommens zum Schutz archäologischen Kulturguts, dessen revidierte Fassung die Valetta-Konvention darstellt." Wesentliche Bestimmungen des Übereinkommens seien in der österreichischen Rechtsordnung bereits verankert, so vor allem im "Bundesgesetz betreffend den Schutz von Denkmalen wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen oder sonstigen kulturellen Bedeutung". Mit dem Denkmalschutzgesetz bestehe bereits ein Rechtssystem zum Schutz des archäologischen Erbes, "das insbesondere die Stellung unter Denkmalschutz, eine verpflichtende Fundmeldung und eine Grabungsbewilligung vorsieht".
Der Prozess der Ratifizierung der Valetta-Konvention durch Österreich wurde demnach im vergangenen Jahr gestartet (gemeinsam mit der Vorbereitung der erforderlichen Kündigung der Londoner Konvention von 1969) und die entsprechenden parlamentarischen Unterlagen vorbereitet. Ein entsprechender Vortrag soll laut Bundeskanzleramt im späten Frühjahr im Ministerrat eingebracht werden. Die parlamentarische Behandlung (Nationalrat und Bundesrat) werde dann voraussichtlich im Laufe des Jahres erfolgen.
Revolutionierung der Forschung
Abgesehen vom rechtlichen Rahmen stehen zerstörungsfreie Methoden in der Archäologie hoch im Kurs und haben zu einer Revolutionierung der Forschung geführt. International hervorgetan hat sich auf diesem Gebiet das 2010 gegründete Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro). Grob gesehen kann man die beiden Bereiche luftbildarchäologische Methoden (Remote Sensing) und geophysikalische Prospektion unterscheiden, mit deren ständigen Weiterentwicklung sich die Experten des LBI ArchPro beschäftigen. Die Kombination aller dieser Methoden erlaubt es, archäologische Strukturen wie Mauern bis in eine Tiefe von drei Metern ohne Grabungen sichtbar zu machen.
"Mit diesen Messungen am Boden und aus der Luft transferieren wir die archäologischen Fundstellen bzw. die Landschaft in den virtuellen Raum. Wir bilden all das, was sich im Untergrund befindet, im Computer ab. Wir graben also nicht mit Spaten, sondern mit virtuellen Werkzeugen und kommen zu den gleichen Ergebnissen wie der Archäologe", erklärte der Leiter des LBI ArchPro, Wolfgang Neubauer, im Gespräch mit APA-Science. "Aus der Luft liegt der Schwerpunkt auf Airborne Laser Scanning, Multispektral- bzw. Hyperspektralscanning und im Bereich der Geophysik momentan hauptsächlich im Bereich der Magnetik und des Bodenradars." Resultat ist dann ein umfassender Plan, auf dem zu erkennen ist, wo sich Häuser, ein Stadtgebiet oder Gräberfelder befinden. "Ein Archäologe, der nur gräbt, kann diese Landschaft niemals untersuchen, weil das großflächig einfach nicht machbar ist."
Die Feldarchäologie an sich besteht aus der Prospektion und der Grabung, wobei man unter Prospektion alle Methoden vor der Grabung versteht. Diese sind nicht in den Boden eingreifend, zerstörungsfrei, nicht invasiv. "Dazu gehören eine ganze Reihe von Methoden wie eine erste Feldbegehung, bei der man Fundobjekte aufsammelt und abschätzt, wo man sich Objekte im Untergrund erwartet", so Neubauer. Weitere Aufschlüsse können über die Auswertung historischer Aufzeichnungen und Plänen gewonnen werden.
Aus der Luft...
Die Basis für eingehendere Untersuchungen am Boden wird aber meistens aus der Luft gelegt. Die Luftbildarchäologie, in der Österreich bereits seit den 1930er Jahren eine Tradition hat, basiert auf Senkrecht- und Schrägaufnahmen aus Kleinflugzeugen oder Hubschraubern. Diese werden photogrammetrisch ausgewertet und archäologisch interpretiert. Daten aus der Luft stammen von Partnern wie dem in Wiener Neustadt ansässigen Unternehmen Airborne Technologies oder aber auch vom Österreichischen Bundesheer.
Fernerkundungsverfahren wie das flugzeuggetragene Laser-Scanning (ALS) unter Einsatz von sogenannten Full-Waveform-Scannern und mithilfe des hyperspektralen Scannings - auch Airborne Imaging Spectroscopy AIS genannt - erlauben es, die Erdoberfläche in kurzer Zeit zu vermessen. Ergebnis der Messdaten sind digitale Geländemodelle, in denen sich alle in der Topographie noch erhaltenen Strukturen erkennen lassen. Durch eine Weiterentwicklung des ALS-Verfahrens, das die Vegetation wegfiltert, lassen sich nun auch in bewaldeten Gebieten archäologische Strukturen finden.
...und am Boden...
Unter den Begriff geophysikalische Prospektionsmethoden fallen eine ganze Reihe von Verfahren, die einerseits sehr speziell, andererseits auch sehr großflächig einsetzbar sind. Beim Multiantennen-Bodenradar etwa senden 16 in einen Behälter eingebaute Antennen hochfrequente elektromagnetische Impulse in den Boden. Während ein Kleintraktor das System in einem regelmäßigen Raster über das Feld zieht, werden die ausgesandten elektromagnetischen Wellen an Steinen, Mauern oder an den Grenzen der Erdschichten reflektiert. Die in Nanosekunden gemessene Zeit vom Aussenden bis zum Empfang des Signals lässt auf die Tiefe der reflektierenden Strukturen schließen.
Die Radardaten ergeben dann ein dreidimensionales Messergebnis, das mit einem Computertomogramm vergleichbar ist. Daraus lassen sich Gebäude bis in kleinste Details ableiten und verborgene Strukturen am Computer rekonstruieren. Darum spielt die Auflösung eine entscheidende Rolle. "Beim Radar können wir sehr hochauflösend messen. Die Konkurrenz misst zum Teil mit 50 Zentimeter mal ein Meter Auflösung, wir messen mit 8 mal 4 Zentimeter. Da sind Welten dazwischen", erläutert Neubauer die Dimensionen. So wäre ein Pfosten eines Wikingerhauses von 20 Zentimetern Durchmesser bei einer zu geringen Auflösung für das Radar unsichtbar.
Magnetische Phänomene
Die Magnetik wiederum ist eine Messmethode, die darauf basiert, dass der Boden aufgrund der enthaltenen Eisenverbindungen magnetisiert ist. "Magnetik ist ein passives Verfahren. Das heißt, wir nützen einfach nur das natürliche Erdmagnetfeld. Die Veränderungen darin messen wir und dann sehen wir die archäologischen Strukturen", erklärt Neubauer.
"Misst man nun die natürliche Magnetisierung eines Bodenprofils, zeigt sich, dass der Oberboden sehr viel stärker magnetisiert ist als der Verwitterungshorizont bzw. der Unterboden", so der Experte. Wird etwa ein Loch für eine Feuerstelle ausgehoben, dann füllt sich dieses im Lauf der Zeit wieder mit Oberflächenmaterial und es entsteht eine magnetische Anomalie, die sich auch nach Tausenden von Jahren noch messen lässt.
Das Phänomen der thermoremanenten Magnetisierung dagegen tritt beim Brennen von Lehm auf. Durch das Erhitzen des an sich nicht magnetischen Materials lösen sich die Eisenverbindungen aus ihren Orientierungen. Beim Abkühlen wirkt von außen das Erdmagnetfeld auf sie und zieht sie in eine Richtung. "Dadurch wird der gebrannte Lehm plötzlich magnetisch", erklärt Neubauer das Prinzip. "Das betrifft auch Keramik - eine hohe Konzentration von Keramik in einer Grube führt wieder zur Erhöhung der Magnetisierung, in Summe kommen also diese verschiedenen Effekte dazu."
Biogene Effekte
Eine Magnetisierung von an sich ummagnetischem Material kann aber auch durch biogene Effekte hervorgerufen werden, vor allem bei Holzstrukturen. "Beim Abbau von Holz können sich in einer entsprechenden anaeroben Umgebung sogenannte magnetotaktische Bakterien entwickeln." Das sind Bakterien, die sich statt an der Gravitation am Magnetfeld der Erde orientieren. Voraussetzung dafür ist ein Magnetsosom genannter Partikel im Bakterium, der aus einer Reihe von magnetischen Kristallen besteht. Häufig handelt es sich dabei um Magnetit, eines der am stärksten magnetischen Minerale. Die Magnetosome verbleiben an der Stelle, an der die Bakterien gelebt haben und markieren auch noch nach Jahrtausenden den Standort der Hölzer.
"Im Endeffekt führen alle diese verschiedenen Dinge dazu, dass eine menschliche Siedlung a priori höher magnetisiert ist als die Umgebung. Damit kann man sie einmal finden und dann gibt es durch Löcher und Feuerstellen noch weitere Möglichkeiten, alles detailliert zu erfassen", fasst Neubauer den Nutzen der magnetischen Messungen zusammen.
Entwickelt seit 1990
Vor der Gründung des LBI ArchPro wurden diese Methoden eher auf kleineren Flächen eingesetzt, etwa zur Planung von Ausgrabungen oder zur Baugrunduntersuchung im Vorfeld größerer Bauvorhaben. "Jetzt wenden wir das konsequent und systematisch bei großen Landschaftsflächen an", so Neubauer. Entwickelt wurden die Prospektionsmethoden seit 1990 durch die interdisziplinäre Forschungsgruppe Archeo Prospections im Rahmen einer Kooperation zwischen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und der Universität Wien. "Wir haben international ein ziemlich hohes Level erreicht, das es uns möglich gemacht hat, auch entsprechend potente Partner in ganz Europa zu finden."
Eine spezielle Bedeutung hat dabei die archäologische Landschaft Carnuntum eingenommen, deren zerstörungsfreien Prospektion vom archäologischen Rat höchste Priorität eingeräumt wurde. Ziel des von 2012 bis Ende 2014 laufenden Forschungsprojektes "ArchPro Carnuntum" ist es unter anderem, die archäologische Kernzone von Carnuntum (ca. zehn Quadratkilometer) zu vermessen. International für Aufsehen gesorgt hat etwa der Fund und die virtuelle Rekonstruktion einer Gladiatorenschule ("Ludus") mit Prospektions-Methoden.
Prospektions-Rekorde in Stonehenge
Die weltweit bisher größte Fläche, die auf diese Weise abgedeckt wurde, befindet sich mit einem Gesamtuntersuchungsgebiet von 14 km2 auf dem Gelände um den britischen Steinkreis Stonehenge. Nur noch wenige Messungen sind laut Neubauer ausständig, der Abschluss der Arbeiten hat sich wegen der jüngsten Überflutungen in Südengland etwas verzögert. Mit der Interpretation der Daten habe man bereits begonnen: "Wir haben eine ganze Reihe von unterschiedlichen neuen Sachen entdeckt", verrät Neubauer, ohne Details zu nennen. Momentan sei unter Beteiligung einer österreichischen Filmfirma eine von der BBC geleitete TV-Produktion im Entstehen. Die erste der beiden geplanten Folgen soll noch dieses Jahr ausgestrahlt werden.
Bereits zu Beginn der Messungen 2010 konnten die heimischen Forscher mit dem sensationellen Fund einer Holzformation ("Woodhenge") aufwarten. Durch das Abfahren mit Bodenradar und Magnetometer wurden Daten zu einem Scannerbild zusammengefügt, das auf 28 massive Holzpfosten schließen ließ. Wegen der ähnlichen, aus der Holzbautechnologie stammenden Konstruktion des steineren Monuments - oben aufliegende Steine sind "verzapft", also mit einem Zapfen mit den darunter liegenden Steinen fixiert - geht man nun davon aus, dass solche hölzernen Monumente schon vor dem berühmten Steinkreis errichtet wurden.
Big Data
Wie schnell gemessen werden kann, variiert je nach Bodentyp. "In Stonehenge war der Rekord eine Stunde für 6,5 Hektar", sagt Neubauer. Ein wesentlicher Punkt der Arbeit liege darin, existierende Sensoren neu zusammenzubauen und Messsysteme neu zu entwickeln, sowohl die Hardware als auch die Software.
Hätte man nur auf bestehende Softwarelösungen gesetzt, dann wäre die Auswertung von großflächigen Vermessungen eine frustrierend lange Angelegenheit geworden. Ein vom LBI getestes auf dem Markt erhältliches System hätte nach einer zehntägigen Messreihe ungefähr 500 Tage gebraucht, um die Daten zu prozessieren. "Jetzt haben wir die Software selber entwickelt und können Flächen bis zu 70 Hektar in ein paar Stunden durchprozessieren." Ein Tag Radarmessung könne durchaus 30 bis 40 GB an Rohdaten abwerfen, die dann durch die Prozessierung vervielfältigt werden. Derzeit befinden sich im Archiv des LBI ArchPro gut 18 Terabyte Daten, schätzt Neubauer.
Virtuelle "Abholzung"
Neben den Großprojekten Carnuntum und Stonehenge widmet sich das LBI ArchPro etwa neolithischen Kreisgrabenanlagen in Kreuttal (NÖ), aber auch weitere römische Stätten wie Flavia Solva (Stmk) und Virunum (Ktn) sollen vollständig erfasst werden. Zusätzlich will man künftig ganze Waldgebiete "virtuell abholzen" und schauen was sich darunter verbirgt. Als erstes hat man sich das gesamte Leithagebirge vorgenommen. "Dort haben wir tausende neue Fundstellen entdeckt, die sich bis heute abzeichnen und wir werden andere Waldgebiete wie im Weinviertel angehen", blickt Neubauer in die nähere Forschungszukunft.
Keine Nachwuchssorgen
Die archäologische Prospektion ist von Natur aus ein interdisziplinärer Ansatz. Für das LBI ArchPro etwa sind unter anderem Archäologen, Informatiker, Geodäten, Physiker, Geochemiker, Historiker und Geophysiker im Einsatz. Das neue Curriculum des Studiums "Urgeschichte und Historische Archäologie" an der Universität Wien beschäftige sich mittlerweile bis zu 20 Prozent mit Prospektion und Landschaftsarchäologie.
Zusätzlich wurde an der Universität Wien in Zusammenarbeit mit dem LBI ein Initiativkolleg für archäologische Prospektion gegründet. "Wir haben dort derzeit 18 PhD-Studenten die eng mit uns zusammenarbeiten und Dissertationen im Bereich der Prospektion erstellen, was international einzigartig ist. Das heißt, es wird in Zukunft aus Wien auch entsprechender Nachwuchs kommen."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science