Lernen in virtuellen Räumen
In den vergangenen Jahren haben fast alle Bildungsinstitutionen, aber auch viele Unternehmen ihr Lernangebot zunehmend mit digitalen und Online-Elementen angereichert. E-Learning zeigt viele Gesichter und hat sich bereits in die unterschiedlichsten Domänen vorgearbeitet. Die Bandbreite dessen, was darunter verstanden wird, ist beträchtlich und spannt mittlerweile einen weiten Bogen. Das geht etwa von klassischen online-unterstützten Kursen, über Angebote, bei denen auch interaktive Kommunikation zwischen Lehrenden und Teilnehmern fixer Bestandteil ist, bis zu modernen Ansätzen, bei denen das Lernen in eigens gestalteten Computerspielen oder auf mobilen Endgeräten stattfindet.
"Werkzeugkiste" ermöglicht individuelleres Lernen
Will man Lerninhalte mit digitaler Unterstützung vermitteln, sollte man sehr genau überlegen, welche Arten der Wissensvermittlung sich für die jeweiligen Inhalte am besten eignen und wie weit die Lernenden ihre Lernumgebung selbst gestalten können. Laut Sebastian Eschenbach, Leiter des Studiengangs für "Angewandtes Wissensmanagement" an der Fachhochschule (FH) Burgenland, liegt ein wesentlicher Vorteil von E-Learning darin, dass es eine höhere Individualisierung des Lernens ermöglicht. Aufgrund technischer Weiterentwicklungen und immer einfacherer Handhabung könnten sich Lehrende und Lernende mittlerweile das, was sie wirklich brauchen, aus einer digitalen "Werkzeugkiste" gezielt herausnehmen, so der Experte im Gespräch mit der APA.
In der Diskussion über E-Learning stünden meist die sehr unterschiedlichen Technologien im Vordergrund. Die eigentliche Frage sollte aber lauten, "was ist denn eigentlich mit Lernen gemeint?", so Eschenbach. Mit dem Begriff "Lernen" seien oft sehr unterschiedliche Dinge gemeint. Vom Erlernen eng umschriebener Verhaltensmuster ("Skills"), wie etwa in der Fahrschule, über die Vermittlung von Verarbeitungsmechanismen für Informationen, die etwa zum Lösen mathematischer Gleichungen befähigen (Pädagogen sprechen von "Kognitivismus"), bis zum Austausch zwischen Experten, die an der Lösung eines komplexen Problems arbeiten ("konstruktivistisches Lernen"), falle umgangssprachlich mehr oder weniger alles in diese Kategorie. Dahinter verbergen sich jedoch "dramatische Unterschiede" und somit auch völlig verschiedene Ansprüche an E-Learning.
Technik findet Inhalt und nicht umgekehrt
Die technischen Lernumgebungen sollten also darauf abgestimmt werden, was vermittelt werden soll und nicht umgekehrt - "das ist zwar eigentlich Common Sense, aber in der Praxis passiert es trotzdem oft umgekehrt", erklärte Eschenbach. Im Schul- oder Hochschulalltag würden diese Unterschiede traditionell berücksichtigt, ohne dass man das explizit erörtern müsste. "Was da passiert, muss man nicht mit den Schülern verhandeln, sondern es ist irgendwie klar, dass etwa die zu vermittelnde Technik eines Jahres beherrscht werden soll. Wenn man das aber auf eine Online-Basis stellt, ist es der richtige Zeitpunkt, sich explizit zu überlegen, was eigentlich das Lehrziel ist und wie diese Lehrprozesse ablaufen." In weiterer Folge müsse man sich überlegen, welche die richtigen technischen und nicht-technischen Unterstützungsformen sind - also, wie klassische Formen des Lernens mit E-Learning gemischt werden können.
Eschenbach gibt zu bedenken, dass auch E-Learning den üblichen Mechanismen unterliege, die bei der Einführung einer Technologie im Normalfall ablaufen. "Zunächst einmal versucht man, das was man bisher gemacht hat mit einer neuen Technologie nachzubauen. Im zweiten Schritt fängt man dann an, zu lernen, was diese Technologie eigentlich Neues und Zusätzliches kann."
Auf dem Weg zur "Werkzeugkiste"
Die allgemeine Diskussion habe sich insgesamt stark gewandelt. "Vor zwei Jahren wäre die Hauptfrage noch gewesen: Mit welcher Plattform wollen wir an der Institution arbeiten?" Dieser Ansatz würde nun zugunsten einer "Werkzeugkiste", aus der man sich die technischen Lösungen herausnehmen kann, die man braucht, in den Hintergrund treten. Hat man ein solches Set an Möglichkeiten, könne man auch ausprobieren, was wo am besten passt und funktioniert.
Eschenbach: "Die Dinge werden immer einfacher und letztendlich auch immer günstiger." Genau darin sieht der Experte die Chance: E-Learning sollte nicht nur eine Reaktion auf ein Problem, wie etwa die Nicht-Anwesenheit von Studenten sein, sondern einen didaktischen Mehrwert mit sich bringen. Das verlange aber sehr viel Reflexion darüber, was eigentlich gelehrt werden soll.
Neue Kommunikationswege sprechen andere Studenten an
Ein solcher Mehrwert wäre aus Eschenbachs Sicht etwa die Tatsache, dass andere Kommunikationswege "unterschiedlichen Studierenden unterschiedliche Chancen geben". In der üblichen Seminar-Situation "reden ungefähr 30 Prozent der Studenten" regelmäßig mit, "viele tun das also nicht". Das heiße jedoch nicht, dass die Ruhigen nichts zu sagen hätten - "es sind nur diejenigen, denen diese Art der Kommunikation nicht liegt", erklärt Eschenbach. Findet ein Seminar auch online statt, gibt es ein zweites Medium, das anderen Studierenden auch Chancen zur Beteiligung biete. Mit mehr Medien erreiche man mehr Leute, das ließe sich auch wissenschaftlich beobachten.
Ein anderer Punkt sei, dass der Gestaltungsspielraum des Einzelnen größer werde. "Wir glauben, dass wenn man E-Learning richtig einsetzt, man die Leute eigentlich individueller beim Lernen unterstützen kann, als es in einem rein klassischen Präsenzunterricht möglich ist."
Hoher E-Learning-Anteil in der Praxis
An der FH Burgenland setzt man sich schon seit längerem mit E-Learning-Ansätzen auseinander. Im Studiengang für "Angewandtes Wissensmanagement" stehe die digitale Wissensvermittlung nicht nur inhaltlich im Mittelpunkt, etwa die Hälfte der viersemestrigen Ausbildung findet auch online statt. Neben Wegen zur Bereitstellung von Information widmet man sich auch gezielt der Aneignung von Wissen, also auch dem "digitalen Lernmanagement oder E-Learning", so Eschenbach. Als man vor acht Jahren mit dem stark online-lastigen Konzept begann, sei so ein Ansatz noch relativ neu gewesen - mittlerweile sei das in berufsbegleitenden FH-Studiengängen weit verbreitet.
Da hier viele der Lerninhalte eher auf Ebene des "konstruktivistischen Lernens" anzusiedeln seien, biete ein individuellerer Zugang den Studenten viele Chancen. In einem berufsbegleitenden Masterprogramm mit unterschiedlichen Teilnehmern gehe es eben auch darum, den Studenten die Möglichkeit zu geben, zu einem gewissen Grad selbst zu gestalten, was sie lernen wollen. Eschenbach: "Wenn ich jemandem aber Buchhaltungs-Grundlagen beibringen müsste, würde ich das anders machen", da es hier um die Vermittlung von gewissen Mindeststandards gehe, die keine große Individualität bräuchten.
Bildungssystem gibt normalerweise viele Vorgaben
Aber auch ein derart individuell gestaltbarer Ansatz könne natürlich nicht alle zufriedenstellen. "Das kann aber gar kein Lernsystem", so der Studiengangsleiter. Das liege auch daran, dass wir an ein Bildungssystem gewöhnt sind, indem wir "relativ viele Vorgaben haben. Wenn diese Vorgaben wegfallen, hat das nicht nur Vorteile." Die Erfahrungen aus Evaluierungen des eigenen Ansatzes würden zeigen, dass "das etwa ein Viertel bis ein Drittel voll nutzen können" und sich darüber freuen, wenige Vorgaben zu haben. Etwa die Hälfte könne das in einigen Situationen sehr gut nutzen, dem Rest würde ein stärker reglementiertes Lernumfeld wahrscheinlich mehr entgegen kommen.
Von Nikolaus Täuber/APA-Science