Im Gebäude der Zukunft
Kaum ein Zukunftstrend zeichnet sich so klar ab wie die Aussicht darauf, dass in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Menschen weltweit in Städten leben werden. Je mehr Einwohner sich dort drängen, desto höher ist der Ressourcen- und Energieverbrauch auf dem immer enger werdenden Raum.
Dem gegenüber steht die Tatsache, dass dicht verbauten Gebieten selbst mit herkömmlichen Mitteln relativ wenig Energie abgerungen werden kann. In Konsequenz darauf ertönt vielerorts in fast schon inflationärem Ausmaß der Ruf nach der "Smart City", die nebenbei auch den neuen Anforderungen an Mobilität und Wohnen mit Hilfe von intelligent vernetzter Technologie gerecht werden soll. Eine zentrale Rolle in Smart-City-Konzepten nehmen Gebäude ein, auf die insgesamt etwa 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der EU fällt, wie es seitens der Europäischen Kommission heißt. Die große Anforderung an ein Gebäude der Zukunft ist es demnach, deutlich energieeffizienter zu sein als herkömmliche Gebäude.
Neben baulichen Maßnahmen, mit starkem Augenmerk auf verbesserter Wärmedämmung, kann ein Haus durch die Gewinnung von Energie aus Sonnenlicht vom reinen Verbraucher auch zum Energielieferanten für sich selbst werden oder sogar überschüssige Energie in das Netz einspeisen. Moderne Wärmepumpen können als Energiepuffer dienen, aber auch die Wärme der Abwässer kann zumindest teilweise im Gebäude gehalten werden, was zu weniger Energiebedarf von außen führt.
Gleichung mit vielen Variablen
Vorausschauenderes Heizen und Kühlen wird unter Berücksichtigung detaillierter Wetterdaten möglich. Weiß man etwa, dass in den kommenden Tagen wärmeres Wetter ins Haus steht, kann die natürliche Erwärmung eingeplant werden. Intelligent gesteuerte Abschattung von Fassadenteilen bietet wiederum viel Potenzial, den Kühlbedarf in besonders heißen Zeiten stark zu reduzieren. Mittels intelligenten Stromzählern, sogenannten "Smart Meters", wird der Energieverbrauch pro Haushalt noch dazu theoretisch sehr genau zu durchblicken sein.
Diese exemplarische Aufzählung verdeutlicht, an wie vielen Stellschrauben Forscher und Planer drehen können, wenn es um Gestaltung und Betrieb neuer Gebäude im Sinne größtmöglicher Energieeffizienz geht. Das optimale Zusammenspiel aller potenziell beteiligten Systeme im automatisierten Gebäude wird momentan intensiv erforscht. Bei all den technologischen Optionen stellen sich aber auch viele Fragen zum Nutzerverhalten.
Wollen die Bewohner einer Wohnung, eines Hauses oder die Angestellten in einem Büro mit so viel Technologie "zusammenleben"? Kommt es durch das Wissen darüber, in einem besonders energieeffizienten Gebäude zu leben, zu besonders sorglosem Umgang mit Energie und somit zum gefürchteten "Rebound-Effekt", der den hohen technischen Sparaufwand im Nu zunichtemacht? Wie stehen Menschen dazu, wenn mit dem Smart Meter ihr Energieverbrauch detailliert abgefragt werden kann? Nicht zuletzt müssen Wege gefunden werden, um den Nutzern Daten über ihren Energieverbrauch so rückzumelden, dass es für sie möglich wird, ihr Verhalten aufgrund dieser Informationen entsprechend anzupassen.
Ein "Living Lab" am Rande Wiens
Diesen zahlreichen technischen und gesellschaftlichen Fragestellungen soll im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojekts in Wien nachgegangen werden. Teile des Stadtentwicklungsgebiets Wien-Aspern werden in den nächsten fünf Jahren zu Forschungsobjekten oder "Living Labs". Der neue Stadtteil am nordöstlichen Rand der Bundeshauptstadt soll in vielen Bereichen quasi prototypisch für eine Smart City stehen. Das eröffnet Wissenschaftern neue Möglichkeiten, ein derart komplexes System in Echtzeit zu verfolgen und zu analysieren. Über die eigens gegründete Forschungsgesellschaft "Aspern Smart City Research" (ASCR) werden Siemens, Wien Energie sowie Wiener Netze dort bis 2018 fast 40 Mio. Euro in Technologie, Umwelt und Energieforschung investieren.
Noch steht die Heimstätte des Forschungsinstituts, das "aspern IQ", alleine inmitten des zukünftigen Stadtteils "Seestadt". Nach zwei Jahren Planung beginnen nun die Vorarbeiten für das Forschungsprojekt, an dem rund 30 Personen aus den Bereichen Energiewissenschaft, Netzwerktechnik und Sozialwissenschaften beteiligt sein werden.
Im Endausbau werden den Forschern Daten aus dem Echtbetrieb eines Netzes, in dem die Gebäude eben nicht nur Energieverbraucher, sondern auch Energieproduzenten - sogenannte "Prosumer" - sind, zur Verfügung stehen. Der Großteil der Informationen kommt dann aus drei unterschiedlichen Gebäudekomplexen, die bis 2015 errichtet werden. Um verschiedene Nutzungsmuster zu analysieren, werden ein Wohnhaus, ein Gebäude mit gemischter Büro- und Wohnnutzung und ein Bildungscampus mit Studentenheim als Untersuchungsobjekte dienen.
"Eigenes Energiekonzept"
Nun gehe es darum, gemeinsam mit den Bauträgern an den neuralgischen Punkten im Netz und in den Gebäuden Sensoren einzubauen, die den Forschern dann die nötigen Daten aus dem System liefern, erklärte der für die etwa 10 Mio. Euro teure Infrastruktur zuständige ASCR-Prokurist Bernd Richter gegenüber APA-Science. "Die nächsten eineinhalb bis zwei Jahre begleitet uns der Aufbau der Basis, auf der dann das Forschungsprogramm abgewickelt werden kann. Wir bauen ein komplett eigenes Energiekonzept ein". Neben dem Einbau der Sensorik erfolge nun auch der Aufbau der Datenbank, in die alle Echtdaten fließen werden. Das Projekt lebe nämlich vom Sammeln von Informationen zu Strom- und Wärmeverbrauch und aus dem Niederspannungsnetz.
Die Technologien, die wiederum in den Gebäuden eingebaut werden, gingen jedenfalls darüber hinaus, was aktuell "State of the Art" in dem Bereich sei, so Richter. "Man kann davon ausgehen, dass es heute am Markt nichts besseres gibt als das, was hier umgesetzt wird". Das sei wichtig, um potenzielle Funktionen in dem komplexen Stromnetz zu analysieren. "Der Vorteil ist, dass es eben keine Demoanlage ist, sondern ein Echtbetrieb. Wir setzen auch gleich um und sehen ob sich etwas ändert oder nicht", erklärte Richter.
Systemvergleich auf hohem Niveau
Auch aus anderen Bereichen der Seestadt, die nicht nach diesem Energiekonzept errichtet werden, sollen Daten kommen. So will man vergleichen, inwiefern sich die Modelle hinsichtlich ihrer Effizienz unterscheiden. Momentan könnten sich die noch hohen Investitionskosten für die Anlagen noch nicht durch die wahrscheinlich zu erzielende Energieersparnis amortisieren. "Das Ziel muss klarerweise sein, dass das alles einmal wirtschaftlich darstellbar ist", blickt der Experte in die Zukunft.
Abseits der wirtschaftlichen Rentabilität des Gesamtkonzepts spannen die Themen, die im Zuge des Projekts von den verschiedenen Partnerunternehmen untersucht werden, einen durchaus weiten Bogen. Richter: "Wien Energie wird etwa neue Geschäftsmodelle herausarbeiten. Wiener Netze werden sicher herausfinden, wie man das Niederspannungsnetz besser stabilisieren und Transparenz im Niederspannungsbereich gewinnen kann. Siemens als Technologiepartner wird sehr viele Erkenntnisse bei der Gebäudetechnik und Gebäudeleittechnik erlangen. Und es wird sicher Erkenntnisse dazu geben, wie man das Gebäude als Teilnehmer am Energiemarkt zur Marktreife bringen kann."
Welche Technik wird gebraucht?
Ist die Infrastruktur einmal aufgesetzt, werden die Forscher auf sehr viele Informationen zugreifen können. Bis dahin werden aber vor allem Computersimulationen das tägliche Brot für die Wissenschafter sein. "Simulieren können aber viele", erklärte die ASCR-Forschungsleiterin Monika Sturm von Siemens Österreich. Herausragend an dem Projekt sei eben die Tatsache, dass es sich in Aspern um Daten aus einem tatsächlich lebenden System handeln wird, die in Echtzeit in die Datenbank laufen werden, so auch die Expertin im APA-Science-Gespräch.
Die Forscher können aber auch steuernd auf verschiedenste Parameter im Netz eingreifen. Bis 2018 soll so klarer werden, welche Informationen und welche Technik es braucht, um ein solches "Smart Grid" am sinnvollsten zu managen. Es soll ersichtlich werden, wo es zu Überlasten, also durch Einspeisungen aus Photovoltaik(PV)-Anlagen zur "Verschmutzungen des Netzes" kommt. In weiterer Folge geht es darum, entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln. "Wir werden auch gewisse Situationen, wie Engpässe simulieren können", so Sturm. Diese Erkenntnisse im Grenzbereich sollen dann auch auf den innerstädtischen Raum oder in andere Projekte transferiert werden.
In den Gebäuden gehe es vor allem um das optimierte Management von Systemen wie der PV-Anlage und der Wärmepumpe - eben auch vorausschauend im Hinblick auf sich ändernde Wetterbedingungen. Alles in allem möchte man Verbrauchsspitzen vermeiden, so Sturm.
Dunkle Flecken im Netz beleuchten
Ein Bereich von Niederspannungsnetzen, über den bisher sehr wenig bekannt ist, sei "die letzte Meile. Wir wissen nicht, was bei jeder einzelnen Wohnung und jedem einzelnen Einfamilienhaus passiert. Das wird natürlich jetzt durch die intelligenten Zähler besser, weil wir die genauen Verbrauchsdaten wissen. Wir könnten aber auch gewisse Sensorik ins Netz einbauen oder zusätzliche Informationen aus Gebäuden sammeln, vorausgesetzt die Endkunden sind damit einverstanden", erklärte Sturm.
90 Prozent der Daten sollen aus dem Netz kommen, zehn Prozent jedoch direkt aus den Haushalten. Zu diesem Zweck sollen die Bewohner, die sich für oder gegen eine Teilnahme entscheiden können, bereits im Vorfeld umfangreich über Projektziele und den Umgang mit ihren sensiblen Daten aufgeklärt werden. Dass in den Gebäuden etwa auch Technologien wie CO2-Messgeräte eingebaut sind, die den Bewohnern wichtige Informationen zur Luftgüte liefern und so zur Komfortsteigerung beitragen, könnte auch dazu motivieren, an den Forschungsprojekten teilzunehmen, glaubt die Expertin.
Eine weitere große Frage sei der Modus der Rückmeldung. Hier gehe es darum, bei den Endkunden das Interesse für Energiedaten zu wecken und vor allen aufrecht zu erhalten. Sturm: "Können wir die Menschen vielleicht einbinden, indem wir irgendwelche Apps oder Spiele entwickeln - Stichwort: 'Gamification'?" Die Erfahrung zeige nämlich, dass gerade am Anfang das Interesse am Thema hoch ist, um dann relativ schnell abzufallen.
Forschung im sozialen Umfeld
Auch vonseiten des Siemens-Konzerns wird die Einbindung der Bewohner als wesentliches Element der künftigen Forschungen verstanden. "Wir sehen in diesem 'Living Lab' die Möglichkeit, Technologien nicht nur als Technologien zu erproben, sondern auch in einem sozialen Umfeld", sagte Arnulf Wolfram, Leiter des Sektors Infrastructure & Cities bei Siemens CEE, im Gespräch mit APA-Science. Probleme mit der Akzeptanz der zu erprobenden Technologien und den dabei gesammelten Daten sieht Wolfram bei den "Friendly Usern" in der Seestadt keine. Schließlich wüssten die Bewohner um ihre Einbettung in ein aktives Forschungsumfeld Bescheid.
Siemens ist mit den Divisionen "Building Technologies" und "Smart Grid" am Versuchsgelände vertreten, einerseits also mit dem Thema Energiemanagement und -steuerung in Gebäuden und andererseits mit intelligenten Übertragungsnetzen im Mittel- und Hochspannungsbereich.
Treiber für die Technologien, die für die Gebäude der Zukunft und die Seestadt Aspern entwickelt werden, sind klarerweise nicht zuletzt Regelwerke, wie die neue Energieeffizienz- oder Gebäuderichtlinie der EU. Die Einsparpotenziale allein durch automatisierte Gebäude klingen durchaus vielversprechend, wie sich aktuellen Berechnungen des Verbands Deutscher Maschinen-und Anlagenbauer (VDMA) entnehmen lässt, die in einer gemeinsamen Studie von Zukunftsinstitut und TÜV Austria ("Die Zukunft der Umwelt") genannt werden. Demnach könnten bei einer entsprechenden Umrüstung der Gebäude vor allem im Groß- und Einzelhandel bis zu 40 Prozent bei thermischer, und neun Prozent bei elektrischer Energie eingespart werden. Im Wohnungsbau seien hier immerhin noch 19 bzw. acht Prozent möglich.
Richtlinien als Startschuss
Für Wolfram sind Vorgaben und Richtlinien aber nur Grundstein und Startschuss für die Technologieentwicklung. "Auf Dauer gesehen werden sich Technologien und Innovationen nur dann durchsetzen, wenn sie mit einem entsprechenden Geschäftsmodell verbunden sind - das ist der wesentliche Transmissionsriemen."
Was Kritiker einer zu starken Fokussierung auf die Energieeffizienz oft ins Treffen führen, sind die durch die zunehmende Automatisierung stark steigenden Wartungskosten im Gebäude, wodurch die Energie-Einsparungen gewissermaßen wieder aufgefressen werden. Wolfram räumt hier ein, dass es bei neuen Technologien nicht mehr reiche, nur die Anschaffungskosten, sondern die Lebenszykluskosten in die Berechnungen einzubeziehen. "Natürlich ist jede Technologie am Anfang teurer als konventionelle Technik und dadurch steigen auch die Wartungskosten. Aber man muss mit Hochrechnungen auf die Zukunft vorsichtig sein, weil wir stehen erst am Anfang", so Wolfram: "Kosten am Beginn eines Innovationszyklus sind mit Sicherheit kein Maßstab auf Dauer gesehen."
Bei der Entwicklung neuer Technologien für die Gebäude der Zukunft sieht der Experte drei wesentliche Herausforderungen, die es zu adressieren gelte. Man müsse neben geeigneten Geschäftsmodellen auch die soziale Akzeptanz sicherstellen und "bei aller Euphorie" dürfe man die physikalischen Grenzen rund um das Thema Strom nicht vergessen, vor allem wenn es um erneuerbare Energien und Übertragungsnetze geht.
Von Nikolaus Täuber und Mario Wasserfaller / APA-Science