Intelligenter unterwegs
Nach Ansicht von Experten werden sich Gütertransport und Personenverkehr angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung bis 2050 vervielfachen. Antworten auf die daraus entstehenden Probleme könnten intelligente Verkehrssystemen liefern. Unter diesen breiten Begriff fallen Verkehrsbeeinflussungsanlagen auf Autobahnen gleichermaßen wie kooperative Systeme, die Autos untereinander kommunizieren lassen, in Echtzeit vor Gefahren warnen oder bei einem Stau eine Alternative mit den Öffis vorschlagen.
Zahlreiche dieser Systeme, wie etwa die automatische Ampelsteuerung in Großstädten sind längst im Einsatz, andere sind nach jahrelanger Entwicklung auf dem Sprung in den Alltag. "Jetzt schön langsam kommen die Dinge in ein Reifestadium. Sie sind keine Forschungs- oder auch keine Entwicklungsprojekte mehr, es geht ums Umsetzen", erklärte AustriaTech-Geschäftsführer Martin Russ im Gespräch mit der APA. Die AustriaTech ist eine 100-Prozent-Tochter des Verkehrsministeriums (BMVIT) und dafür zuständig, ein mit Europa koordiniertes intelligentes Verkehrssystem in Österreich zu entwickeln und umzusetzen.
Beim ITS-Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme, der jährlich alternierend in Amerika, Asien und Europa und nun erstmals in Wien stattfindet, gilt der Fokus aber längst nicht mehr allein dem Stand der Technik. "Über die fast 20 Jahre des Kongresses hat man viel Expertise aufgebaut, man war aber auch nur in sehr beschränkten technologischen Nischen unterwegs. Man hat versucht, die einzelnen Verkehrsträger selbst zu optimieren, wie zum Beispiel Verkehrsbeeinflussungsanlagen. Jetzt sieht man, dass das Optimieren der einzelnen Verkehrsträger und Modi halt nicht mehr ausreicht", so der Experte. Darum gelte es nun, die einzelnen Verkehrsmodi im Güter- und im Personenverkehr besser miteinander zu verknüpfen.
Intermodalität gefragt
Das Stichwort bei der Nützung und Verknüpfung mehrerer Verkehrsträger heißt "Intermodalität". Entscheidend dabei, Menschen zum Umsteigen zu bewegen, sind präzise Informationen über Abfahrtszeiten, Fahrpläne und etwaige Verspätungen in Echtzeit. „Dem Nutzer wird eine neue Qualität von Informationen und Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung gestellt, dass er überhaupt seine verschiedenen Verkehrsträger-Modi vernünftig ohne viel Komfort- und Zeitverlust, vielleicht sogar mit Komfort- und Zeitgewinn miteinander kombinieren kann", sagt Russ. Generell seien in der Verkehrspolitik der Zukunft weniger Verbote als Angebote gefragt.
Ein solches Angebot eines intermodalen Verkehrsinformations-Services für alle Verkehrsarten, bietet die Plattform "AnachB.at". Der seit 2009 existierende und laufend erweiterte Routenplaner verknüpft Auto, Bahn, Öffi und Rad und wirft auf Basis der aktuellen Lage - die Daten werden alle siebeneinhalb Minuten erneuert - mehrere Kombinationsmöglichkeiten und die benötigte Zeit dafür aus. Entwickelt wurde AnachB.at von "ITS Vienna Region", dem gemeinsamen Verkehrsmanagement-Projekt der Länder Wien, Niederösterreich und Burgenland. Das Tool soll Basis für das von der Asfinag geleitete Projekt "Verkehrsauskunft Österreich" sein, die im Frühjahr/Sommer 2013 ans Netz gehen und noch umfassendere Informationen bereitstellen soll.
Multimodaler Routenplaner
Multimodale Routenplaner stehen auch europaweit hoch im Kurs, spätestens seit EU-Verkehrskommissar Siim Kallas im Vorjahr auf der 8. Europäischen Konferenz für Intelligente Verkehrssysteme in Lyon einen entsprechenden Wettbewerb ausgerufen hat. "Was er damit gesagt hat, ist ganz einfach: Es ist auf der politischen Agenda, wir müssen etwas tun", kommentiert Russ den Aufruf. Den Anspruch, ein zentrales System quer über Europa zu schaffen, gebe es dabei nicht. "Es gibt eine Vielzahl von Zugängen und das Spannende dabei ist, dass sich durch das Ausrufen einer derartigen Challenge einfach viele aus meiner Sicht sehr Erfolg versprechende Zugänge formiert haben."
Zusammenarbeit scheint auf allen technischen Fronten das Gebot der Stunde zu sein. Bei kooperativen Systemen - also etwa sensorbasierten Fahrassistenzsystemen, bei denen ein Auto ein anderes per Sensor vor einer drohenden Kollission warnen kann - habe sich laut dem AustriaTech-Geschäftsführer gezeigt, "dass es ohne Infrastrukturbetreiber nicht gehen wird". Die Autohersteller würden die Verkehrsdaten der Infrastrukturbetreiber brauchen und umgekehrt. "Nur zwei Autos, die miteinander über den Verkehrszustand reden ist zu wenig, auch aus Sicht der Nutzer." Mittlerweile würden auch die Autohersteller umdenken, "wobei sie halt gerne der öffentlichen Hand und den Betreibern die ganzen Haftungs- und Reliability-Themen umhängen würden".
Standards und Datenschutz
Damit all die intelligenten Verkehrssysteme eines Tages nicht gewissermaßen aneinander vorbeireden, müssen sie mit einheitlichen Standards aufeinander abgestimmt werden. "Die EU-Kommission hat das schon sehr früh erkannt und einen ITS-Aktionsplan herausgegeben", erklärt Russ. Die darauf aufbauende ITS-Direktive von 2010 müsse von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden - allerdings erst in dem Fall, wenn auch tatsächlich ein übergreifendes Verkehrsinformationssystem etabliert wird. In Österreich liegt die Regierungsvorlage zur IVS-Richtlinie derzeit beim Verkehrsausschuss des Parlaments zur Begutachtung; Status: "Beratungen noch nicht aufgenommen".
Wo Computersysteme steuernd eingreifen und große Datenmengen übertragen werden, müssen auch rechtliche Fragen geklärt werden. Die größten Herausforderungen bei kooperativen Systemen sieht Russ in dem Spannungsfeld Haftung, Verlässlichkeit und Datenschutz. So rasch wie in Kalifornien werde es hierzulande wohl nicht gehen mit einschlägigen Gesetzen: "Google hat ein Auto, das alleine fahren kann und Kalifornien hat dafür die Gesetzgebung - weil Kalifornien halt Google-Land ist (siehe auch Hintergrund; Anm.)." Was man sehr stark angehen müsse, seien die Privacy- und Reliability-Themen, wobei auch die Fahrzeug- und Systemhersteller schon über "Privacy by Design" nachdenken würden. Man designt Systeme also bereits so, dass personenbezogene Daten gar nicht erst übermittelt werden.
E-Mobilität erst längerfristig
Anders als bei kooperativen Systemen in Fahrzeugen, wo man bereits in wenigen Jahren erste markttaugliche Modelle erwartet, ist ein signifikanter Anteil von E-Fahrzeugen im Verkehrsmix noch Zukunftsmusik. "Das Thema E-Mobilität ist eigentlich eine zweite technologische Schiene, das ist keine kurzfristige Perspektive. So ab 2020 wird es eine wirkliche Alternative. Das entscheidende bei der E-Mobilität ist, wie es im Jahr 2035 oder 2040 ausschaut", meint Russ. "Und dann hat es auch einen wunderbaren Aspekt, und der ist ganz abgehoben von irgendwelchen Energieeffizienz- oder Reichweitenthemen von E-Autos und die Chance auf ein multimodales Verkehrssystem. Das stärkste Argument bei der E-Mobility ist: Man schaue einfach einmal in unsere Handelsbilanz und wie viel an Treibstoff- und Ölimporten da drin stecken. Das ist schon rein volkswirtschaftlich gedacht für mich das stärkste Argument pro E-Mobilität etwas zu tun. Und abgesehen davon, dass das Thema für das Verkehrs- und Mobilitätssytem der Zukunft momentan der Allheilbringer ist, ist es ein wunderbarer Schuhlöffel, um zu einem Umdenken in der Fahrzeugnutzung zu kommen."
Visionen eines Verkehrsexperten
Einige der Ideen und Projekte, die heute als hochmodern gelten und jetzt vor der Umsetzung stehen, hat Verkehrsexperte Hermann Knoflacher bereits vor vielen Jahren angedacht - sie galten jedoch zu ihrer Zeit oft nicht gerade als salonfähig. Als er der EU-Kommission als deren Berater in Verkehrsfragen in den 1990er-Jahren etwa vorschlug, ein Auto sollte eine Fahrt auch verweigern können, wenn in der Nähe eine öffentliche Verkehrsalternative zur Verfügung steht, wurde das „eher als Scherz“ aufgefasst.
"Heute", so der emeritierte Professor der Technischen (TU) Wien gegenüber der APA, "kommen die Experten, die damals gelacht haben, langsam dorthin, was man jetzt Intermodalität nennt. Und nachdem ja GPS-Systeme damals gerade hochgekommen sind, habe ich als zweite Variante angeboten: Ich starte mein Auto und ich bekomme die Information, wenn im Umkreis von 200 Metern noch jemand im Auto sitzt mit dem gleichen Ziel - dann tut man sich zusammen und es darf nur einer fahren. Das ist das, was man heute Car-Sharing oder Car-Pooling nennt."
Generell würden seine Vorschläge darauf abzielen, dass die Menschen aus der Falle in die sie durch die technischen Verkehrsmittel, insbesondere das Auto, geraten seien, wieder herausfinden und ihre Freiheit zurückbekommen. Knoflacher denkt dabei unter anderem an den großzügigen Ausbau von Fußgängerzonen oder intelligente Parkraumbewirtschaftung. Bei der Richtung, die intelligente Verkehrssysteme heute einschlagen, ortet er eine zu starke Techniklastigkeit mit den falschen Prämissen dahinter: "Die Systeme werden nicht von der vernünftigen Anwendung bestimmt, sondern von den Konzernen die dahinterstehen. Wenn ich Not erzeuge, kann ich Zeug verkaufen." An sich seien die Systeme, die auf den Markt kommen neutral, aber sie würden im Grunde nicht auf eine fundamentale Lösung der Verkehrsprobleme, sondern nur auf Profit abzielen.
Kompensation durch Information
Das heutige Verkehrssystem sei zu sehr auf das Auto zugeschnitten, sagt Knoflacher, ohne als "Autohasser" missverstanden werden zu wollen: "Das System ist physisch falsch und man versucht nun den physischen Fehler durch Informationssysteme zu kompensieren. Und zwar noch in der falschen Richtung, in der positiven Rückkopplung. Das heißt ich gebe denen die von vornherein in der falschen physischen Struktur stecken noch zusätzliche Incentives, in dieser physischen Struktur zu bleiben. Und die haben sich durchgesetzt, würde ich sagen. Das sind alles symptomatische Lösungen, insofern als dass nicht die Ursache beseitigt wird. Den Unfall kann ich am besten verhindern, indem ich das beste Verkehrsmittel wähle oder eine bessere Lösung finde wo ich gar nicht so schnell mobil sein muss."
Beim ITS-Weltkongress wird Knoflacher durch Abwesenheit glänzen. "Ich bin da längst nicht mehr dabei. Seitdem ich das System durchschaue, nachdem ich acht Jahre als Berater in der EU-Kommission Erfahrungen gesammelt und festgestellt habe, wie die Konzerne dort die Netze stricken, habe ich meine Naivität verloren und logischerweise die Konsequenz daraus gezogen. Weil entweder man wird prostituiert oder man hält sich aus der ganzen Geschichte heraus."
Von Mario Wasserfaller/APA-Science
Service: Der ITS Weltkongress findet vom 22. bis 26. Oktober in Wien statt. Gastgeber ist das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), Organisator die europäische Dachorganisation ERTICO - ITS Europe in Kooperation mit ITS America und ITS Asia-Pacific. AustriaTech ist für die inhaltliche Ausrichtung des Weltkongresses verantwortlich und organisiert technische Demonstrationen. Internet: http://www.itsworldcongress.at