Matura, was dann?
Spätestens ab der dritten Oberstufenklasse stellt sich für die meisten Schüler die Frage, welchen Bildungs- oder Berufsweg sie nach der Matura einschlagen sollen. Glücklich ist, wer dann bereits eine relativ klare Vorstellung von seinem zukünftigen Studium hat. Zur Orientierung auf dem Weg zu einem Hochschulstudium wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Initiativen gestartet und sukzessive ausgebaut.
Erst vor wenigen Wochen unterlegte das Wissenschaftsministerium (BMWF) die Ausbaumaßnahmen zur Beratung von angehenden Studenten mit aktuellen Zahlen. Die gemeinsam mit der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) durchgeführte "Maturant/innenberatung" und das Projekt "Studieren probieren" wurden demnach "gut angenommen".
Konkret wurde die Maturantenberatung seit 2007/2008 von rund 120 Terminen in drei Bundesländern auf rund 350 Termine in ganz Österreich ausgebaut. "Allein in diesem Jahr haben wir rund 18.500 Schülerinnen und Schüler erreicht – das entspricht einer Verdreifachung innerhalb von sechs Jahren", erklärte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Die Zahl der Berater sei in diesem Zeitraum von 288 auf 1.014 gestiegen, das Budget dafür von 32.000 Euro auf 222.500 Euro.
Im Rahmen des von der ÖH initiierten und vom Wissenschaftsministerium mit derzeit 35.000 Euro finanzierten Programms "Studieren probieren", das angehenden Studierenden u.a. den Besuch von Lehrveranstaltungen an Unis ermöglicht – wurden heuer 309 Termine in ganz Österreich angeboten, 1.350 Schüler haben daran teilgenommen. Insgesamt investiert das Ressort in die Studienberatung – dazu zählen auch das Programm "Studienchecker" und die Website "studienwahl.at" - rund 1,1 Mio. Euro pro Jahr.
Studienchecker
Das von Wissenschafts- und Unterrichtsministerium (BMUKK) gemeinsam organisierte Maßnahmenbündel "Studienchecker" ist auf Schüler der vorletzten und letzte Jahrgänge von Allgemein- (AHS) und Berufsbildenden (BHS) Schulen zugeschnitten. “Das Programm hat Prozess-Charakter - Ziel ist es, eine Selbstreflexion anzuregen und die Basis für eine fundierte Studien- und Berufswahl zu legen”, heißt es dazu in einem Informationstext des BMWF. Neben den beiden Ministerien sind daran die Psychologischen Beratungsstellen für Studierende (PBS) an den sechs Universitätsstandorten (jeweils zuständig für bestimmte Regionen), die Schulpsychologie, drei regionale Partnerorganisationen (Stmk – SAB, Sbg – BiBer, Vbg – BiFo), die ÖH und das AMS beteiligt. In den Schulen selbst sind die Schüler-Bildungsberater die Ansprechpersonen.
Was 2008 als Probelauf in vier Bundesländern begann, wird mittlerweile an 397 AHS und BHS in ganz Österreich angeboten. Der Vollausbau des Studiencheckers an insgesamt 678 Schulen ist für 2014/15 angepeilt. Das Programm versteht sich laut Gerhard Krötzl vom Unterrichtsministerium als “konzeptgeleitete Unterstützung” für Schüler und Maturanten. "Es ist ein Konzept für ein Vorgehen, wie man diese Entscheidungsprozesse tatsächlich unterstützen kann. Ziel ist es letztendlich die Maturanten fit zu machen, für sich selbst eine gute Entscheidung finden zu können, also die Stärkung der Selbstkompetenz”, erklärte Krötzl im Gespräch mit APA-Science.
Selbstreflexion im Mittelpunkt
Beteiligt sich eine Schule neu am Studienchecker, wird üblicherweise zunächst eine Informationsveranstaltung für die Schulleiter und Schülerberater abgehalten. Nach der entsprechenden Schulung der Schülerberater veranstaltet die Schule einen Projekttag, an dem laut Krötzl die Selbstreflexion der Schüler und ganz grundsätzliche Fragen im Mittelpunkt stehen: "Wie geht man so eine Studienentscheidung überhaupt an, was kann man selbst machen und welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?"
Als Instrument zur Selbstreflexion dient unter anderem der Interessensfragebogen "Explorix", den die Schüler im Zeitrahmen von drei Stunden ausfüllen und der ihre Berufs- bzw. Studienwahlentscheidung erleichtern soll. "Die wissenschaftliche Grundlage dafür ist die sogenannte Holland-Berufswahltheorie (nach dem US-Psychologen John L. Holland; Anm.), die auch als RIASEC-Typologie bekannt ist", erklärte Krötzl. Eruiert werden dabei die jeweiligen Dispositionen der Schüler, in erster Linie Interessen, aber auch Aspekte der Persönlichkeit. Heraus kommen Berufsvorschläge, die gemeinsam mit entsprechend geschulten Schülerberatern besprochen und interpretiert werden.
Aus der Evaluation des Fragebogens für 2012 geht laut BMWF unter anderem hervor, dass an den AHS mehr als die Hälfte der Schüler ein Studium planen würden, an den BHS seien es weniger als 40 Prozent. Knapp vor der Matura sei ein "sehr heterogener Stand im Studien- und Berufswahlprozess" zu beobachten. Die wichtigsten Aspekte für die Entscheidung seien Interesse am Fachgebiet sowie Begabungen und Fähigkeiten, während externe Faktoren eine geringere Rolle spielen würden. Die am meisten genutzten Informationsquellen sind demnach das Internet, der Schulunterricht und Verwandte/Bekannte.
Über den Interessensfragebogen hinaus können sich die Schüler für eine Kleingruppenberatung anmelden. "Der Mehrwert dabei ist, dass psychologische Studienberater an die Schule kommen, mit denen man dann differenzierte Fragen besprechen kann", so der Experte. Dazu zähle die Interpretation der Explorix-Ergebnisse, allgemeine Fragen zum Studieren und zu Entscheidungssituationen oder Ratschläge für den Fall, "dass die Eltern anderer Meinung sind".
Vom Allgemeinen zum Individuellen
Für sämtliche Maßnahmen ab den ersten Informationsveranstaltungen gelte die Philosophie "Vom Allgemeinen zum Individuellen - von der Bringschuld zur Holschuld", so der Leiter der für Schulpsychologie und Bildungsberatung zuständigen Abteilung im BMUKK. Erste (Interessens-)Testergebnisse der Schüler sollten hauptsächlich als Anstöße in Richtung zunehmender Selbstverantwortung verstanden werden, also sich selbstständig weiter zu informieren bzw. Beratungsmöglichkeiten wie die Aktion "Studieren probieren" der ÖH in Anspruch zu nehmen oder einen Tag der Offenen Tür an einer Hochschule zu besuchen. Solche seitens der Schüler auch vermehrt gewünschten "Realbegegnungen" sollen laut Krötzl auch in Zukunft eine tragende Rolle im Rahmen des Studiencheckers spielen.
Die Idee hinter dem im Wintersemester 2009/10 gestarteten Programm "Studieren probieren" ist es laut ÖH, dass Schüler in Begleitung eines/r Studierenden eine Lehrveranstaltung einer Studienrichtung besuchen können, die sie interessiert. Anschließend findet ein zwangloses Beratungsgespräch statt. Auf der Webseite werden laufend entsprechende Termine angeboten, zu denen sich die Schüler anmelden können.
Die Früchte der Studienberatung
Magdalena Hangel vom Referat für Studien- und MaturantInnenberatung der ÖH ist bereits seit vier Jahren bei solchen Terminen dabei. Persönlich hat sie das Gefühl, dass sich der Kenntnisstand der Schüler über diesen Zeitraum hin leicht gebessert hat. "Man beginnt schon zu merken, dass Studienberatung in Österreich besser greift, dass es auch von den Ministerien Projekte gibt wie den Studienchecker, die beginnen Früchte zu tragen", sagte Hangel im Gespräch mit APA-Science. Generell variiere das Wissen zu Unis & Co. auch regional - je nachdem, ob sich eine Hochschule in der Nähe befindet oder nicht. Zum besseren Überblick über den Dschungel an Studienrichtungen hat die ÖH zusätzlich die "Studienplattform" eingerichtet, eine Datenbank mit allen in Österreich angebotenen Studienrichtungen.
"Wenn man damit nicht zurecht kommt, kann man natürlich immer zu uns ins Büro kommen und wir können dann weiterhelfen", betont Hangel das ständige Angebot zum persönlichen Gespräch - nicht zuletzt um unrealistische oder falsche Bilder von gewissen Berufen oder Studienrichtungen zu korrigieren: "Wer sein ganzes Wissen aus amerikanischen Ärzteserien bezieht, wird maßlos enttäuscht sein, wenn er sein Studium in Österreich beginnt, weil alles ganz anders funktioniert."
Auch von der Psychologie herrsche sehr oft ein falsches Bild vor, erklärte Johannes Ruland, ebenfalls vom Referat für Studien- und MaturantInnenberatung, gegenüber APA-Science. Viele Schüler würden glauben, bereits nach dem Bachelorabschluss ein Psychologe zu sein, was aber aufgrund des Psychologengesetzes ausgeschlossen sei. "Es ist wichtig, auf solche Sachen hinzuweisen", so Ruland. Will man in dem Berufsfeld auch therapeutische Dienste anbieten, braucht es nämlich noch teilweise langwierige Zusatzausbildungen wie ein Propädeutikum oder ein Fachspezifikum: "Das sind keine billigen Ausbildungen, darüber muss man einfach aufklären", ergänzte Hangel.
"Live-Ausschnitt" aus dem Studium
Es gilt also, Illusionen zu zerstreuen und die Schüler schrittweise an die studentische Realität heranzuführen. Der Vorteil für Schüler, die bei Studieren probieren mitmachen: "Sie sitzen in einer regulären Vorlesung, die nicht extra für sie abgehalten wird, sondern das ist ein echter Live-Ausschnitt aus dem Studium", so Hangel.
Laut dem aktuellen Abschlussbericht (2012/13) waren bei den angebotenen Terminen "erwartungsgemäß" besonders große Studienrichtungen wie Medizin und Rechtswissenschaften gefragt. Ebenfalls sei aber ein deutlicher Anstieg der Teilnehmerzahlen bei kleinen Studienrichtungen wie Skandinavistik, Archäologie oder künstlerischen Studien zu verzeichnen. Dennoch sei abseits der bekanntesten (Massen-)Studienrichtungen noch verstärkt Aufklärungsbedarf gegeben. Hangel kann das aus ihrer Praxiserfahrung nur bestätigen: "Ich habe das Gefühl, dass gute Studienberatung der Schlüssel ist, um zu starke Ballungen auf einige Studienrichtungen zu verhindern."
Geschlechtsspezifische Interessen
Der zweite Zweig der Schülerberatung seitens der ÖH ist die "Maturant/innenberatung". Bei den Terminen besuchen Studierende die Schüler direkt an den Schulen und beantworten Fragen. Laut dem jüngsten Abschlussbericht wurden so 2012/13 insgesamt rund 18.500 Schüler erreicht. Was das artikulierte Interesse an bestimmten Studienrichtungen betrifft, zeigten sich demnach deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede - vor allem bei "sozialen" Studien: So liegen bei Psychologie (10 Prozent) und Sprachen (10 Prozent), sowie Lehramt (10 Prozent) und auch Sozialwissenschaften (8 Prozent), Schülerinnen vorne. Das Interesse der Schüler hingegen konzentriere sich vorrangig auf wirtschaftliche (15 Prozent) und technische (15 Prozent) Studienrichtungen, sowie Naturwissenschaften (10 Prozent). Am auffälligsten seien die Unterschiede bei Technik (11 Prozent mehr Schüler), Sprachstudien (fünf Prozent mehr Schülerinnen) und Psychologie (sechs Prozent mehr Schülerinnen).
Das System der Studienberatung, wie es sich derzeit in Österreich darstellt, bewertet Hangel prinzipiell positiv. Trotz des sukzessiven Ausbaus der Beratungsmöglichkeiten brauche die ÖH aber noch Zeit, um in den neu dazugekommenen Bundesländern wie Kärnten Strukturen zu schaffen: "Es wurden in den letzten Jahren gute Grundlagen geschaffen, die aber stark ausbaufähig sind."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science