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Mehr zum Thema / Mario Wasserfaller / Mittwoch 01.12.21

Die Natur inhalieren lassen

Böden und Wälder sind die größten terrestrischen Kohlenstoffspeicher. Durch den Aufbau von Humus und ein besseres Waldmanagement könnte noch weit mehr CO2 aus der Luft in der Vegetation und Kulturlandschaft gespeichert werden, sind Forscherinnen der Universität für Bodenkultur (BOKU) überzeugt. Die Krux liegt dabei wie so oft nicht in der technischen Machbarkeit, sondern beim Menschen selbst. Ohne politische Vorgaben und wirtschaftliche Anreize wird es bei akademischen Rechenspielen bleiben.
Foto: Sophie Zechmeister-Boltenstern

Laut aktuellem Klimaschutzbericht ist die Landnutzung in Österreich eine Netto-Senke, es wurde im Zeitraum 1990 bis 2019 in allen untersuchten Kategorien – Acker, Grünland, Feuchtgebieten, Siedlungsraum, sonstiges Land, Holzprodukte, Wald – also mehr Kohlendioxid aufgenommen als abgegeben  (mehr dazu in „Treibhausgase – Mengen und Trends in Österreich“). Das heißt nicht, dass die Potenziale ausgereizt wären. Im Gegenteil. Zum Beispiel könnten allein schon renaturierte Feuchtwiesen und Moore einen zentralen Part bei der Erreichung der österreichischen Klimaziele einnehmen, wie eine jüngst präsentierte Studie im Auftrag der Initiative „Mutter Erde„, die vom Institut für Naturschutzforschung und Ökologie (VINCA) durchgeführt wurde, gezeigt hat. „Auf eine fixierte Flächengröße (also etwa auf 1 Hektar) bezogen weisen Moore die größte Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung auf, gefolgt von Wäldern und extensiv genutzten Wiesen und Weiden“, heißt es darin etwa.

Mehr Moor, mehr Wiese

Feuchtwiesen und Moore sind weltweit betrachtet der größte Kohlenstoffspeicher, noch vor Wäldern. Dementsprechend müsse der Fokus der weltweiten Naturschutzbestrebungen nicht nur auf dem Erhalt und der Wiederherstellung von Wäldern liegen, sondern auch auf Wiesen und Mooren, die unter der Erde deutlich größere Mengen an CO2 binden können als Wälder. Die Wiederherstellung von Mooren ist zwar aufwendig, lohne sich aber, so Anita Malli von Mutter Erde, die das wiederbelebte Karwendelmoor in Tirol als positives Beispiel hervorhebt.

In Niederösterreich gibt es mit dem Herrngras in Moosbrunn ein Niedermoorgebiet, das seit 40 Jahren unter Naturschutz steht und sich durch besondere Artenvielfalt auszeichnet. In Österreich werden rund 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt, dabei werden jährlich rund acht Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Würde man nur ein Prozent dieser Flächen zu Feuchtwiesen – etwa in (ehemaligen) Überschwemmungsgebieten von Flüssen – renaturieren, könnten diese eine Millionen Tonnen CO2 jährlich im Boden binden.

Studie von „Mutter Erde„/VINCA: TEIL A  TEIL B

Diesem Ansinnen steht freilich die zunehmende Bodenversiegelung entgegen. „Wo Österreich ganz schlecht ist, aber das ist kein Geheimnis, ist der Bodenverbrauch. Da sind wir Europameister“, erklärte Sophie Zechmeister-Boltenstern, Leiterin des Instituts für Bodenforschung an der BOKU. Werden Böden abgetragen und versiegelt, dann verpufft ein großer Teil des Kohlenstoffs der darin gebunden ist, in Form von CO2 in die Atmosphäre. In Summe kommen riesige Mengen zusammen, rechnet die Expertin vor: „Eine humusreiche Wiese kann zum Beispiel 180 Tonnen CO2 pro Hektar speichern.“

“Eine humusreiche Wiese kann 180 Tonnen CO2 pro Hektar speichern.” Sophie Zechmeister-Boltenstern

Angewandter Klimaschutz durch Humusaufbau ist erstmals durch die 4-Promille-Initiative im Zuge der UN-Klimakonferenz in Paris („COP21“, 2015) in den Fokus gerückt. „Wenn es uns gelingt, den Humusgehalt der Böden auf der ganzen Welt um vier Tausendstel pro Jahr zu erhöhen, dann könnte man theoretisch den jährlichen von Menschen verursachten CO2-Ausstoß dadurch einfangen. Das ist aber ein sehr theoretischer Ansatz, das ist praktisch kaum durchführbar“, so die Bodenforscherin, die es kürzlich zum zweiten Mal in Folge in die Liste der weltweit meistzitierten und einflussreichsten Wissenschafter/innen geschafft hat – als eine von zwei Frauen unter 43 zumindest teilweise in Österreich tätigen Forschern.

Laut der im Oktober 2020 in Nature Communcations erschienenen Studie „Towards a global-scale soil climate mitigation strategy“ könnte die nachhaltige Absonderung von Kohlenstoff in die Böden zwischen 0,79 und 1,54 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Zum Vergleich: Der jährliche menschgemachte CO2-Ausstoß durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe beträgt rund neun Gigatonnen.

Kohlenstoffkreislauf im Schnelldurchlauf

Der natürliche Kohlenstoffzyklus ist ein System komplexer Wechselwirkungen, das in verschiedenen Teilschritten zwischen Lithosphäre (Gesteine), Hydrosphäre (Wasser), Biosphäre (Lebewesen), Atmosphäre (Luft), und der Pedosphäre (Boden) Kohlenstoff umwandelt bzw. kohlenstoffhaltige Verbindungen wie CO2 miteinander austauscht. Wälder und Böden stehen dabei in einer besonderen Beziehung. Über die Photosynthese nehmen Pflanzen Kohlendioxid aus der Luft auf und geben  Sauerstoff ab, sie sind Kohlenstoffsenken und -speicher. Abgestorbene Pflanzenteile werden von Mikroorganismen im Boden zu Kohlenstoffverbindungen zersetzt. Organische Zersetzungsprozesse sorgen wiederum dafür, dass aus dem Boden – unter anderem – CO2 entweicht.

 

Die Menge hängt von natürlichen Schwankungen ab, wird aber auch durch Umweltänderungen und Landnutzung beeinflusst. Entscheidend bei diesen Prozessen ist die globale Bilanz. Nehmen Wälder und Böden mehr oder weniger Kohlenstoff auf, als sie wieder in die Atmosphäre abgeben? Zahlen und Fakten dazu und wie das im Detail funktioniert, ist im Beitrag „Der Kohlenstoffkreislauf“ nachzulesen.

In Österreich scheint das Bewusstsein für eine nachhaltige und klimafreundliche Bodenbewirtschaftung zu wachsen. „Es war aus meiner Sicht überwältigend, wie viele Menschen sich jetzt mit dem Thema Boden und Klima auseinandersetzen und wie viele Initiativen es dazu gibt“, bilanzierte die Bodenforscherin im Anschluss an das „Bodenforum Herbst 2021„, es sei ein Thema, das geradezu explodiert.

Seit den 1990er-Jahren steigt der Humusgehalt in den heimischen Böden wieder langsam, nachdem er seit den 1960er-Jahren gesunken ist. Die Bodenforscherin sieht eine „Win-Win-Situation“, wenn degradierte Böden wieder verstärkt mit Humus angereichert werden. Zum einen erhöht sich dadurch die Bodenfruchtbarkeit, zum anderen wird mehr Kohlenstoff gespeichert und die Böden werden widerstandsfähiger gegen Trockenheit, extreme Niederschläge und Erosion.

EJP SOIL

Auf europäischer Ebene nimmt sich das mit 80 Millionen Euro dotierte Forschungsprogramm EJP SOIL (2020 bis 2025) der Frage an, wie Böden nachhaltiger bewirtschaftet werden können. Daran beteiligt sind die BOKU und der Verein BIOS Science Austria gemeinsam mit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), dem Umweltbundesamt, Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) und Bundesamt für Wasserwirtschaft (BAW). Die 26 Partnerorganisationen aus 24 Ländern wollen Landwirten und -besitzern Wissen und Informationen über den Boden zur Verfügung stellen. Im Fokus steht die Förderung einer klimafreundlichen Bodenbewirtschaftung, die organische Kohlenstoffspeicherung (Humusanreicherung) begünstigt und Treibhausgase im Boden bindet.

Im Rahmen von EJP SOIL gibt es derzeit 20 Forschungsprojekte, weitere sind geplant. An der BOKU laufen aktuell mehrere Untersuchungsstränge des Programms zusammen. Das Team um Zechmeister-Boltenstern beforscht darin unter anderem die Biodiversität im Boden – etwa wie Mikroorganismen Kohlenstoff in den Boden pumpen können. Ein weiterer Forschungszweig widmet sich anderen Treibhausgasen. „Damit es nicht passiert, dass man jetzt zum Beispiel Humus im Boden anreichert und dabei vielleicht mehr Lachgas und Methan – das sind die anderen wichtigen Treibhausgase – gefördert werden“, erklärt die Bodenforscherin.

Grün ist die Klima-Hoffnung

Ein Kernthema bei alldem sei es, den (Acker-)Boden möglichst immer grün zu halten, weil Pflanzen in Zusammenarbeit mit Bodenorganismen Kohlenstoff in den Boden einbringen und ihn in Humus einbauen. „Wenn der Boden offen daliegt, wird immer Kohlenstoff veratmet, also Humus abgebaut und entweicht in die Atmosphäre“, so die Expertin. „Sind dagegen Pflanzen da, dann holen sie im Idealfall über Photosynthese CO2 aus der Luft und dieses geht entweder über die Wurzeln in den Boden und wird in Humus eingebaut – oder es werden die Ernterückstände in den Boden eingearbeitet.“ Ebenso könne man Kompost oder Stallmist in den Boden bringen, damit die Kreisläufe geschlossen werden. Zudem gebe es noch die Möglichkeit, Pflanzenkohle in den Boden einzuarbeiten – „das ist eine sehr stabile Form von Kohlenstoff.“

Das Programm ist auf fünf Jahre ausgelegt, laut Zechmeister-Boltenstern arbeitet die EU bereits an einer Fortsetzung. Demnach sollen in den nächsten zehn Jahren EU-weit bis zu 500 Millionen Euro für das Thema Bodengesundheit aufgestellt werden. „Ein Ziel von EJP Soil ist es, erst einmal Ordnung zu bringen in das Durcheinander der nationalen Bodenuntersuchungen und –Kartierungen“, erläutert sie.

So verlaufe zum Beispiel zwischen Österreich und Tschechien auf der Karte eine Grenze beim Humusgehalt, die nicht mit der Natur, sondern mit unterschiedlichen Mess- und Kartiermethoden zu tun hat. „Am Ende der fünf Jahre sollte eine gemeinsame Infrastruktur geschaffen werden, damit alle Länder gut aufeinander abgestimmt sind bei diesem Thema. Man sollte wissen, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, sich in der Landwirtschaft an das Klima anzupassen und gleichzeitig den Klimawandel einzudämmen“, sagt die Expertin.

Wälder im Klima-Zwiespalt

Die Situation der Wälder ist weltweit gesehen durchaus ambivalent. Die einst grünen Lungen um den Äquator leiden immer öfter unter „Raucherhusten“. Durch Waldbrände und Abholzung haben sich laut der Weltmeteorologieorganisation (WMO) Teile des Amazonas inzwischen erstmals von einer sogenannten CO2-Senke zu einer CO2-Quelle entwickelt. Während in diesem Fall die Ursachen für diese Entwicklung plausibel und relativ leicht nachvollziehbar erscheinen, ist das historisch gesehen oft komplexer.

In einer aktuellen Studie konnte Simone Gingrich vom Institut für Soziale Ökologie der BOKU zeigen, „dass in Österreich die Umstellung auf Kohle und die effizientere Viehwirtschaft sehr stark dazu beigetragen haben, dass die Wälder im 19. Jahrhundert aufgehört haben, Kohlenstoff zu verlieren, sondern sich in eine Senke umgewandelt haben“. Derartige Prozesse hätten ermöglicht, dass der Wald zurückkommt, erklärte die Expertin, die 2018 ihr vom ERC gefördertes Starting Grant-Projekt „HEFT – Hidden Emissions of Forest Transitions: GHG effects of socio-metabolic processes reducing pressures on forests“ startete, im Gespräch mit APA-Science. „Und dieser Umstieg auf eine industrialisierte Form der Ressourcennutzung, der Energieverwendung, der Landwirtschaft, führt eben auch zu Emissionen.“

Den globalen Triebkräften auf der Spur

International haben sich Gingrich und ihr Team angesehen, was die hauptsächlichen Triebkräfte für globale Veränderungen im Kohlenstoffbestand von Wäldern sind (siehe „Wie sich Wälder weltweit ohne menschlichen Einfluss entwickelt hätten“). Auf Basis von Waldinventuren konnten sie nachweisen, dass in den vergangenen 30 Jahren die Entwaldung in den Tropen die Hauptursache für die Emissionen der Wälder war. „Im globalen Norden konnten wir zeigen, dass die Zunahme von Waldwachstum eigentlich der Hauptfaktor war, der zur Wiederbewaldung geführt hat – und nicht zum Beispiel die Ausweitung von Wäldern.“

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Wald in Österreichs Klimabilanz zu einer starken Kohlenstoffsenke entwickelt. Den daraus resultierenden Optimismus kann die Forscherin nicht ganz teilen – wenn gleichzeitig auch Szenarien mit mehr Holzernte entwickelt werden: „Sozusagen diese Gleichzeitigkeit: Wir steigern dauerhaft sowohl die Erträge als auch die Kohlenstoffsenke. Da bin ich skeptisch.“

Derzeit arbeitet die Forscherin gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an einem Optionen-Dokument im Rahmen der Initiative „Uni Netz“, in dem konkrete Handlungsempfehlungen für Österreich formuliert werden sollen, die eine nachhaltige Kohlenstoffsenke zum Ziel haben.

Die Boku-Expertinnen

Simone Gingrich studierte an der Uni Wien Ökologie und begann nach dem Diplomstudium 2005 am Institut für Soziale Ökologie - damals an der Uni Klagenfurt, seit 2018 an der Boku Wien angesiedelt.

Sophie Zechmeister-Boltenstern zählt zu den meistzitierten Wissenschafterinnen weltweit. In ihrer Forschung fokussiert sie sich auf die Rolle der Böden als mögliche Senken für Treibhausgase.

Wälder als „Brückentechnologie“

Als Botschaft ist Simone Gingrich wichtig, dass es das vorrangige Klimaschutzziel sein müsse, die Emissionen zu senken. Aber: „Wir wissen, dass wir eine Krise haben, wo wir alle Hebel in Bewegung setzen müssen, die uns zur Verfügung stehen. Gerade in den nächsten Jahrzehnten – bis andere Technologien zur Verfügung stehen, mit denen man vielleicht CO2 aus der Atmosphäre saugen kann -, stehen Wälder großflächig zur Verfügung. Bis dahin könnte eine Extensivierung von Wäldern durchaus auch dazu beitragen, dass diese noch stärkere Kohlenstoffspeicher werden. Als Brückentechnologie kann das eine sinnvolle Maßnahme sein.“

Auch Sophie Zechmeister-Boltenstern zeigt sich für das Weltklima grundsätzlich (zweck-)optimistisch: „Aber die Lage ist sehr, sehr ernst. Ich wünsche mir oft, ich wäre nicht die Biologin und ich würde nicht so viel wissen, wie ich weiß. Weil ich weiß: Die Rückkopplungseffekte in der Natur die wir anstoßen, sind, wenn sie einmal ins Rollen gekommen sind, nicht mehr so leicht aufzuhalten. Also verzögern ist wirklich ein Spiel mit dem Feuer. Aber natürlich bin ich optimistisch, weil ich will ja etwas tun.“

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