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Mehr zum Thema / Anna Riedler / Donnerstag 08.04.21

Bionik, kinderleicht erklärt

Es sind Superkräfte, von denen Ille Gebeshuber erzählt, aber nicht jene von Super- oder Spiderman, sondern die „Superkräfte der Natur“. Über das Zusammenspiel von BIOlogie und TechNIK, das längst nicht Hollywood vorbehalten ist, weiß sie als Bionikerin gut Bescheid. In der 80. Wiener Kindervorlesung sprach sie darüber, „was wir von Tieren, Pflanzen und ganz kleinen Organismen für bessere Technologien lernen können“. Und das trotz der Komplexität des Themas kindgerecht und einfach verständlich.
Ille Gebeshuber

Normalerweise finden die Vorlesungen des ZOOM Kindermuseum im Museumsquartier in Wien statt, in Zeiten von Corona ist es stattdessen ein Youtube-Livestream, über den mehr als 50 Kinder den Vortrag verfolgen. Fragen können ganz einfach in den Chat geschrieben oder telefonisch gestellt werden.

Eine Kamera, eine Leinwand mit Beamer und eine Powerpoint-Präsentation, einen Hut im Stil von Sherlock Holmes und eine Lupe, mehr braucht Ille nicht.  „Was ist eine Gelse“, fragt sie und antwortet gleich selber: Sie sticht, es juckt, man muss sich kratzen; wenn nachts im Zimmer eine Gelse ist, macht sie ein grausiges Geräusch; ich mag keine Gelsen. Von einem Bioniker oder einer Bionikerin, so Ille, würde man aber eine ganz andere Antwort zu hören bekommen – nämlich eine  Auflistung aller Dinge, die eine Gelse kann, obwohl sie so klein ist. „Sie kann schmecken, sie kann fühlen, sie kann fliegen, sie kann riechen, sehen und Blut pumpen. Wenn wir Menschen derzeit etwas machen, das so klein ist und so viel kann wie eine Gelse, dann kostet es wahnsinnig viel Geld und Zeit – und wenn das Ding kaputt ist, ist es Müll. Eine tote Gelse aber ist Futter für andere Lebewesen.“

Die Glaspaläste der Kieselalgen

 

Aber es geht noch kleiner als die Gelse. Der hässliche, nutzlos erscheinende Schleim, von dem Ille Fotos zeigt, entpuppt sich unter dem Mikroskop als Wunderwelt in Blautönen. Faszinierende Formen treiben darin herum, gar nicht so leblos wie gedacht. Goldene Ovale stellen sich als Kieselalgen heraus – diese sind Illes besondere Lieblinge.

 

Sie kommen in unterschiedlichen Formen vor, haben aber alle eines gemeinsam: „Sie bauen sich Häuser aus Glas.“ Daraus, so Ille, könnten wir lernen, Glas nachhaltig und umweltfreundlich herzustellen. Je genauer man hinsieht, desto schöner werden die Algen. Immer mehr vergrößert Ille, bis die einzelnen Atome sichtbar werden.

 

An dieser Stelle kommt eine telefonische Frage: Wie produziert die Kieselalge eigentlich das Glas, will ein Kind wissen. Darauf weiß aber auch Ille keine Antwort, denn genau das beschäftigt die Forschung zurzeit. „Was man weiß ist, dass die Kieselalgen Glasmoleküle haben und mithilfe von Eiweißen die Struktur des Glases aufbauen. Glaskristall folgt auf Eiweiß folgt auf Glaskristall folgt auf Eiweiß, und so weiter. Wie die Zähne eines Babys wachsen die Glasbauten in eine Richtung.“ Aber diese Eiweiße näher zu untersuchen, darum geht es gerade.

Von Klettverschlüssen und Flugmaschinen

 

Ein bisschen greifbarer als die Glaspaläste der Kieselalgen ist da schon der Klettverschluss. Nach einem Spaziergang mit seinem Hund, von dem dieser klettenbehangen zurückkehrte, legte Ingenieur Georges de Mestral die Früchte unters Teleskop und entwickelte nach demselben Prinzip eine Möglichkeit, mit Häken und Bögen Materialien miteinander zu verbinden. Die Patentierung folgte 1951, „der Rest ist Geschichte – mittlerweile hat fast jeder irgendwo einen Klettverschluss“.

 

Schon Leonardo da Vinci holte sich für seine Flugmaschinen Inspiration bei den Vögeln, erklärt Ille, und auch heute noch lernen wir von Vogelknochen Bauweisen für Häuser oder für Fluggeräte. Das eingebaute Navigationssystem der Biene, der Flügel des Adlers, das schützende Fell eines Tigers – Beispiel um Beispiel listet Ille, um zu verdeutlichen, wie wir von Tieren lernen können.

Ab in den Urwald

 

Gegen Ende der Vorlesung wechselt Ille ihre Kopfbedeckung und trägt nun Tropenhelm, denn wir begeben uns auf Expedition nach Malaysia, wo uns zunächst Rajah Brooke‘s Birdwing begegnet, ein Schmetterling. Der schwarze Außenrand seiner farbenprächtigen Flügel bleibt immer kühl. Nach seinem Vorbild könnte man eine Beschichtung für Häuser in den Tropen entwickeln, um sich Klimaanlagen zu sparen, überlegt Ille. Auf einen blauen Farn, der von Innen zu leuchten scheint, folgt ein Long Horn Beetle mit Facettenaugen und Antennen, die mit einem Kugelgelenk im Kopf befestigt sind, „wofür man für ganz kleine Maschinen etwas lernen kann“.

Die Wesen des Urwalds

Im Urwald begegnen uns Rajah Brooke‘s Birdwing ...

... ein Long Horn Beetle ...

... und ein blauer Farn, der von innen zu leuchten scheint.

Neugierde als Voraussetzung

 

Ob die Vorlesung auf positive Resonanz stößt, lässt sich lediglich durch die Anrufe und Chatnachrichten abschätzen – hier kann man jedoch eine rege Beteiligung ablesen. Diejenigen, die damit nicht bis zu Ille vordringen, bekommen ihre Fragen vom Museums-Team beantwortet.

 

Wer sich jetzt für die Bionik interessiert, schließt Ille, für den ist ganz wichtig, neugierig und verspielt zu sein, sich für die kleinsten Dinge genauso wie für die großen zu interessieren und sie zu mögen. Das sei wichtiger als die Wahl des Studiums, denn wer nach „Bionik“ sucht, wird bei einer Liste der Studiengänge nicht fündig. Stattdessen solle man ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium wählen, etwa Botanik, oder eben Physik, so wie sie es getan hat, rät Ille.

Über Ille Gebeshuber

Die Physikerin ist am Institut für Angewandte Physik an der Technischen Universität Wien tätig. Hauptarbeitsgebiete der gebürtigen Steirerin sind Nanophysik und Biomimetik. In ihrer Arbeit als Bionikerin versucht sie, Probleme zu lösen, indem sie sie aus einem neuen, unkonventionellen Blickwinkel betrachtet.

 

Expeditionen in den malaysischen Regenwald hat sie tatsächlich durchgeführt, mit ihren Dissertantinnen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, von Medizin über Ingenieurswissenschaften bis hin zu Kunst.

 

Bionik ist ihrer Meinung nach „eine Methode und weniger ein Wissensbereich“, weshalb ein Bionikstudium für sie eher „eine Einschränkung als eine Ausweitung der Möglichkeiten der Studierenden“ bedeuten würde.

Über die Wiener Kinder-vorlesungen

Von Vampirglauben über Statistik bis hin zu Quantenphysik: Seit 2003 wird im ZOOM Kindermuseum Kindern im Alter von acht bis zwölf Wissenschaft vermittelt. Die Vorlesungen dauern 50 Minuten und werden von „renommierten österreichischen und internationalen Wissenschaftler*innen“ gehalten, wie der Website des Museum zu entnehmen ist.

 

Wegen Corona werden die Vorlesungen zurzeit live gestreamt.

 

https://www.kindermuseum.at/wiener_kindervorlesungen

Mehr zum Thema

Im Beitrag „Der Traum von einem Bionik-Studium“ erklärt Physiker Christian Teissl, was es sonst noch braucht, um Bioniker oder Bionikerin zu werden.

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