Vorsprung durch Forschung
Wirkliche Top-Leistungen im Spitzensport sind ohne sportwissenschaftliche Unterstützung kaum noch möglich. Wie Wissenschafter in Österreich an Spitzenleistungen mittüfteln, wie Sensoren und andere Technologien entscheidenden Feinschliff verschaffen können, wie Freizeitsportler von all dem Know-how profitieren und wo die Grenzen und Schattenseiten der Leistungsoptimierung liegen, hat sich APA-Science näher angesehen.
Von der Leichtathletik über Skifahren bis zum Reiten oder Bogenschießen - sportliche Betätigung kann scheinbar zahllose Formen annehmen. Alleine in Österreich werden laut Bundessportorganisation (BSO) in ungefähr 900 Bewerben Staatsmeisterschaften abgehalten. Gewiss nicht überall braucht es Hightech-Ausrüstungen oder nach wissenschaftlichem Know-how gestaltete Trainings- und Wettkampfpläne, um vorne mit dabei zu sein.
Aus einigen Bereichen ist sportmedizinische - oder allgemeiner - sportwissenschaftliche Expertise jedoch nicht mehr wegzudenken. Das erklärte der Sportmediziner und langjährige Leiter der Abteilung Sport- und Leistungsphysiologie der Universität Wien, Norbert Bachl. Diese Zuspitzung habe sich vor allem in den vergangenen 25 bis 30 Jahren entwickelt. Trotz aller Erkenntnisse sei der Stellenwert des Sports in Österreich zu gering. Das zeige sich auch daran, dass eine international herzeigbare Förderung des Wissenschaftsfeldes nicht in Sicht sei.
Sportmedizin als Vorreiter
Die Sportmedizin habe gewissermaßen eine Art Vorreiterrolle inne gehabt. Die vier universitären sportwissenschaftlichen Institute in Österreich hätten hier auch in Kooperation mit Sportverbänden nachgezogen. Hervorzuheben sei etwa die langjährige Zusammenarbeit des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) vor allem mit Wissenschaftern der Unis Innsbruck und Salzburg, so der Direktor des Österreichischen Instituts für Sportmedizin (ÖISM). In jüngerer Vergangenheit habe sich auch durch die Einrichtung der sechs Olympiazentren einiges getan.
Die heimische Szene ist auch in der Österreichischen Sportwissenschaftlichen Gesellschaft (ÖSG) vernetzt. Mit etwa 130 Mitgliedern in den Sektionen Biophysiologie, Geschichte, Psychologie, Soziologie und Sportpädagogik sei sie im internationalen Vergleich ein kleinerer Verband, sagte der aktuelle Geschäftsführer der Gesellschaft, Pavel Dietz, vom Institut für Sportwissenschaft der Uni Graz.
Das deutsche Pendant, die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), zähle mehrere tausend Mitglieder, so der Forscher, der vor zwei Jahren von Deutschland an die Uni Graz gewechselt ist. "Auf jeden Fall sind die Österreicher aber sehr forschungsstark", in der heimischen Szene tummeln sich laut Dietz "einige Hochkaräter, die international extrem gut ausgewiesen sind".
"Wie bekommen wir die Österreicher aktiv und gesund?"
In Graz entwickle sich beispielsweise unter der Leitung der niederländischen Epidemiologin Mireille van Poppel gerade ein neuer Schwerpunkt im Bereich "Öffentliche Gesundheit". Im Prinzip geht es bei den teilweise auch aus EU-Fördertöpfen gespeisten Forschungsvorhaben um die Frage "Wie bekommen wir die Österreicher aktiv und gesund?", sagte Dietz (siehe auch "Schwitzen für mehr Hirnschmalz"). Bisher sei man noch stark mit der Frage beschäftigt, was eigentlich über mehrere Bevölkerungsgruppen empfehlenswert ist. Dabei schaue man sich auch sehr genau spezielle Gruppen, wie Schwangere, ältere Menschen oder Leute mit depressiven Erkrankungen.
Der nächste Schritt sei dann, solche Empfehlungen an Frau, Mann und Kind zu bringen. "Vor allem im Kinder- und Jugendbereich kann man nämlich am meisten machen. Da wird gesundheitlich natürlich viel geprägt", so der Sportwissenschafter, der auch ein vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) initiiertes, groß angelegtes Programm namens "Kids-Club" wissenschaftlich begleitet hat.
Technologie als Pacemaker für Forschung
Auch in der Sportmedizin stehe traditionell die Gesundheitsstabilität im Zentrum, erklärte Bachl. Dass die wissenschaftliche Komponente im Spitzensport so eine Bedeutung bekam, ist auch auf diverse technologische Entwicklungen zurückzuführen, etwa im Materialbereich, aber auch was Geräte betrifft, mit denen der trainierende oder sogar wettkämpfende Körper analysiert werden kann (siehe auch "Digital und vernetzt ..."). "Dadurch ist natürlich auch die Forschung intensiviert worden. Gleichzeitig kommt aber die Leistungsdiagnostik dazu, wo ebenfalls durch neue Verfahren, durch die Erneuerung des Equipments in Richtung tragbare Geräte, die Begleitung des Athleten nicht nur im Labor möglich ist. Das sind natürlich Dinge die von der Sportmedizin genutzt werden", so Bachl. Damit werde viel klarer ersichtlich, mit welcher Beanspruchung verschiedene Athleten auf bestimmte genormte Belastungen reagieren (siehe auch "Im Grenzgebiet der Leistungsfähigkeit").
Vor allem an den Unis erweitert sich das wissenschaftliche Spektrum in den vergangenen Jahren in Richtung Genetik und molekulare Leistungsphysiologie. So versuche man etwa herauszufinden, warum verschiedene Trainingsformen gut oder schlecht zusammen passen, "oder ob bestimmte Genvarianten zu bestimmten Formen der Leistungsfähigkeit beitragen", erklärte Bachl. In den Sportwissenschaften habe die Biomechanik und Informatik neue Schwerpunkte gesetzt. Auch hier sind neue Geräte die Treiber der Entwicklung. Vor allem an den Unis in Innsbruck und Salzburg komme noch ein starker Fokus auf Materialkunde dazu.
Vorrang für Sportlerfragen
Neuere Forschung habe etwa zu einer gewissen Begrenzung von sehr intensivem Training geführt. Immer mehr Augenmerk werde auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse auch auf eine gute Grundlagenausdauer als Basis für sportart-spezifisches Training gelegt. "Es wird auch versucht, die Regenerationssteuerung sozusagen wissenschaftlich in die Hand zu nehmen", sagte Bachl, der auch die Psychologie (siehe auch "Sport und Psyche - Die 'Sportler-Persönlichkeit' gibt es nicht") im sportwissenschaftlichen Bereich im Kommen sieht. Insgesamt gelte: "Fragen, die vom Sportlern kommen, haben Priorität in der Beantwortung."
Von all dem profitiere auch der Breitensport, zeigte sich der Wissenschafter überzeugt. Aus dem Spitzensportbereich haben es beispielsweise diverse Fitness-Tracker bis an die Handgelenke zahlreicher Freizeitsportler geschafft. Die Weiterentwicklungen auf diesem Gebiet seien "wirklich beeindruckend". Das gebe vielen Menschen neue Möglichkeiten etwas über den eigenen Körper zu erfahren. Da zahlreiche Studien auf Vergleiche von Leistungssportlern mit weniger trainierten Personen beruhen, lerne man auch auf breiterer Ebene sehr viel praktisch nützliches über andere gesellschaftliche Gruppen.
"De facto wird viel zu wenig für den Sport getan"
Für den Wissenschafter, der von 1997 bis 2009 als Präsident der Europäischen Sportmedizinischen Gesellschaft (EFSMA) fungierte, wird gesamtgesellschaftlich gesehen dem Sport in Österreich allerdings zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch die Höhe der Förderungen des gesamten Feldes - inklusive der Wissenschaft - sei im Vergleich mit anderen Ländern zu gering. Nach den für Österreich in der Medaillenbilanz sehr bescheidenen vergangenen Olympischen Spielen in Rio de Janeiro habe es wieder geheißen, dass etwa die Sportförderung in einer Hand gebündelt werde. Bis auf einen Gesetzesentwurf sei aber noch nicht viel passiert. Die Zeit bis zu den nächsten Spielen ticke aber unaufhörlich, so der mehrfach olympiaerfahrene Mediziner: "De facto wird viel zu wenig für den Sport getan in Österreich."
Einen grundlegenden Fehler ortet Bachl darin, dass die heimischen Verbände nicht dazu gezwungen seien, "strukturierte Konzepte mit Zwischenzielen und Zielen auf den Tisch zu legen, nach denen sie dann auch Geld bekommen". Trotz mehrfach anderslautender Ankündigungen regiere immer noch das Gießkannen-Prinzip. Eine neutrale externe Begutachtung über den sinnvollen Einsatz der vergebenen Mittel fehle.
Forderung nach zentraler Anlaufstelle
An letzterem mangle es auch bei der Vergabe von Förderungen in den Sportwissenschaften. In Deutschland gebe es mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaften eine schlagkräftige Einrichtung. "Dort kann der Sport und die Wissenschaft Projekte einreichen und die werden extern begutachtet", führte Bachl ins Treffen. Ein solche Stelle, "wo nach echten und harten Kriterien Projekte begutachtet werden", bräuchte es nach dem Geschmack des Forschers auch in Österreich. Um im Leistungssport zumindest in einigen ausgewählten Sportarten international einigermaßen auf Augenhöhe zu bleiben, müsste eine solche Institution auch mit ausreichenden Mitteln in Millionenhöhe ausgestattet werden.