Ars-Electronica-Futurelab-Chef fordert gesellschaftliche Veränderung
Das Ars Electronica Futurelab behauptet sich seit 25 Jahren als Forschungslabor und Vorreiter und arbeitete schon früh transdisziplinär. Damals wie heute an Bord ist Horst Hörtner, Leiter des Futurelab und mittlerweile auch Technischer Geschäftsführer der Ars Electronica. Als brennendstes Thema sieht er im APA-Gespräch die "psychologische Hürde" hin zu notwendigen Veränderungen. "Die Regeln gibt es längst, es geht nur noch darum sie einzuhalten."
1996, als noch niemand von Transdisziplinarität sprach - "Immerhin ist das Wort mittlerweile auf die Welt gekommen, vor 25 Jahren war das undenkbar" - begann ein kleines Team im Futurelab Visionen zu entwickeln, über den Tellerrand der Disziplinen hinaus, die Gesellschaft im Blick, den Blick immer in die Zukunft gerichtet. "Mit Methoden, die in der wissenschaftlichen Arbeit nichts verloren haben, aber die in der Kunst approbiert sind", nennt Hörtner Provokation und Spekulation als Beispiele.
Spielwiese zwischen Wirtschaft und Unis
Das Futurelab fand seine Spielwiese in der sich auftuenden Kluft zwischen der Wirtschaft, "die von den 1960er-Jahren weg begann sich immer stärker zu effizienzieren" und den Fach-Publikationen nachjagenden Unis. "Bei uns geht es bei jeder Entwicklung um den Bedeutungszusammenhang für das Individuum, die Gesellschaft." Auch viele Industriebetriebe hätten gespürt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz überlebenswichtig sei. Die Autoindustrie sei etwa seit zehn Jahren sehr interessiert, mit dem Futurelab Zukunftsvisionen zu entwickeln, und zwar alle Hersteller, ohne auf Exklusivität zu pochen. Das liegt für Hörtner daran, dass über die nächste Generation an Autos hinausgedacht werde und da seien "alle offensichtlich wesentlich entspannter".
Das brennendste Zukunftsthema sei für ihn derzeit "die psychologische Hürde", sich mit bestimmten, auch als bereits notwendig erachteten Veränderungen zu konfrontieren. "Wir wissen, dass wir so nicht weitermachen können, es gibt keinen Bereich der sich ausnehmen kann", sprach Hörtner den Finanzfluss, die Kluft zwischen Reich und Arm, den Klimawandel, die digitale Transformation, Migration an. Die Weiterentwicklung der Welt gehe nicht wie vor Jahrzehnten von den Universitäten aus sondern werde von profitorientierten Interessen gesteuert. Das beginne bei der Ausbildung von Softwarearchitekten, denen der Return of Investment stärker ans Herz gelegt werde als soziale und ethische Bezüge, und gehe weiter zu dem, "was als großartige Innovation verkauft wird" und in Wirklichkeit seit ein paar Jahren immer nur eine Ausweitung der Bequemlichkeit gewesen sei.
"Würden wir endlich aufhören, ständig nur mit Siri zu quatschen oder sie zu entwickeln, und uns stärker darauf fokussieren, was denn existenziell zu erledigen sei, dann glaube ich, könnte man in Bereichen, die sich als Quellen für Migrationswellen darstellen, sehr viel humane Leistung erbringen, dass es lebenswert ist an Ort und Stelle zu bleiben". Als Beispiel nannte er "das weltweit erfolgreichste Drohnenunternehmen in der Zivilgesellschaft", die Firma Zipline, die in Afrika entwickelt wurde, um Blutkonserven auch in entlegene Gebiete zuzustellen.
Technologische Veränderungen realistisch sehen
Auch müsse man aufhören, die technologische Veränderung einfach schönzureden, denn diese technische Entwicklung der Geschichte habe zum Desaster des Klimawandels geführt. "Das Desaster ist so riesig, dass wir das ohne Technologie niemals in den Griff bekommen." Da brauche es die Gemeinschaft, die Staaten, viel stärker als jeden einzelnen. "Ich weiß nicht, warum wir in Europa ein Fairtrade-Siegel brauchen? Es dürfte ja kein anderes Produkt auf den Markt kommen, außer eines, das Arbeitsrechte, Menschenrechte einhält und keine Kinderarbeit zulässt", echauffierte sich Hörtner. "Die Regeln gibt es längst, es geht nur noch darum sie einzuhalten." Jeder müsse davon ausgehen dürfen, dass Gesetze eingehalten und nicht schlichtweg umgangen werden könnten. "Da haben wir noch sehr viel zu tun", sieht er in die Zukunft.
Der Medienkünstler und Forscher rechnet auch noch mit wesentlich stärkeren Anfeindungen gegenüber der Wissenschaft als es sie ohnehin schon gibt. Das habe begonnen mit US-Präsident Donald Trump und sei mittlerweile "mit den Querdenkern und Impfgegnern" in "unserem sozialen Umfeld" angekommen. Hier sieht er das grundsätzliche Verständnis, dass alle in einem Boot sitzen, als Teil der Lösung. "Deshalb müssen wir auch auf Leute zugehen, für deren Handeln oder Perspektiven wir kein Verständnis haben, aber diese Auseinandersetzung muss stattfinden, sonst wird das Boot kentern."
Service: Futurelab Day am Donnerstag beim Ars Electronica Festival "A New Digital Deal", Programm unter http://ars.electronica.art. Buch zum 25-Jahr-Jubiläum: Andreas J.Hirschl: "Alchemists of the Future. Ars Electronica Futurelab. The First 25 Years and Beyond", Hatje Cantz Verlag 2021, 288 Seiten, ISBN 978-3-7757-5139-1, 34 Euro.