Älteste Menschen-DNA enthüllt Neues zur Vermischung mit Neandertalern
Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben durch Genomuntersuchungen Hinweise auf ein genetisch prägendes zentrales "Vermischungsereignis" zwischen Neandertalern und modernen Menschen gefunden. Die hochqualitativen DNA-Analysen von Knochenfragmenten mehrerer vor etwa 42.000 bis 49.000 Jahren im heutigen Thüringen sowie Tschechien lebender Individuen sind laut dem Team die bisher ältesten, die so untersucht werden konnten.
Die Ergebnisse der im Fachmagazin "Nature" veröffentlichten Untersuchungen weisen deutlich auf ein signifikantes "Vermischungsereignis" zwischen modernen Menschen und Neandertalern in einem Zeitraum vor 45.000 bis 49.000 Jahren hin. In diesem Zeitraum gab es offenbar noch eine zusammenhängende Population von frühen Menschen außerhalb Afrikas.
Möglicherweise Genaustausch über 7.000 Jahre hinweg
Belege für einen konzentrierten "Genfluss" zwischen modernen Menschen und Neandertalern etwa in dieser Zeit liefert auch eine zweite neue Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts und der Universität von Kalifornien. Sie analysierten die Länge von Neandertaler-Gensequenzen in Genomen von mehr als 300 modernen Menschen aus unterschiedlichen Epochen. Daraus schlossen sie darauf, dass dieser Austausch vor rund 47.000 Jahren begann und etwa 7.000 Jahre andauerte.
Die Forschenden aus Leipzig, darunter auch der österreichische Wissenschafter Harald Ringbauer, untersuchten für die erste Studie gemeinsam mit Experten aus anderen Ländern die Knochen moderner Menschen aus der Ilsenhöhle bei Ranis in Thüringen und aus der rund 230 Kilometer entfernten Fundstätte Zlatý kůň in der Nähe von Prag in Tschechien. Es handelt sich demnach um die ältesten Genome moderner Menschen aus dem eiszeitlichen Europa, die bisher von Wissenschaftern sequenziert wurden.
Kleine, über größeres Gebiet verstreute Gruppe
Insgesamt handelte es sich dabei wohl um eine zusammenhängende Population von nur einigen hundert Menschen, die über einen Zeitraum von mehreren Generationen ein größeres Gebiet in dieser Region bewohnte und verwandtschaftliche Beziehungen pflegte. In ihrer DNA fanden sich Genvarianten, die auf dunkle Haut- und Haarfarbe und braune Augen hindeuten. Dies sei "wohl ein Resultat des jüngeren afrikanischen Ursprungs dieser frühen europäischen Population", erklärten die Experten.
Hinweise auf kürzlich erfolgte Vermischung mit Neandertalern fanden sich in den Genomen aus Ranis und Zlatý kůň zwar nicht. Allerdings fanden sich darin trotzdem dieselben DNA-Spuren von Neandertalern, die sich bei allen heute außerhalb Afrikas lebenden Menschenpopulationen nachweisen lassen.
"Vermischungsereignis" vor 45.000 bis 49.000 Jahren
Überreste moderner Menschen außerhalb Afrikas, die älter als 50.000 Jahre sind, haben diese Genüberschneidungen nach Angaben des Instituts dagegen nicht. Insgesamt folge daraus, dass es vor etwa 45.000 bis 49.000 Jahren ein "Vermischungsereignis" zwischen Neandertalern und modernen Menschen gegeben habe, nachdem der Homo sapiens Afrika verlassen hatte. Die Menschen aus Ranis und Zlatý kůň gehörten zu einer Abspaltung der Ursprungspopulation, die sich anschließend allmählich über Europa und Asien verbreitete.
Ganz ähnliche Schlüsse lässt die zweite Studie unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts zu. Die Analyseergebnisse zeigten, "dass die überwiegende Mehrheit der Neandertaler-Abstammung auf einen einzigen, gemeinsamen und langjährigen Genfluss von den Neandertalern zu den gemeinsamen Vorfahren aller heutigen nicht-afrikanischen Menschen zurückgeführt werden kann", erklärte Priya Moorjani von der Universität von Kalifornien in Berkeley.
"Out of Africa" in "Migrationswellen"
Aus den Daten der mehr als 300 DNA-Analysen ergeben sich den Experten zufolge auch zusätzliche Informationen zur Ausbreitung des Homo sapiens außerhalb von Afrika. Demnach könnte die "Hauptmigrationswelle" vor 43.500 Jahren oder etwas früher stattgefunden haben. Insgesamt geht die Forschung demnach davon aus, dass vor 40.000 bis 60.000 Jahren immer wieder Gruppen moderner Menschen den afrikanischen Kontinent verließen.
Diese Homo sapiens breiteten sich anschließend in Europa und Asien aus, wo sie auf die später ausgestorbenen Neandertaler trafen. Als Resultat dieser Vermischung tragen laut Max-Planck-Institut heute alle außerhalb Afrikas lebenden Menschen meist ein bis zwei Prozent von Neandertaler-DNA im Genom. Neandertaler und Homo sapiens haben gemeinsame Vorfahren, ihr evolutionärer Weg trennte sich aber vor rund 500.000 Jahren. Neandertaler entwickelten sich in Europa und Asien, der moderne Mensch in Afrika.
Service: Die "Nature"-Studie online: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-024-08420-x