Grazer Coronaforschung unterm Mikroskop
Wie so vieles in den letzten Wochen der Ausgangsbeschränkungen erinnerten auch ein Gang durch die Flure des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) in den Räumlichkeiten der Technischen Universität (TU) Graz ein wenig an eine Zombie-Apokalypse. Nur wenige Lampen brannten, es herrschte Stille, nichts bewegte sich. Erst nach ein paar Minuten des Wartens begegnete man einer anderen Person, natürlich maskiert. In den Laboren wird aber nicht nach einem Mittel gegen die Walking Dead gesucht, sondern erforscht, ob man durch einen Test zur Sepsis-Früherkennung feststellen kann, ob es bei einer Covid-19-Infektion zu einem schweren oder einem leichten Verlauf kommen wird. APA-Science hat sich Ende Mai in den Grazer Labors umgesehen und einen Blick hinter die Kulissen der Corona-Forschung geworfen.
Das Netzwerk acib betreibt seit der Gründung 2010 an Standorten in Österreich und Europa industrielle Biotechnologie-Forschung. Das K2-Zentrum des Kompetenzzentren-Programms COMET der Forschungsförderungsgesellschaft FFG beschäftigt mittlerweile mehr als 200 Beschäftigte an über 175 Forschungsprojekten - Ende Mai war das jedoch nur in der Theorie so. Wegen Covid waren nur noch die coronarelevanten Forschungsprojekte aktiv, erklärt Bioinformatiker Christoph Wilhelm Sensen, Leiter des Instituts für Computational Biotechnology der Technischen Universität (TU) Graz im Rahmen des Besuchs. An der TU war somit nur ein acib-Projekt am Laufen. Der Großteil der Forscher arbeitete von zu Hause aus oder befand sich im Urlaub. Während im Mai über 50 Prozent nicht aktiv im Labor tätig waren, weil pro 20 Quadratmeter nur eine Person im Labor beschäftigen werden konnte, ist ein Monat später jedoch die Normalität weitgehend zurückgekehrt.
Durch Sepsis-Test Schwere des Krankheitsverlaufs feststellen
Ziel der Forschungsarbeit ist es, mithilfe eines Tests herauszufinden, ob bei Corona-Infizierten eine Sepsis (umgangssprachlich "Blutvergiftung" genannt) vorhanden ist. Diese ist eine häufige Komplikation bei Infektionen und zählt zu den Haupt-Todesursachen in Krankenhäusern. In China habe sich herausgestellt, dass von den rund 1.000 Toten, die es unter den ersten 40.000 Corona-Patienten gegeben hat, alle zum Schluss eine Sepsis hatten, so Sensen. Bei dem Verfahren an der TU Graz kann eine Sepsis bereits zwei Tage vor den ersten klinischen Symptomen nachgewiesen werden. In Zukunft, hofft Sensen, könne man positiv auf "Corona" (SARS-CoV-2) getestete Personen einfach einem Sepsis-Frühtest unterziehen und so unterteilen in jene, die mit einem leichten Krankheitsverlauf nach Hause geschickt werden können, und jene, die weitere Beobachtung benötigen und bei denen bereits eine Sepsis-Behandlung eingeleitet werden kann.
Das Projekt ist "sehr weit fortgeschritten", so Sensen, und befinde sich bereits in einem Zulassungsverfahren bei der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten (FDA - Food & Drug Administration). Bis das Testverfahren marktreife erlangt, wird es dennoch noch einige Zeit dauern. Für ihre Untersuchungen nutzen die Forscher Plasma- und Serumproben von Covid-Patienten der ungarischen Universität Szeged.
Von gespenstischer Ruhe, wie sie auf den menschenleeren Gängen herrschte, war es anschließend im Labor vorbei. Hier füllte Thorsten Bachler, Staff Scientist des acib, Proben in kleine Behälter und bereitete sie für Tests vor, während im Hintergrund Maschinen surrten und rauschten. Bachler arbeitet an der Weiterentwicklung von PCR-Tests (Polymerase-Kettenreaktion), die dafür genutzt werden, Erbmaterial eines Infektionserregers in einer Blut- oder Plasmaprobe zu vervielfältigen. So lässt sich der Erreger leichter nachweisen. "Wir nehmen die Sequenz, die wir analysieren wollen", erklärte er, "produzieren Sonden dafür, die in verschiedenen Farbspektren leuchten, und dieses Farbspektrum zeigen wir dann im Labor mit einer speziellen Maschine auf und können dadurch mit hoher Sensibilität und Spezifität sagen, ob der Mensch in naher Zukunft eine Sepsis entwickeln wird". Das Prinzip funktioniere, so Bachler, jetzt müssten nur noch genügend Patientenproben ausgetestet werden, um die absolute Sicherheit der Methode garantieren zu können.
Die wenigen Forscher, die sich wie Bachler nicht im Homeoffice befanden, arbeiteten in Vormittags- und Nachmittagsschichten, damit im Falle einer Infektion nicht der gesamte Betrieb betroffen ist. Mittlerweile herrscht auf den vormals leeren Gängen wieder reger Betrieb.
Mit Waschmittel gegen Corona
Ein paar Minuten entfernt befinden sich die Büros von Innophore. Am Spin-off von acib und der Universität Graz beschäftigt man sich ebenfalls mit der Corona-Forschung. Der Weg dorthin, der unter strahlendem Sonnenschein durch die belebte Grazer Innenstadt führte, vertrieb schon im Corona-lastigen Mai Gedanken an Geschichten wie Stephen Kings 'The Stand' oder Terry Gilliams Film '12 Monkeys'.
Wer die Räumlichkeiten betritt, denkt nicht sofort an wissenschaftliche Forschung. Nach Pipetten, Bunsenbrennern und Zentrifugen sucht man vergeblich. Es könnte das Büro eines Grafikdesigners sein, oder das eines IT-Unternehmens, wären da nicht die bunten Bilder auf den Computerbildschirmen. Zu sehen sind hübsch anzusehende, bunte Enzymstrukturen, vergleichbar mit einem vielfarbigen Wollknäuel.
Während es im Allgemeinen in den letzten Wochen Seife und Desinfektionsmittel sind, deren Popularität enorm zugenommen haben, ist es bei Innophore Waschmittel, das im Kampf gegen das Virus zum Einsatz kommt. "Wir arbeiten unter anderem schon länger mit Partnern daran, Waschmittelenzyme zu verbessern" erklärte Innophore-CEO und acib-Forscher Christian Gruber. "Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Enzymen und konnten als Firma viel Erfahrung mit der Enzymklasse der Proteasen gewinnen. Im Fall von SARS-CoV-2 ist eines der Schlüsselenzyme auch eine Protease. Und für uns und unsere Technologie spielt es kaum eine Rolle, ob wir an Enzymprotease für Waschmittel arbeiten oder einen Inhibitor gegen die Protease des Virus suchen - es sind Enzyme."
Vorsprung durch Kontakte zu China
Ein Partner der Universität Graz ist ausgerechnet die Universität Wuhan. Durch diese Nähe und Vertrautheit mit jener chinesischen Stadt, in der das Virus wahrscheinlich zuerst ausgebrochen ist, schenkte Innophore SARS-CoV-2 von Anfang an viel Aufmerksamkeit. "Wir haben sehr früh begonnen, Homeoffice zu machen", erklärte Gruber, "noch im Februar, bevor die Ausgangsbeschränkungen in Kraft waren. Das lag daran, dass wir gesehen haben, wie es bei unseren chinesischen Partnern lief. Retrospektiv betrachtet, war es der gleiche Ablauf wie bei uns: Zuerst sieht man, dass die Zahlen steigen, danach werden Ausgangsbeschränkungen verhängt, danach Quarantäne. Wir haben das schon im Jänner gesehen. Es ließ sich aufgrund der steigenden Zahlen in Europa abschätzen, dass das bei uns kommen wird." Noch bevor Corona also weltweit in den Fokus der Wissenschaft rückte, wurde bei Innophore bereits daran gearbeitet, die Proteinstrukturen des Virus "vorherzusagen", erklärte Gruber die Versuche, dreidimensionale Modelle von den Schlüsselenzymen zu kreieren.
Diese Informationen waren die Grundlage für den nächsten Schritt; die Suche nach möglichen Medikamenten. "Das war der zweite Schritt", so Gruber, "den wir anfangs noch alleine gemacht haben, und jetzt innerhalb einer Partnerschaft mit acib, der Universität Graz, Harvard und Google in einem der größten In-Silico-Screenings für Wirkstoffe."
Die Forschung in dem Gebiet werde auf jeden Fall weitergehen, betonte der Forscher, egal, wie sich die Pandemie weiterentwickelt, denn "auch abseits des Coronavirus können wir unsere Technologie in Zukunft auch gegen andere virologische Bedrohungen einsetzen."
Von Anna Riedler / APA-Science
Service: Diese Meldung ist Teil der Reportage-Reihe "APA-Science zu Besuch ...": http://science.apa.at/zubesuch