Forum Alpbach - Covid hat "Welt der Wahrscheinlichkeiten" offenbart
Die Covid-19-Krise mit ihren sich dynamisch entwickelnden wissenschaftlichen Erkenntnissen hat eine "Welt der Wahrscheinlichkeiten" offenbart, mit der die Bevölkerung und die Politik ihre liebe Not haben. Dass Experten das Bedürfnis nach Sicherheit nicht befriedigen konnten, sei logisch, so die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny bei den Alpbacher Technologiegesprächen. Um Politikberatung gut zu betreiben, brauche es daher klare Rollenverständnisse und gutes Datenmaterial.
Die Weltsichten von Politikern, Wissenschaftern und der restlichen Gesellschaft können mitunter weit auseinanderliegen, hieß es bei einer Diskussion. Während Forscher es gewohnt sind, in einem Umfeld mit Unsicherheit und Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten, wollen die Politik und Laien oft klare Antworten. Die gebe die Welt mit ihren Unvorhersagbarkeiten aber oft einfach nicht her - besonders, wenn sich Dinge so schnell entwickeln, wie der Covid-19-Ausbruch, so die ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats und Politikberaterin als Mitglied des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE).
Wie groß der Raum der Unsicherheiten trotz einer Informationsflut war, illustrierte Günter Mayr, Leiter der aktuellen Wissenschaft im ORF-Fernsehen: Immerhin gibt es bisher rund 80.000 wissenschaftliche Arbeiten, die alleine mit dem SARS-CoV-2-Virus zu tun haben. Viele Experten hatten Probleme mit all dieser Information. Dementsprechend erging es Wissenschaftsjournalisten, die Mayr in dem Gespräch über Politikberatung in einer Rolle zwischen Wissenschafter und Politiker verortete. Im Umgang mit der Vieldeutigkeit von Prognosen und Co müsse man schließlich auch dem Publikum mancherorts klar sagen: "Wir wissen es nicht."
"Können auch nicht alle Papers lesen"
Das musste auch die Leiterin des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien, Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Die Politik musste erst verstehen, "dass wir mit neuen Daten arbeiten und auch nicht alle Papers lesen können". Die Situation war vor allem am Beginn "sehr herausfordernd", alles war "work in progress". Politiker mussten teils auch erst schrittweise wissenschaftliche Herangehensweisen verstehen. Dies war für die Entscheidungsträger eine "schwere Zeit, weil zu wenig Daten da waren".
Mit Fortdauer der Pandemie hätten Medienvertreter statt nach Informationen auch immer stärker Fragen nach Meinungen gefragt, so Puchhammer-Stöckl. Dies sollten Forscher jedoch möglichst gut auseinanderhalten, denn es gehe auch um Vertrauen in viele Richtungen.
Auch für Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ist wissenschaftliche Beratung zum großen Teil Vertrauensbildung. Gelinge dies, "können beide Seiten einander gut ergänzen". Forscher sollten jedoch aufpassen, wenn sie selbst ein Stück weit als Politiker agieren: "Sie sind nicht gewählt" und können bei schlechten Entscheidungen auch nicht abgewählt werden, so der Minister.
Wissenschaft in "Hollywooddrama" katapultiert
Darauf, sich in Zuge von Covid-19 im medialen Rampenlicht wiederzufinden, waren Wissenschafter jedenfalls nicht vorbereitet, so die Epidemiologin Eva Schernhammer von der Meduni Wien und der Harvard Medical School (USA). Für James Wilsdon von der Universität Sheffield wurde die Wissenschaft in der Pandemie quasi vom "Provinztheater" in ein "ganz großes Hollywooddrama" katapultiert.
Der relativ geordnete wissenschaftliche Diskurs sei dafür jedenfalls kein gutes Training, sagte Schernhammer. Anreize, darüber hinaus mit einem Laienpublikum - wie auch Politikern - zu kommunizieren, gebe es in der Regel wenige. Als Forscher sei man daher gut beraten, auch dahin gehend nachzuspüren, welche Theorien zu einem Thema eigentlich dieses Publikum selbst hat und diese auch ernst zu nehmen, so die Wissenschafterin.