Elektrisierende Forschung im Transformatoren-Werk
Ein lautes Klacken signalisiert die Erdung. Gebannte Stille hinter der Schutzscheibe im Kontrollraum der Hochspannungshalle. Wer jetzt blinzelt, könnte den künstlichen Blitz übersehen, der gleich von einer Hochspannungskaskade über eine Drahtleitung in den Transformator "einschlagen" wird. Der Draht glüht auf, ein gleißender Lichtbogen brennt sich für Sekunden in die Netzhaut: Test gelungen, der Transformator hält.
Transformatoren verbinden im Stromnetz die verschiedenen Spannungsebenen vom Kraftwerk bis zum Endverbraucher und haben eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Wegen der Produktionsdauer von mehr als einem halben Jahr können Ausfälle nur schwer kompensiert werden. Entsprechend robust müssen Trafos konstruiert sein: Je nach Einsatzgebiet sollen sie nicht nur Blitzschläge überstehen, sondern auch geomagnetischen Phänomenen, Überflutungen oder Vandalismus trotzen. Welche Herausforderungen das für Produktion sowie Forschung und Entwicklung bringt, erfuhr APA-Science bei einem Rundgang durch das Transformatorenwerk von Siemens in Weiz (Steiermark).
"Phasenschieber" als Spezialität
"Weiz ist im Siemens Trafoverbund eines von sechs Werken, wobei jedes ein klar zugeordnetes Portfolio hat", wies Martin Stössl, Leiter des Global Technology Center, auf das hiesige "Center of Competence" für sogenannte Phasenschieber-Transformatoren hin, die den Lastfluss in Energiesystemen steuern können. Der Einsatzzweck bestimmt Größe und Bauweise der unterschiedlichen Trafo-Typen: Damit der Strom, der im Kraftwerk erzeugt wird, möglichst verlustfrei bei den Verbrauchern ankommt, wird er von Leistungstransformatoren für den Transport über Hochspannungsleitungen auf hohe Spannungen hinauftransformiert. In Österreich sind das bis zu 400 Kilovolt (kV), in anderen Ländern mit mehr Raum für Hochspannungstrassen wie etwa China oder Indien kann die Spannung auch mehr als 1.000 kV betragen.
Das Umspannen zwischen den Spannungsebenen geschieht üblicherweise in Umspannwerken mit Leistungstransformatoren. Das letzte Glied in der Kette vor den Haushalten sind dann die kleineren Verteiltransformatoren, die für die 230 Volt aus der Steckdose sorgen. Eine spezielle Bauart von Verteiltransformatoren kommt in Windturbinen zum Einsatz, Weiz ist dafür der weltweit größte Siemens-Produktionsstandort.
Trafobau in Handarbeit
In den Weizer Fertigungshallen überwiegt die Handarbeit. Im Drei-Schicht-Betrieb stehen Arbeiter an den Wickelmaschinen, die an eine Mischung aus einer überdimensionalen, aufgestellten Zwirnspule und einem Webstuhl erinnern, und wickeln mit Zellulose umhüllten, kilometerlangen Kupferdraht um die Spulendorne. Die Spezial-Zellulose, die später vollständig von Öl getränkt sein wird, dient dabei zur Isolierung. "Wir haben hier wenige Großserien. Es ist selten, dass wir 20 Stück von derselben Type bauen, es handelt sich fast nur um Prototypen", erklärte Georg Pukel von der Forschungsabteilung.
So individuell und maßgeschneidert sie heute konstruiert und gefertigt werden, das Grundprinzip von Transformatoren ist seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert praktisch unverändert geblieben. Zwei oder mehrere meist aus Kupferdraht gewickelte Spulen, die sich auf einem gemeinsamen magnetischen Eisenkern befinden, wandeln eine Eingangswechselspannung in eine Ausgangswechselspannung um.
Ester statt Mineralöl
Sind die Spulen auf den Eisenkern, der aus händisch aufeinander gestapelten Blechen von ca. 0,2 bis 0,3 Millimetern Dicke besteht, aufgezogen, wird dieser Verbund (Aktivteil) gründlich getrocknet - ein Schritt, der für die Lebensdauer enorm wichtig ist. Dafür gibt es in Weiz einen eigenen Reinraum, der Wüstenbedingungen simuliert. "Da drin herrscht tatsächlich Wüstenklima, bei 26 Grad Celsius hat die Halle nur fünf bis zehn Prozent relative Luftfeuchtigkeit", erklärte Pukel.
Nach dem Trocknen wird der Aktivteil in die Hülle (Kessel) verbaut und bis zum Rand mit bis zu 100 Tonnen Öl angefüllt, ein paar Tage stehen gelassen (Imprägnierung) und kommt dann zu den abschließenden Tests in die Hochspannungshalle. Das Öl fungiert gleichzeitig als Isolier- und als Kühlmedium. Traditionell ist das Mineralöl, seit einiger Zeit gibt es aber mit Ester - eine Stoffgruppe chemischer Verbindungen, die sowohl aus synthetischen als auch pflanzlichen Rohstoffen gewonnen werden können - eine umweltfreundlichere Alternative. "Untersuchungen haben gezeigt, dass Ester das Papier langsamer altern lässt", so der Experte, der zu diesem Themenkreis auch seine Dissertation an der Universität Graz geschrieben hat.
Ein Transformator hat eine durchschnittliche Lebenszeit von 30 bis 50 Jahren. Überlastet man ihn über längere Zeit stärker, bedeutet das eine höhere Betriebstemperatur, was die Lebensdauer verkürzt. Die Verwendung von Esterflüssigkeiten lässt höhere Betriebstemperaturen zu und ermöglicht daher entweder eine längere generelle Lebensdauer im Vergleich zu einem baugleichen mineralölgefüllten Transformator oder eine annähernd gleiche bei höherer Belastung. Am Standort Weiz wurde eine eigene Ester-Befüllungsanlage installiert. Davon zeugen riesige, doppelwandige Tanks auf dem Werksgelände mit einem Fassungsvermögen von je 100 Tonnen.
Obwohl der Betrieb mit Ester derzeit noch teurer ist als mit Mineralöl, glaubt Martin Stössl an das Potenzial der umweltfreundlicheren Alternative: "Der Riesenunterschied besteht in der geringeren Brennbarkeit, und - darum ist es eine sichere Technologie für die Zukunft - in der Umweltfreundlichkeit. Ester sind biologisch abbaubar und haben einen höheren Brennpunkt." Das spiele insofern eine wichtige Rolle, als dass Transformatorbrände wegen der großen Mengen an enthaltenem Öl kaum löschbar sind: "In den meisten Fällen lässt man das ausbrennen."
Gefahr aus dem All
Eine mögliche Brandursache kann auch aus dem Weltall kommen. Treffen magnetische Sonnenstürme (durch Sonneneruptionen ausgelöste Störungen der Magnetosphäre der Erde) auf Stromleitungen, kann das zur Überhitzung der Transformatoren führen. Auf Wunsch können die Transformatoren auch so berechnet und konstruiert werden, dass diese "geomagnetisch induzierte Ströme" aushalten.
Vom Auftragseingang bis zur Auslieferung eines Transformators vergeht gut ein halbes Jahr. Fallen etwa an der Ostküste der USA ca. 20 Transformatoren gleichzeitig aus, gibt es laut einer US-Studie dort sechs Monate keinen Strom, berichtet Stössl. Eine Antwort darauf hat Siemens mit der Entwicklung sogenannter "Plug-and-Play" Trafos gefunden, die im Notfall schnell - per Lkw oder Flugzeug - an ihren Einsatzort gebracht werden können und die Wartezeit auf einen neuen Transformator überbrücken.
125-Jahr-Jubiläum
An diesen Innovationen aus jüngerer Zeit lässt sich ablesen, dass die Entwicklung von Transformatoren keinesfalls stehen bleibt. Am Standort Weiz blickt man diesbezüglich auf eine mittlerweile 125-jährige Erfahrung zurück, die 1892 mit der Gründung der "Franz Pichler Werke" begann und sich 2005 mit der Integration des zur VA Tech gehörenden Elin Transformatoren Werkes (ETG) in den Siemens Energiebereich in das 21. Jahrhundert fortsetzte. Das Werksgelände teilt sich Siemens seit dieser Übernahme mit dem Generatorenbauer Andritz. Synergien zwischen den beiden Unternehmen gibt es beispielsweise in der Lehrlingsausbildung.
Das globale Zentrum für Forschung und Entwicklung innerhalb der Siemens Transformatorengruppe wird von Weiz aus geleitet. Ungefähr 30 Forscher beschäftigen sich am Standort mit der Weiterentwicklung der Transformatoren, Forschungsthemen sind neben den genannten etwa die Entwicklung von geräuscharmen Systemen oder die Streuflusskontrolle. In den vergangenen drei Jahren entstammten dem Trafo-Werk Weiz 26 Erfindungen, weltweit gehen 72 Patente oder Patentanmeldungen der Siemens AG auf Weizer Erfindungen zurück. Wissenschaftlich eng kooperiert wird vor allem mit der Technischen Universität (TU) Graz.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science
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