"Zwischen Bruch und Umbruch - Wie die Pandemie unser Forschen veränderte"
Gastbeitrag --- Fünf Jahre sind seit jenen Tagen vergangen, als die Pandemie uns Wissenschafterinnen und Wissenschafter plötzlich ins Rampenlicht katapultierte. Ich erinnere mich noch gut an das Wechselbad der Gefühle: Verunsicherung, Spannung und auch eine gewisse Aufbruchsstimmung. Viele von uns wollten endlich etwas zurückgeben und der Gesellschaft zeigen, dass Forschung nicht nur abstrakte Laborarbeit ist. Tatsächlich waren wir damals in aller Munde: Molekularbiologische Verfahren wurden zu Stammtischthemen, PCR und CT-Werte zu Begriffen, die selbst im entlegensten Bergdorf kursierten.
Doch wie so oft hat die mediale Aufmerksamkeit auch Schattenseiten ans Licht gezerrt. Die Zahl selbsternannter Expertinnen und Experten stieg nahezu exponentiell, während fundierte Studien neben fragwürdigen Hypothesen und Verschwörungstheorien in einem Strudel aus Informationsüberfluss untergingen. Einige Kolleginnen und Kollegen erfuhren Hass, Anfeindungen oder politischen Druck - oft völlig grundlos. Auch ich zog mich zeitweise zurück, um die eigene Sicherheit und die meiner Lieben zu schützen.
Heute, fünf Jahre später, ist die Pandemie nicht mehr das dominierende Thema, doch spüre ich jeden Tag ihren Nachhall. Die wissenschaftliche Gemeinschaft gleicht einem Menschen, der eine tiefe Narbe davongetragen hat: Sie ist sichtbar, manchmal schmerzt sie noch, aber sie ist auch ein Zeichen von überstandener Krise. Gleichzeitig haben die geopolitischen Umbrüche und gesellschaftlichen Verwerfungen der letzten Jahre für andere Herausforderungen gesorgt. Forschungsgelder werden gekürzt, die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Arbeit mancherorts systematisch infrage gestellt.
Neutral zwischen politischen Extremen vermitteln
Trotzdem - oder gerade deshalb - halten aber viele daran fest, dass wir Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine unabhängige Säule unserer Gesellschaft darstellen können. Unsere Stärke liegt darin, neutral zwischen politischen Extremen zu vermitteln, Wissen zu ordnen und Entscheidungsgrundlagen zu liefern, wenn die Möglichkeit eines sachlichen Austauschs besteht. Dieser Anspruch ist anstrengender geworden, da Online-Meetings zwar längst zum Alltag zählen, echte Gespräche am Konferenztisch oder in der Öffentlichkeit sind aber seltener geworden. Gleichzeitig genießen wir Vorzüge wie mehr Flexibilität und sind routinierter im Umgang mit globalen Netzwerken und Technologien.
Ob wieder alles beim Alten ist? Nein, dafür hat sich zu viel verändert. Aber vielleicht liegt in diesem Riss, den die Pandemie aufgetan hat, auch eine Chance. Die Erfahrung, dass unsere Arbeit mitten in der Gesellschaft ankommen kann, trägt mich bis heute. Für mich bleibt die Zuversicht, dass wir nicht nur reagieren, sondern auch gestalten können - wenn wir die richtigen Lehren aus den letzten fünf Jahren ziehen und mutig weitermachen.
Zur Person:
Johannes Zipperle ist ausgebildeter Molekularbiologe und wissenschaftlicher Koordinator im Forschungsbereich Anästhesie und Intensivmedizin am Ludwig Boltzmann Institut für Traumatologie in Wien.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.