Hochwasser: Wie Konzertbesucher:innen helfen, den Katastrophenschutz zu verbessern
Bei der Auswertung anonymisierter Mobilfunkdaten im zeitlichen Umfeld eines Hochwasserereignisses in der Schweiz haben Komplexitätsforscher:innen von ÖAW und Uni Innsbruck ein überraschendes Muster entdeckt: Die Abweichungen in den Bewegungsmustern von Personen bei Überschwemmungen ähneln den Verzerrungen, die durch gesellschaftliche Großereignisse wie Konzerte entstehen. Diese Einsicht kann in Zukunft dabei helfen, das Katastrophenmanagement zu verbessern.
Wenn Naturgefahrenereignisse wie zum Beispiel Hochwasser und Überschwemmung auftreten, führen sie in besiedelten Gebieten durch die Unterbrechung von Bahnlinien und Straßen zu Beeinträchtigungen der Mobilität der betroffenen Bevölkerung. Ein Team von Wissenschaftler:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Innsbruck hat gemeinsam mit Kollegen der Universität Bern bei der Untersuchung eines Hochwasserereignisses im Schweizer Zofingen aus dem Jahr 2017 eine interessante Entdeckung gemacht: Anonymisierte Mobilfunkdaten der Swisscom zeigen, dass die Abweichungen vom normalen Mobilitätsverhalten der Menschen, die während eines Hochwasserereignisses auftreten, vergleichbar sind mit Störungen durch Großereignisse. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift npj Complexity veröffentlicht.
"Wir haben Bewegungsmuster über einen Zeitraum von sechs Wochen analysiert, mit der Überschwemmung 2017 in Zofingen bei Bern in der Mitte. Wir waren sehr überrascht, dass unsere statistischen Auswertungen mehrere Störungen der normalen Abläufe gezeigt haben, die den Auswirkungen der Überschwemmung sehr ähnlich sahen und zwar sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene. Dann haben wir schnell bemerkt, dass diese Mobilitätsveränderungen mit Großereignissen wie Konzerten und Märkten zusammenhingen", sagt Margreth Keiler vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW.
Ortsdaten haben großes Potenzial
Die Forschenden haben für die Analyse der Verkehrsflüsse auf Straße und Schiene anonymisierte Daten des Schweizer Mobilfunkanbieters Swisscom verwendet. Auf dieser Basis konnten sie für eine 20 mal 15 Kilometer große Region um Zofingen, die sich über drei Kantone erstreckt, eine Karte erstellen, die zeigt, wie sich Mobiltelefone im Untersuchungszeitraum bewegt haben.
"Wir wissen, wie viele Menschen sich im Straßen- und Schienennetz bewegen und aus welchen Gemeinden sie stammen. Die Daten sind aggregiert, sodass Rückschlüsse auf einzelne Personen ausgeschlossen sind. Dank des hohen räumlichen Detailgrads konnten wir fortgeschrittene Methoden des maschinellen Lernens und der Netzwerkwissenschaft anwenden und sind zuversichtlich, dass sich diese auch auf andere Gebiete verallgemeinern lassen. Dafür sind aber weitere Untersuchungen notwendig. Die Kombination der Disziplinen maschinelles Lernen, Komplexitätsforschung und Netzwerkwissenschaft birgt allgemein enormes Potenzial für Stadtplanung und Management und kann die Forschung zu Naturgefahren und deren Auswirkungen entscheidend voranbringen", sagt Simone Loreti von der Universität Bern, der die Studie leitet und die Daten für die Publikation analysiert hat.
Die Forscher:innen sind bereits dabei, ihre Erkenntnisse mit den Katastrophenschützer:innen in der Region Zofingen zu teilen, damit diese bei zukünftigen Hochwassserereignissen die Einsatzkräfte effizienter managen können. Weil Mobilitätsdaten von Großereignissen viel zahlreicher sind als jene von Überschwemmungen, könnte ihre Analyse beim Katastrophenmanagement und bei anderen Verkehrs- und Stadtplanungsaufgaben helfen.
"Wir haben gezeigt, dass diese Daten sehr nützlich sein können. Jetzt ist weitere Arbeit notwendig, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Dann kann der Aufbau von Modellen beginnen, die das Katastrophenmanagement verbessern", sagt Margreth Keiler.
Publikation
Loreti, S., Keiler, M. & Zischg, A.P. A severe local flood and social events show a similar impact on human mobility. npj Complex 2, 6 (2025).
DOI: https://doi.org/10.1038/s44260-025-00030-6
Rückfragehinweis: Sven Hartwig Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation Österreichische Akademie der Wissenschaften T +43 1 51581-1331 sven.hartwig@oeaw.ac.at Melanie Bartos Büro für Öffentlichkeitsarbeit Universität Innsbruck T +43 512 507 32021 melanie.bartos@uibk.ac.at
Wissenschaftlicher Kontakt: Margreth Keiler Österreichische Akademie der Wissenschaften Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung und Universität Innsbruck Institut für Geographie T +43 512 50749401 margreth.keiler@oeaw.ac.at