Neue Bücher - Insektensterben, Klimawandel und Naturkunden
Geht's der Natur gut, geht's uns allen gut. Damit sich diese Erkenntnis durchsetzt, muss noch einiges an Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung geleistet werden. An Büchern darüber herrscht jedenfalls kein Mangel - das zeigen auch die folgenden Beispiele mit aktuellen Neuerscheinungen.
Ursachen und Folgen des Insektensterbens
Das Insektensterben hat längst alarmierende Ausmaße angenommen. Der Rückgang betrug alleine zwischen 1992 und 2012 bis zu einem Drittel bei den Arten und bis zu 50 Prozent bei den Individuen. Zu diesem Schluss kam kürzlich eine Publikation im Fachmagazin "Nature", die Daten aus diesen 20 Jahren von 6.000 Orten weltweit miteinander kombinierte. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich diese Tendenz noch beschleunigt, ist sich Dave Goulson sicher. Der britische Biologe, Professor an der University of Sussex, zeigt in seinem Buch "Stumme Erde" eindringlich auf, "warum wir die Insekten retten müssen".
Fünf Millionen Insektenarten gibt es wahrscheinlich auf der Welt, nur ein Fünftel davon ist wissenschaftlich erfasst, benannt und katalogisiert. Es sei also davon auszugehen, dass täglich etliche Arten aussterben, ohne dass die Menschheit von ihnen auch nur Kenntnis genommen hat, schreibt Goulson. Er liebt diese Tiere, die zum Gegenstand seines forscherischen Lebenswerks geworden sind. Und er weiß, dass diese Liebe nicht von allen geteilt wird. Viele mögen nur "nützliche" Insekten, vielen sind sie an sich nicht geheuer, finden sie mitunter sogar Ekel erregend. Mit eindrucksvollen Beispielen der Folgen menschlicher Eingriffe in ausbalancierte Ökosysteme und Nahrungsketten weist Goulson nach: Jede Art hat ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung, auch wenn diese vielleicht noch nicht erforscht ist. Und er fragt: Was gibt uns das Recht, über Wert und Unwert von Leben zu entscheiden?
"Stumme Erde" lässt einen bei der Lektüre immer wieder verzweifeln. Seitenlang sind Studien nachzulesen, die sich nur in den exakten Zahlen, nicht aber in der Tendenz unterscheiden: Die Zahl und Vielfalt der Insekten nimmt dramatisch ab. Und die Ursachen sind fast alle menschengemacht. Deprimierend ist das Zukunftsszenario, das er für das England seiner Enkel entwirft, bei dem autarke Selbstversorger-Gärten mit Waffengewalt verteidigt werden müssen. Doch Goulson hat am Ende nicht nur jede Menge Tipps, wie Politik und Bürger die Lebensbedingungen von Insekten und damit auch für Menschen verbessern könnten (und spendet Lob für Österreich, das beim Anteil von Bio-Landwirtschaft ganz vorne liegt), sondern lässt immer wieder seine Begeisterung für die Vielfalt von Formen und Verhaltensweisen der Insekten spüren. Zwischen den einzelnen Kapiteln holt er besonders bizarre Beispiele vor den Vorhang. Bei den mörderischen Überlebensstrategien mancher Arten ist man dann doch ganz froh, dass die meisten davon von recht überschaubarer Größe sind.
Service: Dave Goulson: "Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen", aus dem Englischen von Sabine Hübner. Hanser Verlag, 368 Seiten, 25,70 Euro, ISBN 978-3-446-27267-5
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Neue "Naturkunde"-Bände über Quallen und Moose
Noch ist die Natur ein reiches Reservoir von Formen und Farben, Verhaltensmustern und Überlebensstrategien. Der unglaublichen Vielgestaltigkeit dessen, was uns umgibt, ist die von der Autorin Judith Schalansky im Verlag Matthes & Seitz Berlin herausgegebene Reihe "Naturkunden" gewidmet. Es sind aufwendig und schön gestaltete Büchlein, "die von der Natur erzählen, von Tieren und Pflanzen, von Pilzen und Menschen, von Landschaften, Steinen und Himmelskörpern, von belebter und unbelebter, fremder und vertrauter Natur", heißt es in der Selbstbeschreibung. "Der Name der Reihe ist Programm: Hier wird keine bloße Wissenschaft betrieben, sondern die leidenschaftliche Erforschung der Welt: kundig, anschaulich und im Bewusstsein, dass sie dabei vor allem vom Menschen erzählt - und von seinem Blick auf eine Natur, die ihn selbst mit einschließt." 83 Titel sind bisher erschienen.
Die in wenigen Tagen erscheinenden neuen Bände sind repräsentativ für die Vielzahl der Annäherungen an den Gegenstand. "Das Sammeln von Moos" beschreibt Robin Wall Kimmerer, vom Verlag als "wahrscheinlich die bekannteste Bryologin der Welt" angepriesen. Bryologie ist die Wissenschaft von den Moosen, von denen es rund 22.000 Arten geben soll. Die US-Pflanzenökologin lehrt nicht nur am College für Umweltwissenschaften und Forstwirtschaft in Syracuse, sondern leitet auch das Center for Native Peoples and the Environment, das ökologisches Wissen der indigenen Völker mit moderner Umweltwissenschaft verbinden möchte. Daher geht es auch in dem Buch nicht nur um Schönheit und Besonderheit der Moose, sondern auch um ihre Fähigkeit, "noch im unwegsamsten Gebiet in Verbundenheit zu überleben".
Den Quallen gehört dagegen nach Ansicht vieler Wissenschafter die Zukunft der Meere. Nachdem ihre natürlichen Fressfeinde durch Überfischung stark dezimiert wurden, scheint ihrer starken Ausbreitung nichts mehr im Wege zu stehen. Der Luxemburger Autor Samuel Hamen widmet sich diesen geheimnisvollen und buchstäblich schwer greifbaren Tieren und zeigt in seinem schillernden Porträt, dass sie nicht mit Wimpern, sondern mit Tentakeln zucken, "die je nach Art schon bei flüchtigem Kontakt starke Verbrennungen verursachen können. Wer es dennoch wagt, ihren Schwebebewegungen zu folgen, dem offenbart sich ein Einblick in die früheste Erdgeschichte wie auch in alle erdenkbaren Zukünfte."
Service: Robin Wall Kimmerer "Das Sammeln von Moos. Eine Geschichte von Natur und Kultur". Aus dem Englischen von Dieter Fuchs, Matthes & Seitz Berlin, 200 S., 25,70 Euro, ISBN 978-3-7518-0212-3; Samuel Hamen: "Quallen. Ein Portrait", Mit Illustrationen von Falk Nordmann, Matthes & Seitz Berlin, 144 S., 20,60 Euro, ISBN 978-3-7518-0214-7
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Philosophie des Klimawandels
Nicht mit den wissenschaftlichen Beweisen für den Klimawandel oder seinen verheerenden Folgen, sondern mit dem von ihm verursachten Paradigmenwechsel im Denken beschäftigt sich der indische Historiker Dipesh Chakrabarty in seiner nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Arbeit mit dem schwierigen Titel "Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter". Die vom Menschen erzeugte globale Erwärmung lasse drei "Geschichten" zusammenprallen, die man sonst "aus praktischen Erwägungen als voneinander getrennte Prozesse behandelt: die Geschichte des Erdsystems, die Geschichte des Lebens einschließlich der Evolution des Menschen auf dem Planeten und die neuere Geschichte der industriellen Zivilisation", so der an der an der University of Chicago lehrende Wissenschafter.
Das Anthropozän habe die althergebrachten Vorstellungen von Geschichte, Moderne und Globalisierung grundlegend infrage gestellt, meint er und fordert eine Horizonterweiterung, die den Menschen aus dem Zentrum rückt und in die Lage versetzt, sich aus zwei Perspektiven gleichzeitig zu betrachten: einer globalen und einer planetarischen. "Eines Tages könnte es tatsächlich möglich sein, das 'Wir' einer negativen Universalgeschichte des Anthropozäns mit konkreten menschlichen und nicht menschlichen Identitäten zu füllen. Oder auch nicht." Alles klar? Da ist man dann doch froh um ein langes Postskriptum, in dem Dipesh Chakrabarty im Gespräch mit dem französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour seine Überlegungen etwas anschaulicher macht: "Im Globalen offenbart sich das Planetarische." Was vor allem heißt: Mehr Demut vor allem, was nicht der Mensch ist!
Service: Dipesh Chakrabarty: "Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter", Aus dem Englischen von Christine Pries, Suhrkamp Wissenschaft, 444 Seiten, 33 Euro, ISBN 978-3-518-58779-9