Online-Karte zeigt Lager der sowjetischen Besatzungszone nach 1945
Von 1945 bis 1955 existierten in der sowjetischen Besatzungszone mehrere Hundert Lager zur Internierung und Unterbringung Zehntausender Menschen. Diese seien in der österreichischen Geschichte weitgehend unsichtbar, hieß es am Dienstag bei einem Pressegespräch des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung (BIK). Dieses hat nun erstmals 247 dieser Lager in Nieder- und Oberösterreich, dem Burgenland und Wien identifiziert und auf einer Online-Karte verzeichnet.
Mit Kriegsende 1945 haben sich über eine Million Displaced Persons (dt.: Vertriebene) in Österreich aufgehalten. Viele von ihnen waren in der sowjetischen Besatzungszone untergebracht. Die Erforschung ihrer Unterbringung sei wichtig, da sich dabei soziale, politische und menschliche Folgen des Krieges besonders deutlich zeigen. "Diese Lager sind zwar auf den ersten Blick unsichtbar, aber eingebrannt in die Landschaft und die Biografien der Menschen", sagte Historikerin Barbara Stelzl-Marx, die das Projekt des BIK in Kooperation mit dem Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung, der FH St. Pölten sowie der Universität Graz leitete.
Unterschiedlichste Personengruppen untergebracht
Im Rahmen des Projekts wurden alle Lager erfasst, die mindestens drei Wochen Bestand hatten - mit Ausnahme von Frontlagern, die sozusagen mit der Front mitwanderten und auch nach dem Ende der Kampfhandlungen teilweise bestehen blieben. "Ohne dieser Auswahl wären wir nicht auf 247 Lager gekommen, sondern wahrscheinlich auf eine Zahl jenseits der tausend", erklärte Katharina Bergmann-Pfleger vom BIK. Denn besonders zu Kriegsende gab es viele kurzfristig bestehende Strukturen, zu welchen die Bevölkerung beim Herannahen der Roten Armee geflohen war.
Die Lagerkarte wurde anhand der Insassengruppen, die dort untergebracht waren, systematisiert. Zwölf unterschiedliche Gruppen haben die Forschenden identifiziert: Von ehemaligen westalliierten Kriegsgefangenen, heimkehrenden Kriegsgefangenen der Wehrmacht, Heimkehrern von der Front, sowjetischen Besatzungs- und Frontsoldaten bis zu nationalsozialistisch Belasteten, Flüchtlingen, Vertriebenen und Umsiedlern, ehemaligen Zwangsarbeitern und KZ-Insassen, zurückkehrenden Österreichern und Menschen, die aufgrund von Bombentreffern kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Zudem gebe es eine "Sonderform", also Lager, die man nicht genau abgrenzen konnte.
Die Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen sei damals enorm herausfordernd gewesen, ergänzte Johannes Pflegerl, Leiter des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung. Die staatlichen Strukturen waren zusammengebrochen, Österreich stand unter der Besatzung der Alliierten und es gab Versorgungsengpässe. Zudem war die Zahl an heimatlosen Menschen enorm und es musste erst ein Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe gefunden werden. "Vergleicht man diese Bedingungen mit den heutigen, relativiert sich die verbreitete Ansicht, dass wir es aktuell mit einem Flüchtlingsnotstand zu tun hätten", so Pflegerl.
Zusätzliche Informationen ausdrücklich willkommen
Weil es vor dem Projekt keinerlei Überblick über Lager in der sowjetischen Besatzungszone gegeben hat, habe man sich "von unten nach oben gearbeitet", sagte Bergmann-Pfleger. So begann die Recherche des Teams bei den Kommunal- und Stadtarchiven, auf die Zeitzeugeninterviews und vereinzelte Begehungen folgten und schloss bei den Landesarchiven und dem Staatsarchiv. Auf ursprünglich geplante Recherchen in den Moskauer Archiven musste wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verzichtet werden. Von dort stammendes Archivmaterial, das aus früheren Projekten am BIK vorhanden war, konnte trotzdem im Hinblick auf die Lager untersucht werden. Zudem wurde auf zeitgenössische Zeitungen und Chroniken, etwa von Pfarren oder Feuerwehren, zurückgegriffen.
"Wir haben aber wahrscheinlich nicht alle Lager gefunden", so Bergmann-Pfleger. Auch deswegen soll das Forschungsprojekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Land Niederösterreich gefördert wurde, "offen" bleiben. Das heißt, dass Hinweise auf noch nicht erfasste Lager, ergänzende Informationen und Bildmaterial ausdrücklich willkommen sind. Eine eigens dafür eingerichtete E-Mail-Adresse findet sich auf der Projektwebsite.
Service: Weitere Informationen und Karte unter: https://encampment-bik.lbg.ac.at/; Informationen an: encampment@lbg.bik.ac.at