Die Heiratschancen gebildeter Frauen
Partnerschaft und Familie haben für die meisten Frauen und Männer einen hohen Wert, und ebenso berufliche Erfüllung und Karriere. Das bestimmt schon vorher auf dem Heiratsmarkt die Erwartungen an die Partner und ihre Attraktivität. Denn in der Ehe müssen sie sich über die Aufteilung der Heimarbeit und der beruflichen Prioritäten einigen. Die hochqualifizierten Frauen wollen arbeiten und können viel zum Familieneinkommen beisteuern, aber die Zeit zuhause fehlt. Da sind die Männer gefordert, in Kinderbetreuung und Heimarbeit anzupacken, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Ihre Freiräume nehmen ab, sie müssen Kompromisse eingehen. Nehmen deshalb die Heiratschancen hochqualifizierter Frauen ab? Welchen Einfluss haben soziale Normen über die Stellung der Frau in Familie, Gesellschaft und Arbeitswelt? Christian Keuschnigg, Herausgeber.
Quelle: Bertrand, Marianne, Patricia Cortes, Claudia Olivetti und Jessica Pan (2020), Social Norms, Labor Market Opportunities, and the Marriage Gap between Skilled and Unskilled Women, Review of Economic Studies, erscheint demnächst.
In den letzten 50 Jahren heirateten Frauen und Männer in den Industrieländern deutlich weniger oft. Gleichzeitig erhöhte sich in den meisten Ländern das Heiratsalter. Aber wie entwickelten sich die Heiratschancen hochqualifizierter Frauen im Vergleich zu jenen mit niedrigen Qualifikationen? Welche Rolle spielen soziale Normen? Wie wirken sich bessere Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und unterschiedliche Einstellungen gegenüber arbeitenden Frauen in der Gesellschaft auf die Heiratschancen aus? Gibt es ein Heiratsdefizit von hochqualifizierten Frauen, und wie kann es beseitigt werden?
Diesen Fragen sind die Ökonominnen Marianne Bertrand, Patricia Cortés, Claudia Olivetti und Jessica Pan nachgegangen. Sie haben die Entwicklungen in 23 Industrieländer in den Jahren 1995, 2000, 2005 und 2010 und in den Bundesstaaten der USA von 1970 bis 2010 miteinander verglichen.
In allen 23 Ländern haben sich die Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in den letzten Jahrzehnten verbessert, aber nicht unbedingt ihre Heiratschancen. Die hochqualifizierten Frauen haben einen Heiratsnachteil, wenn der Anteil der verheirateten an allen Frauen in dieser Gruppe kleiner ist als bei den niedrigqualifizierten Frauen. Der geringere Anteil steht für die geringeren Heiratschancen. In einigen Ländern hat der Heiratsnachteil hochqualifizierter Frauen abgenommen, in anderen ist er jedoch weiter gestiegen. In den USA heiraten beispielsweise heutzutage hochqualifizierte Frauen gleich häufig, wenn nicht häufiger als niedrigqualifizierte. Das war nicht immer so. In Korea und in anderen asiatischen Ländern hingegen heiraten hochqualifizierte Frauen noch immer seltener. Gleichzeitig beobachtet man zunehmend bessere Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und einen Rückgang der Geburtenrate in Industrieländern. Die Heiratschancen haben auch Einfluss auf die Bildungsentscheidungen von Frauen. Wie hängen diese Entwicklungen zusammen?
Die Forscherinnen entwerfen eine Theorie und überprüfen ihre Hypothesen anhand der Daten. Die Theorie beschreibt die Chancen auf den Arbeits- und Heiratsmärkten, das Verhalten der Frauen und Männer in den Familien, die Bildungsentscheidung der Frauen und den Einfluss sozialer Normen. Wenn der Lohn der Arbeit ausser Haus tief ist, dann können die Frauen wenig zum Familieneinkommen beisteuern. Die Frau zieht es vor, daheim zu bleiben. Die Familie verliert wenig an Einkommen, aber profitiert stark von der Arbeit zuhause. Die Frauen sind auf dem Heiratsmarkt für Männer attraktiv, denn ihre Freiräume sind gross. Wenn dagegen die Frauen qualifizierter sind und mehr verdienen, steigt ihre Erwerbsbeteiligung, aber der Beitrag zum Familieneinkommen ist noch nicht ausreichend gross. Die Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung fehlt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird zum Problem. Die Mitarbeit der Männer ist gefordert. Das ist für die Männer nicht attraktiv. Die Heiratschancen der Frauen sinken. Solche Perspektiven entmutigen die Bildungsentscheidung geringqualifizierter Frauen. Die hochqualifizierten Frauen wollen arbeiten, verdienen viel und können das Familieneinkommen stark steigern. Die Familie kann es sich leisten, die Heimarbeit mit Putzmann bis Kinderfrau zu rationalisieren. Die Zeit für Kinder ist knapp, aber von hoher Qualität. Das ist auch für die Männer sehr attraktiv. Die Heiratschancen hochqualifizierter Frauen mit hohen Löhnen steigen wieder.
Müssen die Heiratschancen geringqualifizierter Frauen mit zunehmender Ausbildung und höheren Löhnen sinken? Die Weiterentwicklung sozialer Normen für mehr Gleichberechtigung in der Familie und auf dem Arbeitsmarkt kann den Heiratsnachteil für Frauen mit mittlerer Ausbildung weitgehend beseitigen. Wenn die Männer freiwillig zuhause anpacken und die Gesellschaft die Erwerbsbeteiligung der Frauen unterstützt, sinkt der Heiratsnachteil. Abbildung 1 illustriert den Zusammenhang.
Die Autorinnen haben anhand von Umfragedaten festgemacht, ob in einem Land die Einstellung gegenüber der Rolle der Frauen in der Familie und in der Arbeitswelt eher konservativ oder eher gleichberechtigt ist. In Abbildung 1 ist ersichtlich, dass in konservativen Ländern (z.B. Italien, Tschechien, China) der Unterschied der Heiratschancen zwischen hoch- und geringqualifizierten Frauen grösser ist als in Ländern mit einer gleichberechtigten Einstellung gegenüber Frauen (z.B. Norwegen, Schweden, Dänemark). In diesen Ländern hat sich der Trend sogar gekehrt, d.h. dass hochqualifizierte bessere Heiratschancen haben. Länder wie die Schweiz und Deutschland werden als mittelmässig gleichberechtigt eingestuft. In der Abbildung ist ersichtlich, dass hochqualifizierte Frauen in der Schweiz geringere Heiratschancen haben als hochqualifizierte Frauen in Deutschland.
Wie in der Abbildung 1 gezeigt können soziale Normen den Zusammenhang zwischen zunehmenden Qualifikationen mit steigenden Löhnen der Frauen und ihrem Heiratsnachteil verändern. Die Forscherinnen finden, dass hochqualifizierte Frauen insgesamt seltener heiraten als geringqualifizierte, obwohl hohe Qualifikation und hohe Löhne den Heiratsnachteil an sich reduzieren. Sie erklären dieses Fakt wie folgt: Erstens könnten Männer ganz allgemein eine nicht-arbeitende Frau als Ehefrau bevorzugen. Zweitens sind hochqualifizierte Frauen wählerischer bei der Suche eines Ehemanns, da sie eher eine gut bezahlte Stelle finden können und deswegen nicht finanziell abhängig sind.
Im Jahr 2010 waren nur noch circa 80 Prozent der 35- bis 44-jährigen mindestens einmal verheiratet, wohingegen es in 1970 noch über 90 Prozent waren. Diese Entwicklung war sowohl in den USA, in Europa wie auch in Asien ersichtlich.
Mit den Forschungsnachrichten fassen die besten Studierenden wirtschaftspolitisch relevante Ergebnisse der aktuellen Forschung für Entscheidungsträger und die interessierte Öffentlichkeit zusammen.
Nora BEARTH Universität St. Gallen Master in Quantitative Economics and Finance nora.bearth@student.unisg.ch
Quelle: WPZ Forschungsnachricht Nr. 67