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Klimawandel, Digitalisierung und Rohstoffkrise setzen der Bauwirtschaft zu. Neue Forschungsansätze zeigen mögliche Lösungen auf - viele Innovationen sind aber noch nicht auf der Baustelle angekommen.
APA/Schneider
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Der Bausektor gilt als eher träger Tanker. Das ist nicht unbedingt die beste Voraussetzung in Zeiten von Klimawandel, Digitalisierung, Rohstoffkrise und gesellschaftlichen wie demografischen Veränderungen. Inzwischen kommt aber etwas Bewegung in die Sache – das Fundament dafür ist die Forschung.

„Ein Schnellboot ist die Bauindustrie sicherlich nicht. Aber so schlecht, wie sie immer dargestellt wird, ist sie auch nicht“, verweist Ralph Stöckl vom Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der Technischen Universität (TU) Graz auf zahlreiche aktuelle Aktivitäten. Wo gibt es Innovationen in der Branche? Welche neuen Technologien und Materialien werden bereits eingesetzt, sind in Entwicklung oder könnten in Zukunft eine Rolle spielen? Wie lässt sich die Digitalisierung nutzen? Und welchen Einfluss haben Klimawandel, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft? APA-Science hat sich umgehört.

Branche im (Klima-)Wandel

Um Gebäude an die Erfordernisse des Klimaschutzes anzupassen, ist die ganze Baubranche im Wandel, erklärt Azra Korjenic vom Institut für Werkstofftechnologie, Bauphysik und Bauökologie der Technischen Universität (TU) Wien: „Wir wissen, dass das Bauwesen einer der Wirtschaftszweige mit den größten Materialflüssen, sowie dem größten Energie- und Ressourcenverbrauch ist, und deshalb gibt es hier viel zu tun.“ Von der Entnahme der Materialien in der Natur, über die Transportwege, die Bearbeitung, die Nutzungsphase des Gebäudes und die Wiederverwertung müsse man alles inkludiert betrachten und planen. Außerdem müsse mehr wiedertrennbar gemacht und recycelt werden.

Vor fünf bis zehn Jahren hatte die Bauwirtschaft den Klimawandel noch gar nicht im Fokus, nun muss sie sich aber ganz genau überlegen, wie sie das „Treibhausgas-Budget“ investiert, das ihr laut Weltklimarat zusteht, erklärt Alexander Passer von der Professur für Nachhaltiges Bauen am Institut für Tragwerksentwurf der TU Graz. Die Klimapolitik muss in Zukunft im Hinblick auf die Klimaziele von Paris eine „härtere Sprache sprechen als die Budgetpolitik“, meint er. Aktuell entwickelt Passer mit seiner Forschungsgruppe Rechenmodelle, um Treibhausgas-Bilanzen für den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes zu ermitteln.

Am Baustellenbetrieb könne man Einiges der zehn Prozent Treibhausgasemissionen einsparen, für die die Bauindustrie weltweit verantwortlich ist, fanden die Baubetriebsforscher Leopold Winkler und Maximilian Weigert vom Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien heraus. Die von ihnen veröffentlichte Studie „CO2 neutrale Baustelle“ zeigt, dass einige technische und organisatorische Maßnahmen die CO2-Last bereits um die Hälfte senken (siehe Gastbeitrag „Auf dem Weg zur CO2-neutralen Baustelle“).

Fokus auf Bestandssanierung

„Die großen Schritte, um die Klimaziele im Bausektor zu erreichen, sind aber nicht im Neubau, sondern bei der Bestandssanierung zu setzen“, sagt Markus Leeb vom Forschungsbereich Smart Building and smart City der Fachhochschule (FH) Salzburg. Mit Kollegen hat er ein Forschungsprojekt namens „Zero Carbon Refurbishment II (ZeCaRe)“ in einer Salzburger Wohnsiedlung aus den 1980er Jahren durchgeführt, die dadurch klimaneutral gestaltet wurde. Man hat dort nicht nur ein erneuerbares Energiesystem mit Photovoltaik, Abluftwärmerückgewinnung, Abwasserrückgewinnung und Kesselpellets installiert und das Gebäude wärmeisoliert. Damit die Mobilität der Bewohner umwelt- und klimaschonender werden kann, gibt es dort nun eine große Radgarage, Carsharing und Lastenfahrräder.

„In Österreich leben die meisten Menschen in Einfamilienhäusern“, so Bernhard Sommer von der Universität für angewandte Kunst (Die Angewandte) in Wien. Beim Heizen ist dies ein Nachteil, denn es ist aufwendiger, sie etwa an Fernwärmenetze anzuschließen, und im Vergleich zum Volumen haben sie eine recht große Oberfläche, über die Wärme verloren geht. „Bei der Energieproduktion durch Solarpaneele ist die vergleichsweise große Dachfläche jedoch ein Vorteil, und auch auf der Wiese rundherum kann man wunderbar Wärmepumpen aufstellen oder Geothermie nutzen“, sagt er: „Diese Möglichkeiten haben wir im innerstädtischen Bereich nicht.“

Auf einen Blick
  • Der Bausektor ist nicht gerade geprägt von schnellen Umbrüchen, steht aber vor großen Herausforderungen, was die „Gebäude der Zukunft“ betrifft.
  • Innovative Ansätze entwickeln sich vor allem in den Bereichen Klima & Energie, Materialien, Digitalisierung und Raumplanung.
  • In der Umsetzung und Anwendung gibt es einzelne Vorreiter und Pilotprojekte, oft ist aber die Wirtschaftlichkeit (noch) nicht gegeben.
Facts

Programm Stadt der Zukunft.

Programm Haus der Zukunft

Studie „CO2 neutrale Baustelle“

Projekt „Zero Carbon Refurbishment II (ZeCaRe)“

Dekarbonisierungs-Roadmap der Zementindustrie

Digital Findet Stadt – die Innovationsplattform für Digitalisierung am Bau

Eigene Energieproduktion

„In Zukunft wird man nicht ohne Energieproduktion am Gebäude selbst auskommen“, erklärt Korjenic: „Österreich und die Europäische Union müssen endlich aus der Energieabhängigkeit gelangen, egal ob es von Russland oder Amerika ist.“ Bei Wohn- und Bürohäusern wäre aktuell die Photovoltaik am wichtigsten. „Es gibt aber auch noch andere Arten der Gewinnung, wie etwa Geothermie, und man kann mit Wärmepumpen arbeiten.“ Windräder am Gebäude selbst könnten ebenfalls eine Option werden. „Davor scheuen noch viele zurück und derzeit empfehlen wir das auch noch nicht“, meint sie. Wegen des Klimawandels gewinne auch das Thema Kühlung an Bedeutung.

 

„Ich wehre mich zwar immer noch sehr stark, im Wohnbereich zu kühlen, weil man zuerst alle passiven Maßnahmen ergreifen sollte, aber ich weiß, wie es sich in der Großstadt anfühlt, wenn zehn Tage hintereinander die Nachttemperaturen nicht unter 25 Grad sinken“, berichtet Leeb: „Irgendwann ist der Leidensdruck so hoch, dass eine Kühlung her muss“. Diese kann man mit einer herkömmlichen Klimaanlage und Fan Coils (Gebläsekonvektoren) bewerkstelligen, aber viel effektiver wäre sie mittels „thermischer Bauteilaktivierung“. Dabei werden die Bauteile, vulgo Wände, zusätzlich zu ihrer Stütz- und Trennfunktion als Wärme- und Kältespeicher verwendet.

Bei der sogenannten Ingenieurbiologie werden Pflanzen und Pflanzenteile zur Stabilisierung von Bauwerken verwendet, sowie als Erosionsschutz, sagt Rosemarie Stangl vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (IBLB) der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. In der Landschaftsbautechnik würde man wiederum mit härteren Naturmaterialien wie Holz und Stein zum Beispiel für die Pflasterung von Freiräumen und anderen Aufenthaltsflächen sorgen. „Eine Sparte, die jetzt immer relevanter und brisanter wird, ist aber der Rückbau, um die Siedlungsräume zu begrünen“, sagt sie. In der Forschung würde man dafür ganz spezielle, leistungsfähige „technische Substrate“ entwickeln. Sie könnten überall dort eingesetzt werden, wo zuvor großflächige Flächen asphaltiert und betoniert wurden, ohne dass es unbedingt nötig war (also primär aus Kostengründen).

Begrünung von Dächern und Fassaden

Auch Begrünungen an Dächern und Fassaden sollten vermehrt angebracht werden. „Wenn man auf der grünen Wiese ein Haus baut, dann ist diese Fläche fortan eine Vollversiegelung“, sagt sie. Begrünt man anschließend das Dach, würde dies zumindest teilweise den Verlust der Pflanzen kompensieren, die etwa CO2 aufnehmen, Feuchtigkeit speichern und für Kühlung sorgen. „Allerdings sollte man hier einen guten Aufbau verwenden, der ausreichend Regenwasser für die Pflanzen speichern kann“, meint sie: „Es macht wenig Sinn, überall Grünbewachsungen zu machen, die man extra bewässern muss.“

 

Während die Förderung bei kommerziellen Bau- und Renovierungsarbeiten laut den Experten noch zu wenig auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgelegt ist, stehen bei der Forschungsförderung zahlreiche Möglichkeiten offen. So gab es bei der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG schon von 1999 bis 2012 das Programm Haus der Zukunft und aktuell Fördermöglichkeiten zur Stadt der Zukunft. Die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich (ecoplus) lanciert ein Forschungsprojekt, wie man den zunehmenden Kühlbedarf „mit passiven, technisch robusten und energieeffizienten Maßnahmen“ decken kann.

Auf das Material kommt es an

Als in vielerlei Hinsicht bedeutender Ansatzpunkt angesichts der aktuellen Herausforderungen gelten die in der Bauwirtschaft eingesetzten Materialien. Beton, Holz und Ziegel sind wohl die bedeutendsten Baustoffe der tragenden Struktur von Bauprojekten.

 

„Beton ist weltweit mit einem Anteil von nahezu 90 Prozent der mit Abstand meist eingesetzte Baustoff“, so Ildiko Merta, Materialwissenschafterin am Institut für Werkstofftechnologie, Bauphysik und Bauökologie der TU Wien. Der Baustoff hat bekanntlich einen schlechten Ruf, wenn es um die Ökobilanz geht. Beton ist laut der Expertin aber an sich ein nachhaltiges Material mit einem niedrigen CO2-Fußabdruck. Wenn man ihn mit anderen Materialien vergleiche, sei er nicht „schmutziger“ als diese. „Die Krux an Beton und Zement ist die enorme Menge, die hergestellt werden muss“, schildert Merta.

Die CO2-Hauptlast entsteht bei der Zementherstellung – rund acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen kommen aus der Zementproduktion: Der Rohstoff Kalkstein muss auf 1.450 Grad erhitzt werden. Dabei entstehen 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen beim reinen Verbrennungsprozess, 60 Prozent werden durch die chemische Reaktion bei der Kalksteinverbrennung freigesetzt.

Die Zementanlagen – vor allem in Österreich – seien bereits äußert effizient. Da ist laut Merta kaum mehr etwas herauszuholen. Ökologisch gesehen sei also der Hauptansatzpunkt, „wie viel Zement bringt man in den Beton“. Außerdem gehe es unter anderem darum, alternative Bindemittel zu entwickeln, um den klassischen auf Kalkstein basierenden Zement zu reduzieren beziehungsweise teilweise zu substituieren. Die neuen Produkte müssen idealerweise Eigenschaften wie der klassische Zement aufweisen.

Es braucht also Alternativen. So soll etwa Zementklinker, der gebrannte Bestandteil des Zements, der für die Aushärtung unter Beimengung von Wasser zuständig ist, teilweise durch getemperte (kalzinierte) Tone, die weltweit recht breit verfügbar sind, ersetzt und damit die CO2-Bilanz des Betons verbessert werden. Da die Verbrennungstemperatur von getempertem Ton rund bei der Hälfte von Kalkstein liege, werde insgesamt 30 bis 40 Prozent weniger CO2 ausgestoßen.

Beton ist auf dem Weg

„In den vergangenen zwei Jahren hat sich sehr viel in Österreichs Beton- und Zementbranche getan“, freut sich auch Joachim Juhart, Leiter der Arbeitsgruppe mineralische Baustoffe am Institut für Materialprüfung und Baustofftechnologie mit angeschlossener TVFA für Festigkeits- und Materialprüfung der TU Graz. Der Stand der Dinge sei nämlich, dass die europäische Zementindustrie eine Dekarbonisierungs-Roadmap aufgelegt hat – also Pfade zur CO2-Reduktion in der Zement- und Betonherstellung – und die heimische Zementindustrie folgt diesen Wegen.

CO2-reduzierte Zemente seien bereits vergangenes Jahr auf den Markt gekommen, heuer sollten weitere folgen. Neue, mit einer nochmals verbesserten CO2-Bilanz ausgestattete Produkte würden ebenfalls knapp vor der Marktreife stehen. Weiters plädiert Juhart für ein einheitliches Normen- und Regelwerk, das die CO2-Last über alle Baustoffe hinweg vergleichbar macht.

Holz wächst

Beim Holzbau ist seit geraumer Zeit ein stetiges Wachstum feststellbar. In den vergangen Jahren hat sich der Holzbauanteil fast verdoppelt. Ungefähr ein Drittel der Baukörper wird laut von APA-Science befragten Forschern in Österreich in Holz ausgeführt – zumeist im Bereich Einfamilienhaus. Im mehrgeschoßigen Wohnbau gibt es Leuchtturmprojekte in Holzbauweise, was aber noch nicht in der Breite angekommen ist. Die Wissenschafter glauben aber, dass es in diesem Bereich zu starken Zuwächsen kommen wird.

Beim klassischen Holzhaus werde meist vom Fertigteilhaus ausgegangen. Das sei eine relativ effiziente Rahmenbauweise mit Dämmstoffen und Werkstoffplatten, erläutert Johannes Konnerth vom Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien: „Vor ungefähr 20 Jahren ist dann das Brettsperrholz (BSP) unter maßgeblicher Mitwirkung von Gerhard Schickhofer, Leiter des Instituts für Holzbau und Holztechnologie der TU Graz, entwickelt worden, das besonders den mehrgeschoßigen Holzbau im urbanen Raum vorangebracht hat. BSP ist ein flächiges Material mit dem man massive Holzwände bauen kann. BSP-Platten in Kombination mit Brettschichtholz (BSH-Trägern) haben in den vergangenen Jahren durch diverse Leuchtturmprojekte gezeigt, dass mit ihnen effizient mehrgeschoßige Gebäude auch im städtischen Umfeld realisierbar sind“, so Konnerth.

Einsatz von Laubhölzern ausweiten

„Die Holztechnologie in Österreich hat sich seit jeher mit Nadelbäumen beschäftigt und erst mit ausreichender Verfügbarkeit das Laubholz miteinbezogen“, erzählt wiederum Thomas Schnabel, Forschungsleiter am Studiengang Holztechnologie & Holzbau an der Fachhochschule Salzburg. Mittlerweile gebe es bereits Laubholzprodukte, die im Bau für hoch beanspruchte Bauteilelemente eingesetzt werden können.

Die Forschungsanstrengungen bezüglich Laubhölzern würden verstärkt, bestätigt auch Konnerth. „Das sind Holzarten, die andere Eigenschaften aufweisen und völlig anders zu behandeln sind. Wenn wir den Holzbau massiv steigern wollen, muss aus den bestehenden Ressourcen mehr herausgeholt werden. Dabei sollten außerdem neue Prozesse entworfen werden“, erklärt der Experte. Künftig werde man wohl traditionelle Fertigkeiten mit innovativen Technologien kombinieren müssen. Diesbezüglich sind die Wissenschafter aber zuversichtlich. „Wir haben in Österreich einen sehr guten Anteil an innovativen Betrieben. Das zeichnet uns aus, daher zählen wir zu den führenden Ländern bei der Holzverarbeitung und im Holzbau“, ist Konnerth überzeugt.

Ziegel durchleuchten

Dem Ziegel wird beim Wohnbau hohe Wertschätzung entgegengebracht. Immerhin entscheiden sich in Österreich laut dem Fachverband der Stein- und keramischen Industrie 70 Prozent beim Wohnbau für den jahrtausendealten gebrannten Baustoff. Von der technischen und technologischen Seite her gebe es jedoch weiterhin viel Potenzial zu heben, wird von mehreren Seiten attestiert.

 

Daran arbeitet Forschungsleiter Josef Füssl mit seinem Team vom Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen der TU Wien in Kooperation mit der Ziegelindustrie. Im Kern geht es bei dem FFG-Projekt um den Aufbau eines virtuellen Labors, mit dem die unterschiedlichen Ziegelscherbenmischungen leichter, schneller und kostengünstiger vergleichbar gemacht werden sollen.

 

„Wenn man verschiedene Tone mischt und diverse Porosierungsmittel beigibt, kann man via Computermodell vorhersagen, welche Qualitäten bezüglich Festigkeit und Wärmedämmung zu erwarten sind“, umreißt Thomas Buchner, Praedoc im Team Füssl, der zu dieser Thematik dissertiert, den besonderen Wert der Idee. Mit einem „Knopfdruck“ sei es möglich, im virtuellen Labor eine riesige Menge an Materialtests durchzuführen, ergänzt der Materialwissenschafter Markus Königsberger.

Digitalisierung wird zum Muss

Eine massive Veränderung steht der Bauwirtschaft mit der Digitalisierung großteils noch bevor. Zwar wird derzeit schon viel an Automatisierung und dem Einsatz von Sensoren und künstlicher Intelligenz geforscht, auf den Baustellen angekommen ist davon aber kaum etwas. Weiter ist man schon in der Planung und Bauvorbereitung. Hier dürfte sich vor allem Building Information Modeling (BIM) als Standard etablieren.

 

BIM ist eine Schlüsseltechnologie, ein digitales Gebäudemodell, das Bauwerksinformationen strukturiert verfügbar macht. „Das ist viel mehr als nur ein 3D-Modell, es ist eine eigene Methode. Dabei werden den einzelnen Bauteilen Attribute, wie Materialien, Dauern oder Kosten, hinterlegt. So lässt sich auswerten, wie lange der Bau des Gebäudes dauert und wie viel es kosten wird. Der Vorteil ist, dass verschiedene Firmen darauf zugreifen können“, streicht Ralph Stöckl von der TU Graz hervor. BIM erlaubt es, die verschiedensten anderen Technologien anzubinden – mit enormem Potenzial, ergänzt Steffen Robbi, CEO von Digital Findet Stadt – die Innovationsplattform für Digitalisierung am Bau.

In anderen Projektphasen spielt BIM ebenfalls seine Stärken aus: Das 3D-Modell kann in diverse automatisierte Fertigungsprozesse überführt werden oder man visualisiert die Daten und spaziert durch das Gebäude. „Auch die Kreislaufwirtschaft funktioniert nur, wenn es eine digitale Gebäudedokumentation gibt. Wenn man aus irgendwelchen alten Plänen rausziehen muss, welche Materialien da verbaut sind, wird das nicht klappen. Unmöglich“, ist Robbi überzeugt. BIM sei die Grundlage für die darauf aufbauende Anwendung von vielen weiteren digitalen Use Cases und Technologien.

Hürden in drei Bereichen

Allerdings gebe es noch Hürden in drei Bereichen: Erstens bei Fachpersonal und Kompetenz, zweitens bei der Standardisierung und den Schnittstellen sowie drittens bei den internen Prozessen. Entsprechend geschultes Personal sei derzeit kaum verfügbar. „Die Mehrheit der Architektur- und Ingenieurbüros besteht nur aus ein paar Leuten. Wenn die einen großen Technologiewechsel machen und ihre Mitarbeiter schulen müssen, ist das für viele nicht leistbar“, meint Kevin Bauer, Global Business Development Manager bei Siemens.

Auch in der Ausführungsvorbereitung scheint die Digitalisierung schon vorangeschritten. Angebotseinholung und Auftragsvergabe sind über entsprechende Plattformen möglich. Für die Einschätzung, wie teuer ein neues Gebäude wird, kann man künstliche Intelligenz, die auf die Auswertung vergangener Projekte trainiert worden ist, nutzen. Eine aktuelle Herausforderung ist laut Stöckl, dass man einen ausreichend großen Datensatz hat. Kein Problem ist hingegen die Virtualisierung von Räumen. Der potenzielle Käufer eines Gebäudes oder einer Wohnung kann sich mit einer 3D-Brille durch die Räumlichkeiten bewegen und sich überlegen, welche Bodenausstattung er wählt.

Beim Schritt von digitalisierten Planungsprozessen in die operativen Einheiten gibt es insgesamt die größten Schwierigkeiten. „Genau da hängt es. Auf der Baustelle ist man noch im Experimentierstatus. Das sind selbst bei ganz großen Unternehmen eher Pilotprojekte“, so ein Branchenkenner. Viele Ansätze würden durch die Unmenge an Schnittstellen und Insellösungen im Keim erstickt. Ideen zur Digitalisierung der Prozesse sind jedenfalls keine Mangelware. Ein Beispiel sind KI und Bilderkennung über eine Kamera am Kran. „So könnte man nicht nur feststellen, ob eine Wand schon errichtet worden ist, sondern auch, ob eine Arbeitskraft einen Helm aufgesetzt hat oder sich in einem Gefahrenbereich, zum Beispiel dem toten Winkel eines Lkws, befindet“, sagt Stöckl.

Automatisierung noch nicht massentauglich

Gerade bei der Automatisierung von Bauabläufen gibt es laut den Experten großes Interesse der Branche. Von Massentauglichkeit könnte aber noch lange nicht gesprochen werden. Am weitesten verbreitet sei die Bestandserfassung mit Laserscannern auf der Baustelle. „Egal, ob mit Drohnen in größeren komplexeren Bausituationen oder durch einen Roboter-Hund, der herumläuft, das funktioniert sehr gut“, meint Robbi.

Bei der Fertigung sei man aber noch „meilenweit weg von Standardisierung“. Zwar gebe es Bohrroboter, die geometrische Informationen aus dem digitalen Modell als Basis nutzen, teilautomatisiert oder ganz automatisiert durch die Gegend fahren und Löcher bohren. Lohnen würde sich das aber erst ab 10.000 Bohrlöchern, etwa in Tunneln oder bei wirklich großen Objekten mit einer hohen Anzahl standardisierter Bohr-Situationen. In mittleren und kleineren Projekten sei nach wie vor der händische Weg der schnellste.

„Wir sind jetzt in einer Pilotphase, in der viele Sachen ausprobiert werden“, stellt auch Bauer fest. Vor allem die Kombination von BIM, Cloud Technologie und dem Internet der Dinge (IoT) mache spannende Projekte möglich, wie einen Bagger ans Internet anzubinden. „Der 2D- oder 3D-Plan liegt in der Cloud und der Bagger kann das ohne Gefahr und auf allen Baustellen automatisch abgraben. Wenn klar wird, dass das geht, wird sich das schnell durchsetzen.“

Potenzial beim 3D-Druck von Spezialbauteilen

Potenzial gibt es laut Robbi beim 3D-Druck – zumindest in speziellen Bereichen wie der Betonfertigung. Hier würden in Europa einige Pilotprojekte im mehrgeschoßigen Wohnbau laufen. „Die Firma Concrete 3D druckt beispielsweise Einzelelemente. Das geht viel schneller und damit kostengünstiger, als wenn man komplizierte Schalungen verwenden würde, die viel Zeit kosten. Inwieweit sich das durchsetzt, ist schwer zu sagen.“ In Österreich schon etabliert und digital fortgeschritten sei die modulare Vor-Fertigung und dort besonders der Holzbau-Bereich.

 

Im Gebäudebetrieb ist Branchenkennern zufolge mit Abstand der geringste Digitalisierungsfortschritt zu verzeichnen. „Obwohl es entsprechende Tools, eine gute Sensorik, ein vernünftiges Monitoring und eine intelligente Datenauswertung schon sehr lange gibt, passiert immer noch sehr wenig“, stellt der Experte fest. Grund dafür sei das Thema Wirtschaftlichkeit. „Wenn der, der investiert, direkt davon profitiert, dann funktioniert es. Solange die Nutzer ihre Miete oder die Betriebskosten bezahlen, hat der Eigentümer wenig Interesse, in moderne Technologien zu investieren beziehungsweise das Personal zu schulen“, erklärt Robbi.

Smartness vom Gebäudetypus abhängig

Wie smart und digital Bauprojekte und Betrieb sind, hänge vor allem vom Gebäudetypus ab, so Bauer. Als Vorreiter sieht der Siemens-Manager beispielsweise internationale Pharmakonzerne. „In der Wohnungswirtschaft gibt es vonseiten der Entwickler hingegen kein großes Interesse, innovativ zu bauen und die Betriebskosten niedrig zu halten, weil ohnehin der Mieter zahlt und der Betrieb nicht kritisch ist. Ganz anders sieht das etwa bei Produktionsunternehmen aus: Die haben extrem hohe Betriebskosten, laufen teilweise 24 Stunden am Tag, sind extrem kritisch – eine Stunde Stillstand kann in die Millionen gehen – und da sind die Gebäudebesitzer auch die Gebäudebetreiber.“

Im Prinzip gehe es bei der Digitalisierung immer um drei Sachen: Betriebs- beziehungsweise Wartungskosten verringern, Energieeffizienz und die Verbesserung der Primärprozesse. Was die Energieeffizienz betrifft, fehle Gebäuden oft noch die notwendige Reaktivität. „Heute werden Gebäude im Vorhinein programmiert: Am 13. März wird es 22 Grad haben und da werden sich so und so viele Leute im Gebäude aufhalten. Der nächste Schritt wäre, dass sich das Gebäude an die Situation anpasst, weil es nicht jedes Jahr am 13. März 22 Grad hat und vielleicht viele im Homeoffice sind. Damit das funktioniert, muss ich das Gebäude einerseits mit Sensoren intelligent machen und andererseits mit der Cloud verbinden“, so Bauer.

"Künftig werden Mensch und Maschine sehr eng zusammenarbeiten, etwa beim Heben, Tragen, Fenster einrichten oder Türen einsetzen." Steffen Robbi, CEO von Digital Findet Stadt

„Wie der Bauarbeiter in 20 Jahren aussieht, kann ich nicht sagen, aber vielleicht wird er von einem Exo-Skelett unterstützt, vielleicht laufen Arbeitskräfte mit Augmented Reality-Brillen herum. Voraussichtlich werden Drohnen vermehrt eingesetzt und Bilderkennung ist sicherlich auch ein wichtiger Punkt. Künstliche Intelligenz unterstützt beim Entwurf von neuen Gebäuden und der Dokumentation“, erwartet Stöckl. „Künftig werden Mensch und Maschine sehr eng zusammenarbeiten, etwa beim Heben, Tragen, Fenster einrichten oder Türen einsetzen. Spritzen, Schweißen und Bohren übernehmen zum Teil die Roboter“, prognostiziert Robbi.

Quartier statt einzelner Gebäude

Ob Energieeffizienz, Mobilität oder Material: Das Gebäude als einzelne Einheit zu sehen, sei jedenfalls zu wenig. Vielmehr müsse man systemisch denken, bringt Architektin Doris Österreicher von der Boku in Wien einen weiteren Aspekt ins Spiel. Es gehe um ein „Denken im Quartier“. So könnte die Abwärme eines Büros zugleich zum Heizen einer Schule genutzt werden. Im Neubau sei Energiesparen kein Problem mehr, für den Altbestand würden sich in einem Quartier viele Möglichkeiten bieten.

 

Hier könnte auch die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen („Nawaro“) sinnvoll sein, erklären die Bauingenieure Markus Wallner-Novak und Ewald Hasler von der FH Joanneum. Durch Bauholz, Hanf- oder Schafwolldämmung ließe sich CO2 binden. Die Bauteile wären zudem trennbar und damit wiederverwertbar. Baustoffe wie Holz, Hanf oder Schafwolle seien überdies lokal vorhanden, was nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zu Synergieeffekten führen kann.

Ein weiteres Ziel müsse die funktionale Dichte sein, so Österreicher. „Die Raumplanung muss man so denken, dass es kurze Wege für die Mobilität und die Infrastruktur gibt. Es braucht die Stadt der kurzen Wege, damit man problemlos ohne Auto zum Einkaufen oder zur Arbeit kommt.“ Denn ein großes Problem sei die Zersiedelung – also Gebäude, die in großem Abstand zueinander stehen. Nicht nur, dass es hier keine Quartierseffekte gibt, auch andere Komponenten wie Energieinfrastruktur oder Straßen werden dafür in viel größerem Umfang gebraucht.

Die Bedeutung des Standorts betont auch Wallner-Novak. „Wir können ein noch so energetisch optimiertes Haus bauen, wenn wir mit dem Auto pendeln, zerstören wir das, was wir aufgebaut haben“, erklärt er. Ein weiteres Problem sei das starke Nutzflächenwachstum, also die Anzahl der Quadratmeter pro Person. „Das wird sich einpendeln, vielleicht sogar reduzieren müssen.“ Ein Haus mit 150 Quadratmetern Fläche, das nach dem Auszug der Kinder nur noch von zwei Leuten bewohnt wird, sei energetisch kein Gewinnbringer.

„Shared Housing“ und Gebäude in Lebenszyklen

Ein Konzept, das helfen könnte, kommt aus der „Shared Economy“. In einem Quartier ließen sich viele Räumlichkeiten gemeinsam nutzen, verdeutlicht Österreicher: Fitnessraum, Partykeller, eine gemeinsame Grünfläche. „Co-living“ oder „Shared Housing“ nennt sich dies im Englischen. Hier kommt ein Merkmal hinzu, welches der Expertin besonders wichtig ist: „Wir haben lange nur auf die Effizienz geschaut, die selbstverständlich wichtig ist. Aber es geht beim Wohnen auch um Suffizienz.“ Und an dieser Stelle sei es nun einmal fraglich, ob zwei Leute 150 Quadratmeter brauchen, oder ob weniger nicht ausreichend wäre.

Recycling kennt man eher aus der Abfallwirtschaft, doch für das Bauen der Zukunft ist dieses Konzept nicht weniger wichtig. „Wir müssen das Gebäude in Lebenszyklen denken“, erläutert Österreicher. Was gebaut wird, sollte möglichst zerlegbar sein, damit die Komponenten mit wenig Energie wieder verwendet werden können. Unterstützt wird dies durch „Building Information Modeling“ (BIM), einer digitalen Datenbank der Komponenten. „Letztlich kann man es sich vorstellen wie bei einem Holzkasten: Den können Sie schrauben oder kleben.“ Nur geschraubt lässt er sich einfacher wiederverwenden. Dies ist im Bau ebenfalls möglich.

„Bauteile müssen gewartet werden, wie ein Auto. Doch wer wartet schon seine Fenster?“ Ewald Hasler von der FH Joanneum

Österreicher bekräftigt, dass es vor allem eins brauche: sanieren, sanieren, sanieren. Die Sanierungsquote in Österreich liege nämlich nur bei einem Prozent. Und die Langsamkeit dabei ließe sich einfach erklären: „Es fehlen rechtliche Rahmenbedingungen, sowie der ökonomische und politische Wille. Zum Beispiel muss man eine andere Herangehensweise finden, als nur einzelne Komponenten zu fördern.“ Die Wichtigkeit von Sanierung betonen auch die beiden Bauingenieure. „Man spart zwischen 50 und 80 Prozent an Ressourcen, wenn man umfassend saniert, anstatt abzureißen und neu zu bauen“, stellt Wallner-Novak klar.

Zersiedelung als Problem

Dass die Entwicklung von Quartieren zwar für urbane Zentren sinnvoll sei, aber nicht für den ländlichen Raum, lässt die Architektin nicht gelten. „Auch hier geht es darum, die Zersiedelung zu stoppen. Der 17. Supermarkt an der Ortsgrenze, zu dem man mit dem Auto fahren muss, das sollte nicht das Ziel sein.“ Innenentwicklung sei das Ziel, Ortskerne müssten wiederbelebt werden. „Das wäre gut für die klimatischen Aspekte und aus sozialer Sicht. In Dorfzentren treffen sich Menschen.“

 

Weiters müsse nicht nur die Flächenversiegelung aufhören – das Bebauen von Grünflächen – sondern es müsse zu einer Entsiegelung kommen. Grünflächen seien natürliche Kühler von Städten, während Asphalt weiter aufheize. Überhaupt ließe sich der Boden gut zum Kühlen nutzen: „Mit Erdwärmepumpen kann man im Sommer einem Gebäude Wärme entziehen, denn der Boden hat auch dann nur rund zwölf Grad.“ Wallner-Novak hält Geothermie ebenfalls für die beste Variante, um zu heizen und zusätzliche Kühle zu schaffen.

Egal ob Klimaschutz, Raumplanung, Materialien oder Digitalisierung: Bauwirtschaft und -forschung werden massive Anstrengungen unternehmen müssen, um rasch Lösungen für die Gebäude der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen. Letztendlich beeinflusst das unser aller Leben und Arbeiten.

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