Epilepsiebehandlung: Biotechnologen fanden umweltschonendes Verfahren für Pharmaproduktion
Eine neue Herstellungsmethode eines deutsch-österreichischen Konsortiums macht es möglich, dass ein pharmazeutischer Wirkstoff zur Epilepsiebehandlung mit doppelt so hoher Ausbeute hergestellt werden kann als auf dem traditionellen chemischen Weg. Die Veröffentlichung der ersten Versuche brachte den Forschern unter der Leitung des Austrian Centre of Industrial Biotechnology in Graz (acib) den Rang eines "Hot Paper" im Fachmagazin "Green Chemistry" ein.
Julius Cäsar litt daran ebenso wie Pythagoras - Epilepsie. Österreichweit sind laut acib und 65.000 Menschen von epileptischen Anfällen betroffen, die von plötzlich auftretenden abnormen Sinneseindrücken, Sprachstörungen und Krämpfen bis zum völligen Verlust des Bewusstseins reichen können. Für die medizinische Behandlung wird häufig der pharmazeutische Wirkstoff Levetiracetam eingesetzt. Erzeugt wird er bisher hauptsächlich am Wege der chemischen Synthese. Dabei entstehen jedoch große Mengen an unerwünschten Nebenprodukten und nur ein kleiner Teil der eingesetzten Stoffe landet im Endprodukt.
"Derzeit bekannte Herstellungsverfahren zeichnen sich leider durch geringe Atomeffizienz aus", formulierte es acib-Forscherin Margit Winkler. Um ein Produkt in gewünschter Qualität und Reinheit zu erhalten sind zahlreiche Aufreinigungsschritte notwendig. Das ist energie- und kostenintensiv und belastet insgesamt die Umwelt. "Bisher war der Markt auf diese Synthesewege angewiesen, da keine smarten Alternativen vorhanden waren", betonte Winkler.
Umweltfreundliche, effiziente Herstellungsmethode
Unter der Leitung des acib hat das Konsortium aus Wissenschaftern der Universität Graz, TU Graz, der Universität Mainz, dem Grazer Bioinformatikunternehmen Innophore sowie dem deutschen Firmenpartner Pharma Zell eine Herstellungsmethode entwickelt, die mit Hilfe von Enzymen umweltfreundlicher und wesentlich effizienter funktionieren soll.
Bisherige Verfahren hatten den Nachteil, ein Substanzgemisch aus zwei Stoffen zu bilden, die zueinander wie Bild und Spiegelbild sind, ging Winkler ins Detail. Allerdings besitze nur das Bild die gewünschte Wirkung. "Das inaktive Spiegelbild könnte bei Patientinnen und Patienten Nebenwirkungen erzeugen und muss somit als unerwünschter Abfall in aufwendigen Verfahren vom gewünschten Wirkstoff abgetrennt werden", wie die Grazer Biotechnologin ausführte. Diese Faktoren limitieren die Ausbeute der industriellen Produktion bisher auf weniger als 50 Prozent", verdeutlichte Winkler.
Verbessertes Enzym macht Route doppelt so effektiv
Die neue Synthesevariante namens "Dynamische kinetische Resolution" des Forscherteams setzt eine Nitril-Hydratase als Biokatalysator ein. Dieses von den Wissenschaftern des acib mithilfe von Protein-Engineering-Methoden verbesserte Enzym hat die Fähigkeit, bereits zu Beginn des Prozesses zwischen Bild und Spiegelbild zu unterscheiden und lediglich mit dem Bild zu reagieren. "Durch Wegfall des Spiegelbildes erhöht sich die Ausbeute theoretisch auf 100 Prozent und macht die neue Route folglich doppelt so effektiv wie herkömmliche Produktionsrouten", erklärte die Grazer Biotechnologin.
Als letzter Schritt werde mithilfe von Periodat als Oxidationsmittel ein Sauerstoffatom eingeführt, und so schließlich der gewünschte, fertige Wirkstoff in Reinform produziert. Das verbrauchte Oxidationsmittel werde im Anschluss mithilfe von elektrischem Strom regeneriert und kann somit immer wieder eingesetzt werden.
"Die neue Route bietet der Industrie den zusätzlichen Vorteil, auch in der Produktion umweltfreundlicher zu sein, da der Prozess unter milden Bedingungen in wässriger Lösung bei Raumtemperatur und Umgebungsdruck durchgeführt werden kann", wie die Forscherin erläuterte. Nun wollen die Forschenden den Prozess auf Industriegröße bringen. Das Konsortium geht davon aus, dass die neue Route bereits in einem Jahr von der Industrie angewendet werden könnte. Aus Sicht der Forscher könnte die Kombination von Enzymen und Elektrochemie künftig auch die Herstellung anderer Pharmazeutika effizienter und grüner machen.
Service: S. Arndt, B. Grill, H. Schwab,M. Winkler et al.: "The sustainable synthesis of levetiracetam by an enzymatic dynamic kinetic resolution and an ex-cell anodic oxidation", Green Chemistry, Issue 1, 2021, https://pubs.rsc.org/en/content/articlelanding/2021/gc/d0gc03358h#!divAbstract