ECTS an Hochschulen: "Gutes, aber ungenaues Konzept"
Seit 1999 soll das "European Credit Transfer and Accumulation System" (ECTS) Studienleistungen mess- und vergleichbar machen. In der Praxis funktioniert dies aber nur eingeschränkt, zeigte sich bei einer Online-Diskussion der Uni Graz am Dienstag Nachmittag. "ECTS ist ein gutes, aber ungenaues Konzept", meinte etwa die ehemalige Vizerektorin der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmeduni) Wien, Sibylle Kneissl.
Diskutiert wird über die ECTS-Punkte vor allem wieder aufgrund der für die ab dem Studienjahr 2022/23 geltende Mindeststudienleistung für Studienanfänger. Wer ab dem am 1. Oktober ein Bachelor-oder Diplomstudium beginnt, muss in den ersten beiden Studienjahren mindestens 16 ECTS-Punkte in diesem Studium schaffen. Jede Lehrveranstaltung/Prüfung ist dabei mit einer bestimmten ECTS-Anzahl bewertet.
Ungleichheit
In der Theorie soll ein ECTS-Punkt 25 Wochenstunden (inklusive Vorbereitung, Lehrveranstaltungsbesuch, wissenschaftliche Recherchen, Lernen) umfassen. In der Realität büffeln aber oft Studierende für die eine Prüfung wochenlang, während andere für die gleiche ECTS-Zahl wesentlich weniger tun müssen.
"Wir sind weit entfernt von der ECTS-Gerechtigkeit", bemängelte die stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH), Naima Gobara. Das fange schon damit an, dass niemand wisse, woher die Vorgabe der 25 Stunden komme (in Deutschland sind z.B. 30 Stunden pro ECTS-Punkt festgelegt, Anm.).
Bei der Festlegung der ECTS-Punkte habe man die vorher als Bemessungsgrundlage üblichen Semesterwochenstunden einfach umgerechnet, monierte Gobara. Die ECTS seien dann ein "Machtinstrument von Lehrenden geworden, die versuchen, sich in den diversen Kommissionen möglichst viele ECTS zu schnappen": "Das ist die unipolitische Währung geworden" - je mehr ECTS-Punkte die eigene Lehrveranstaltung habe, umso bedeutender sei man als Lehrperson. Die Herstellung von ECTS-Gerechtigkeit habe an den Hochschulen leider keine Priorität - im Endeffekt brauche es eine flächendeckende Überarbeitung der Curricula.
Unis müssen angemessene ECTS-Verteilung sicherstellen
Klar ist auch nicht, für wen und was die 25 Stunden pro ECTS gelte sollen: Für den Durchschnittsstudenten oder den begabten Studierenden, für ein Sehr Gut, ein Befriedigend oder knappes Genügend? Manche Hochschulen versuchen derzeit, auch aufgrund von Vorgaben des Bildungsministeriums die realen Workloads zu erheben - etwa im Rahmen von Lehrveranstaltungsevaluierungen, Befragungen oder durch den Einsatz elektronischer Tagebücher oder Apps.
An der Vetmeduni wurden Studierende von drei Grund- und einem Masterstudium etwa eingeladen, in einer bestimmten Anzahl an Lehrveranstaltungen ihren individuellen Workload zu erfassen. Die Rückmeldungen seien aber überschaubar gewesen, die Rücklaufquote niedrig, meinte Kneissl. Wo doch eine bestimmte Anzahl an Personen teilgenommen habe, habe sich gezeigt, dass der durch die ECTS vorgegebene Arbeitsaufwand nicht überschritten wurde.
Im Bildungsministerium verweist man auf eine vor kurzem beschlossene Novelle des Universitätsgesetzes: Seither müssen die Unis im Rahmen der Qualitätssicherung Instrumente etablieren, die eine angemessene ECTS-Verteilung in den Curricula sicherstellt, so der stellvertretende Leiter der Hochschulsektion, Heribert Wulz. Als Gesetzgeber könne man nur diesen Rahmen vorgeben, meinte er.