Forum Alpbach: Bei Covid-19 trifft Forschungsmeilenstein auf Dummheit
Beim Thema "Covid-19-Impfung" trifft für den früheren Chef des Forschungsrates, Hannes Androsch, ein "Meilenstein der Bewusstseinsbildung für Wissenschaft und Forschung" auf eine erstaunliche "Ballung an Dummheit". Dem Ansinnen, den Menschen mit seinen Werten und Bedürfnissen stärker bei der Entwicklung von neuen Technologien mitzunehmen, widmet sich u.a. auch deshalb das am Mittwoch präsentierte Jahrbuch zu den Alpbacher Technologiegesprächen (26. bis 27.8.).
In einem Zeitalter, "wo es noch nie so viel Wissenszugang" gab, mache auch ein erkleckliches Maß an Fake News, Verschwörungstheorien und alternativen Wahrheiten ihren Weg durch die Gesellschaft, so der auf die weitverbreitete Impfskepsis hierzulande und international angesprochene Herausgeber des Buches mit dem Titel "Discussing Technology" und dem Schwerpunkt auf "Human Centered Innovation". Hier werde "ganz bewusst" vielfach falsch argumentiert: "Die Technologie kann die Unzulänglichkeit und Fehlerhaftigkeit des höchsten Produktes der Schöpfung nicht ersetzen. Das müssen schon die Menschen selber machen. Sie haben aber eine doch beachtliche Neigung, sich manipulieren und verblöden zu lassen", sagte der ehemalige Aufsichtsratschef des federführend mit der Umsetzung der Technologiegespräche betrauten Austrian Institute of Technology (AIT).
Tscheligi: Stärker auf Impfgegner zugehen
Geht es nach Manfred Tscheligi, Leiter des AIT "Center for Technology Experience", zeigen die unterschiedlichen Ansichtsweisen im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise und ihrer durch die Wissenschaft mitermöglichte Überwindung, dass man "viel stärker und vorausschauender" etwa auf die bekannten Gruppen von Impfgegnern zugehen müsste. Strategien, die die Motivation erhöhen würden, sich etwa mit der neuen mRNA-Technologie auseinanderzusetzen, gebe es. Das sanftere Anstoßen in eine Richtung - genannt "Nudging" - sei ein Thema, das immer wieder auftaucht. Verhaltensänderungsthematiken stünden wissenschaftlich im Fokus, "werden in diesem Bereich aber de facto nicht eingesetzt", so der Forscher, der an der Universität Salzburg am Austausch zwischen technologischen Systemen und Menschen forscht.
Diese Thematik wird im Jahrbuch in Beiträgen von u.a. Androsch, Tscheligi, dem Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik der Technischen Universität (TU) Wien, Andreas Kugi, oder dem Ende August aus seinem Amt scheidenden Generaldirektor des MAK - Museum für Angewandte Kunst Wien, Christoph Thun-Hohenstein, umrissen, so der Wissenschaftsjournalist und Buchautor, Martin Kugler. Aktuell gebe es in vielen Bereichen einen Perspektivenwechsel in Richtung "Human Centricity", das in Ermangelung einer griffigeren Übersetzung auf Deutsch in etwa mit "Menschenzentrierung" betitelt wird.
Sei noch vor kurzem im Rahmen der "Industrie 4.0" von Produktionsstätten geredet worden, die ohne Menschen auskommen, zeigen sich mittlerweile die vielen Limitierungen des Ansatzes stärker. Ähnlich sehe es etwa beim vielfach gehypten Thema "autonomes Fahren" aus. Nun gehe es wieder stärker um ein Miteinander an der Mensch-Technik-Schnittstelle, so Experten.
Ausreichende Mittel und Freiheit für die Forschung
Das brauche es auch, um den großen Herausforderungen der Gegenwart und näheren Zukunft beizukommen, schlug Androsch die Brücke zum Überthema "Die große Transformation" des heute, Mittwoch, mit der Seminarwoche beginnenden Europäischen Forums Alpbach (bis 3. September). Ohne Wissenschaft und Forschung sei es weder denkbar, künftige Pandemien zu bekämpfen, noch etwas gegen den greifbaren Klimawandel zu tun. Dafür brauche es aber ausreichende Mittel, Freiheit für die Forschung und keine Versuche "sie ideologisch zu steuern - auch in Österreich", sagte Androsch.
Der wissenschaftliche Geschäftsführer des AIT und Ko-Herausgeber der Publikation, Wolfgang Knoll, verwies auf das Sicherheitskonzept, das nach einem Jahr Pause wieder einen größeren Austausch der wissenschaftlichen Gemeinde in Tirol ermögliche. Thematisch gehe es in neun Panel-Sessions und acht Arbeitskreisen um eine breite Palette an Themen, darunter etwa die "grüne Transformation", das Vermächtnis von Covid-19, das viel beachtete Quantencomputing oder um das Verhältnis zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz.
Service: Jahrbuch zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2021: "Discussing Technology: Human Centered Innovation", Hannes Androsch, Wolfgang Knoll, Anton Plimon (Hg.), Holzhausen Verlag, 176 Seiten. Download unter www.ait.ac.at/efatec.