Uni Wien: Nur jeder fünfte Antrag erhält auf Anhieb "Ethik-Stempel"
In der größten Universität Österreichs, der Uni Wien, spielt Ethik in der Forschung in vielen Belangen eine Rolle. Neben einer Stelle für Qualitätssicherung verfügt die Universität über eine unabhängige und weisungsfreie Ethikkommission. Anfragen an diese haben stark zugelegt - nicht zuletzt verlangen immer mehr Fördergeber einen Nachweis über die ethische Unbedenklichkeit eines Projekts.
"Die Ethikkommission kümmert sich bei Forschungsanträgen vor allem um Fragestellungen oder Versuche, bei denen es wichtig ist, den Respekt vor der Würde und Unversehrtheit von Mensch, Tier und Umwelt zu schützen", erläuterte Vizerektor Jean-Robert Tyran gegenüber APA-Science. Einen Zwang, jede Studie zur Begutachtung zu schicken, gibt es keinen, doch die Nachfrage steigt. "Vor allem im experimentellen Bereich. Neben Fördergebern bestehen auch Zeitschriften zunehmend auf einen 'Ethikstempel'", berichtet Tyran. Knapp 100 Anträge werden pro Jahr an die Kommission herangetragen. Von Durchwinken kann dabei keine Rede sein: Im Jahr 2018 wurden ihm zufolge 88 Anträge neu eingereicht und auch behandelt. Nur bei 23 Prozent gab es keine Bedenken, 53 Prozent wurden - mit Auflagen - positiv votiert . Neun Prozent der Anträge wurden mit der Pflicht zur Verbesserung rückgestellt.
Breit angelegte Prüfung
"Die Prüfung der Ethikkommission ist recht breit und umfassend: Sie untersucht nicht nur, ob ein Versuch gerechtfertigt ist, sondern auch, ob bei der Durchführung die Unversehrtheit von Mensch, Tier und Umwelt gewahrt wurde", erzählt der Vizerektor. Mache man eine Stress-Studie und setze die Teilnehmer einem extrem unangenehmen Geräusch aus, könne die Kommission etwa hinterfragen, ob das in dieser Lautstärke notwendig sei. "Sie wird aber ebenso darauf hinweisen, wenn es schon zehn ähnliche Studien zu diesem Thema gibt, dass ein weiterer Versuch nicht notwendig ist", führt er aus.
Im Lauf der Jahre hätten sich die Fragestellungen naturgemäß verändert. "Interdisziplinär kommen ganz neue Themen auf. So gibt es etwa Versuche in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften noch gar nicht so lange", gibt er zu bedenken. Der Anspruch der Uni Wien sei es, nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv neue Fragestellungen zu reflektieren. Darüber hinaus ist die Institution in Netzwerke wie die Alliance for Responsible Science und europaweite Assoziationen wie die European Universities eingebunden, die Tyran zufolge auch Fragen der Qualitätssicherung - und da gehöre Ethik eben mit dazu - diskutieren.
Auch eine Ombudsstelle wurde eingerichtet, an die sich Studierende oder Forschende wenden können, wenn sie das Gefühl haben, eine fragwürdige Praxis oder Fehlverhalten etwa eines Professors festgestellt zu haben. Auch Datenschutzverletzungen können Thema sein. Die Ombudsstelle berät nach den Richtlinien der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (siehe Gastkommentar "Wie ehrlich ist die Wissenschaft?") und gibt Tipps für die weitere Vorgangsweise.
Forschung in der Verantwortung
Mit "Responsible Science" setze man sich auch in der Forschung auseinander, so etwa im Rahmen der Plattform für Responsible Research and Innovation in Academic Practice unter der Leitung von Ulrike Felt. Dort die Frage im Mittelpunkt, wie man verantwortungsvolle Forschung im Kontext der Innovation betreiben kann und wie das gelebt wird.
Ethik - also gute wissenschaftliche Praxis - gehört Tyran zufolge zur Grundausbildung an der Uni Wien: "Schon im Studium erklären wir den Studierenden, wie man verantwortungsvoll mit Quellen umgeht, dass man sich nicht mit fremden Federn schmückt, also richtig zitiert, nicht plagiiert, was die Grundprinzipien der Replizierbarkeit sind."
Im Doktoratsstudium werden die diesbezüglichen Kurse noch einmal spezieller. "Da geht es auch darum, Dilemmata zu erkennen. Wenn ich einen Versuch gemacht habe und er nicht gelungen ist, wie gehe ich damit um? Muss ich das dokumentieren oder kann ich es einfach unterschlagen? Ist das eine lässliche Sünde oder nicht? Ist es okay, mit Datensätzen herumzuspielen, bis ein signifikantes Ergebnis herauskommt?", nennt Tyran einige Beispiele. Die Versuchung, ein wenig zu schummeln, sei angesichts des hohen Drucks groß. Hier komme die fundamentale Frage der Eigenverantwortung ins Spiel. "Wir möchten, dass jeder Wissenschafter weiß, wie er sich integer verhält und was er dazu tun muss." Man könne die Leute nicht dauernd überwachen, sondern es brauche ein Bewusstsein und Wissen. "Aber es braucht eben auch institutionelle Vorkehrungen, damit dieses Wissen angewendet wird. Und das ist oft ein Problem. Denn dann hört man: 'Die Chinesen halten sich auch nicht daran, und wenn wir das nicht machen, publizieren sie das als erste.'" Man sei quasi gezwungen, sich unethisch zu verhalten.
Keine einfachen Antworten
Nicht nur tauchen ganz neue Fragen auf, sie entwickeln sich auch rasend schnell weiter. So seien Kommissionen gefordert, sich permanent mit neuen Aspekten auseinanderzusetzen. "Siehe Künstliche Intelligenz, die nicht nur in autonomen Fahrzeugen zum Einsatz kommt, sondern auch Robotersoldaten steuern könnte. Was auf den ersten Blick vielleicht eine gute Sache ist, weil kein Menschenleben geopfert wird, wirft, wenn man ein wenig weiterdenkt, ganz viele problematische Fragen auf", so der Vizerektor.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science