Nachhaltige Logistik 4.0 in Österreich
Der polnische Bergsteiger Andrzej Bargiel stand am Sonntag dem 22. Juli 2018 am Gipfel des K2, des zweithöchsten Berges der Welt. Er fuhr auf seinen Skiern den wohl am schwierigsten zu besteigenden Achttausender auf der Welt vom Gipfel in 8.611 Metern Seehöhe bis ins Tal auf 5.000 Meter ab. "Das ist eine großartige Leistung, aber für mich fast noch beeindruckender ist die Logistik, die hinter solch einem Weltrekordversuch steckt", erklärte Sebastian Kummer vom Institut für Transportwissenschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch mit APA-Science.
Sie ist "made in Austria" und die dahinter stehende österreichische Firma Red Bull mache perfekte Sportlogistik, sagte der Forscher, der solche Weltrekordversuche mit einem Studenten betreut hat. "Es ist dabei nicht einmal das Schwierigste, den Rennfahrer, seine Ausrüstung und das Team dort hin zu bringen, sondern die Journalisten zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu bringen und das ganze Drumherum von der Logistik her entsprechend zu gestalten", sagte er. Unter Sportlogistik verstehe man die logistischen Aktivitäten, die große Sportevents wie etwa solche Weltrekordversuche, City Marathons und die Olympischen Spiele möglich machen. "Fußballvereine machen mittlerweile auch perfekte Logistik, alles ist darauf abgestimmt, dass Höchstleistungen erbracht werden, und dafür können die Spieler nicht mit ihren Dressen und Stoppelschuhen im Rucksack daherkommen, und natürlich muss auch die Anreise der tausenden Fans wohl koordiniert werden", so der Forscher, der mit seinen Mitarbeitern den ersten akademischen Beitrag zur Sportlogistik veröffentlicht hat.
Er sieht die Logistik derzeit in einem "gigantischen Umbruch". Erstens krempelt die Digitalisierung sie so wie viele andere Sparten um und verändert sowohl ihre physische wie organisatorische Praxis dramatisch. Zweitens verlangen Klimaschutz und die Forderung nach Nachhaltigkeit starke Veränderungen. In Österreich sei man dafür sehr gut aufgestellt, meinte Kummer: "Wir haben in den deutschsprachigen Ländern die beste Logistikausbildung und die besten Logistiker." Sie hätten all das, was durch die Veränderungen am globalen Markt benötigt wird, quasi im Blut.
Ärmel hoch war gestern
Nachdem sich die Logistik in den vergangenen drei Jahrzehnten vor allem organisatorisch weiterentwickelte durch Effizienzsteigerungen (Lean Management), Prozessoptimierung und neue Distributionsstrategien, hat die Digitalisierung ihr nun einen Technologieschub verpasst, so Kummer: "Wir sind im Augenblick in einer riesigen Umbruchphase, wo wir automatisierte Lagerhaltungssysteme, automatisierte innerbetriebliche Transportsysteme haben, automatisierte Kommissionierungssysteme und Automatisierung in der Mustererkennung." Man könne mittlerweile nicht nur die Barcodes an den Verpackungen einlesen, sondern auch physische Eigenschaften automatisch ermitteln. "Wir arbeiten zur Zeit mit einem Start-up-Unternehmen zusammen, das Gewicht und Volumen der Waren auf dem Gabelstapler automatisch ermittelt, um den Raum in den Lkw beim Beladen besser ausnutzen zu können", erklärte der Forscher. Die österreichische Post wiederum entwickle derzeit ein automatisches Be- und Entladesystem der Lastautos. "In der Logistik-Wissenschaft reden wir aber nicht nur von morgen sondern auch von übermorgen, darum müssen wir hier auch autonomes Fahren erwähnen", meinte er: "Vielleicht kommt es beim Lkw schneller als beim Pkw, dass wir zumindest auf der Autobahn den Fahrer durch Computer ersetzen." In der innerortlichen Feindistribution sind Drohnen wiederum ein Thema. "Vor allem im ländlichen Bereich gibt es Überlegungen, dass die Auslieferungsfahrzeuge mit Drohnen ausgestattet werden, die ausschwirren, um die Pakete zuzustellen", erklärte Kummer. In der Stadt wären wiederum Auslieferungsroboter denkbar, die den letzten Kilometer überbrücken. Ausgehend von der Militärtechnik gäbe es bereits Roboter, die Pakete Treppen hochtragen und übergeben oder in Paketboxen deponieren könnten. "Der Logistikpraxis wurde lange Zeit nachgesagt, dass sie ein 'Ärmel-hoch-Business' nach dem Spruch: 'Dem Spediteur ist nichts zu schwör' ist, doch mittlerweile gehört sie zu den innovativsten Branchen überhaupt", so der Wissenschafter.
Organisation 4.0
"Es gibt zur Zeit auch eine wahnsinnige Welle von Ideen, wie man Logistik von der Informations- und Organisationsseite her neu aufbaut", sagte er. Die Arbeit in der Branche war früher sehr von kniffligem persönlichem Netzwerken und (Krisen-)Management am Telefon geprägt. "Disponenten haben die Fahrer durch die Gegend geschickt und wenn Störungen waren, natürlich eingegriffen und umgeplant, was hochanspruchsvolle Tätigkeiten sind", so Kummer. Diese Arbeit würde in Zukunft Künstliche Intelligenz (KI) übernehmen, prophezeit er. Auch Neuerungen aus der Finanzwelt wie Blockchain-Technologien fanden unter anderem dank einer Studie von Kummer Einzug in die Logistik. Damit kann man durch kryptographische Verfahren sichere Buchführung von mehreren Stellen aus machen, oder eben Logistik von mehreren Seiten aus koordinieren.
Mit dem Internet verbundene Sensoren können wiederum die Fracht überwachen und liefern in Echtzeit Daten, ob die erforderlichen Temperaturen und maximalen Beschleunigungskräfte eingehalten werden. Sie übermitteln auch regelmäßig oder auf Abfrage den Aufenthaltsort, was eine prächtige Diebstahlsicherung ist, und Optimierungen erleichtert. Diese Optimierungen wären dank immer größer werdender Rechnerkapazitäten in Cloud-Diensten und Big-Data Lösungen sehr praxisnahe, so Kummer: "Bisher mussten die Wissenschafter die untersuchten Probleme immer im kleinen Maßstab halten, damit sie mit einfachen Algorithmen lösbar waren. Die Praktiker haben darüber immer die Nase gerümpft und gemeint, mit Optimierungen für eine Handvoll Lkw und wenigen Depots können sie nicht viel anfangen." Aktuell optimiere er unter anderem logistische Problemstellungen für sämtliche vier Millionen Adressen Österreichs. "Die Wissenschaft hat von der digitalen Revolution in der Logistik zweifach profitiert", erklärte er: Einerseits hat sie eine viel größere Rechenleistungen und bessere Daten zur Verfügung, andererseits gibt es "so viele neue interessante Fragestellungen" zu beforschen.
Trend zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz
Genauso wie alle anderen Sektoren müssen auch die Logistikunternehmen immer nachhaltiger arbeiten und ihren CO2-Fußabdruck verkleinern. Diesen zu ermitteln ist gar nicht so leicht, weil sie oft verschiedene Transportträger hintereinander verwenden. "Ein Mitarbeiter von mir hat auch eine Dissertation darüber verfasst, wie viele CO2-Emissionen von Logistikimmobilien ausgehen, denn das war bis jetzt überhaupt noch nicht im Fokus", so Kummer. Wenn man diese Zahlen weiß, kann man die Warenströme nachhaltiger und mit weniger Emissionen gestalten. Bei Kurier-Express-Paket (KEP)-Diensten würden die Pakete derzeit zu Depots gebracht, von wo kleine bis mittelgroße Lkw ausschwirren und sie in Stadt und Land zustellen. Lastwagen in der Stadt sind aber problematisch. Will man ihre Zahl und die mit Lkw zurückgelegten Verkehrswege in den Siedlungsgebieten verringern, funktioniert das zum Beispiel über eine zweistufige Distribution innerhalb der Stadt, sagte der Forscher. Von den Depots müsste man die Waren dann zu "City-Hubs" karren, von wo sie mittels Fahrrädern, Elektrokarren oder vielleicht autonom fahrenden Robotern ausgeführt werden. Generell müssten die Fuhrparks von den fossilen Energiequellen Benzin und Diesel auf nachhaltige, CO2-neutrale Energieträger umgestellt werden. "Im Nahverkehr innerhalb der Städte und Ballungszentren spricht eigentlich alles dafür, dass batteriebetriebene Klein-Lkw bis hin zu Elektrofahrrädern kommen." So habe zum Beispiel die österreichische Post sämtliche rein muskelbetriebenen Fahrräder durch E-Bikes ersetzt und verwendet zunehmend batterieelektrische Lieferwagen. Bei größeren Strecken und schweren Frachten würden die Batterien jedoch laut derzeitigem Stand der Technik bald an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. In Österreich ist hier stark die Rede von Wasserstoff-Fahrzeugen. "Ich bin aber skeptisch, denn die Physiker sagen einhellig, dass er zwar aus regenerativen Quellen wie Wind- und Solarenergie hergestellt und gut gespeichert werden kann, aber auch, dass seine Energiebilanz bescheiden ist und er muss bei hohem Druck gelagert werden", so Kummer. Fraglos müssten die Rohöl basierenden Vehikel von den Straßen verschwinden, laut Plänen der Europäischen Union (EU) bis 2030 in den Städten und 2050 generell, doch ob Wasserstoff sie ersetzen sollte, bezweifle er stark. Hier wäre als Brückentechnologie für ihn regional produziertes Biogas eher vorstellbar.
Gar nicht so einfach: Waren auf die Schiene bringen
Die Bahn ist laut Kummer "extrem leistungsfähig und wird auch in Zukunft auf den langen Strecken immer gegenüber anderen Verkehrsträgern gewinnen". Zum Beispiel die Seidenstraße mit Containerverkehr wiederzubeleben und vermehrt Waren mit der Bahn von Europa nach China und umgekehrt zu bringen, hält er für eine sehr spannende Option. Leider habe man innerhalb vieler Länder inklusive Österreich in der Vergangenheit jedoch die Bahnanschlüsse von Industrie- und Handelsunternehmen praktisch abgeschafft und es würde aktuell zu wenig in den innerösterreichischen Verkehr investiert. "Wir haben das Bahnsystem die vergangenen 25 Jahre aufrechterhalten, und genau jetzt, wo es schlagend wird, sagt man: Wir haben kein Geld dafür", sagte Kummer. Anstatt in Tunnel für den Personenverkehr solle man es besser in Bahnröhren stecken. "Ich habe dies 2006 schon beim Brennerbasistunnel vorgeschlagen, ihn als reinen Güterverkehrstunnel zu planen, und zwar einröhrig und mit automatisiertem Verkehr. Dies stieß jedoch auf Widerstand der Gewerkschaften. Sie verteidigen ihre alten Zöpfe so lange, bis das ganze System gefährdet wird", meinte er. Es sei absurd, dass man im Straßenverkehr autonomes Fahren diskutiert, es aber auf der Schiene, wo dies technisch viel einfacher und sicherer wäre, tabu ist.
Der Güterverkehr steht auf der Schiene auch in massiver Konkurrenz mit dem Personenverkehr, der aktuell dabei meist den Vortritt bekommt. "Das ist auch gar nicht so schlecht, denn das größere Umweltproblem sind nicht die Lkw auf den Straßen, sondern die ganz vielen Pkw", sagte Kummer. In den Ballungsgebieten ist der Schnellbahn-Takt mittlerweile so hoch, dass eigentlich von früh bis spät kein Platz für Güterzüge ist. Um dem Abhilfe zu schaffen, müsste man eigentlich massiv investieren, was aber politisch derzeit unrealistisch ist.
Österreich ist logistisch etwas Besonderes
In den drei deutschsprachigen Ländern Österreich, der Schweiz und Deutschland sei es besonders schön, Logistikforscher zu sein, meint Kummer, denn man habe weltweit die besten Logistiker: "Das liegt einerseits an einer guten dualen Ausbildung in Betrieb und Schule, und dass die altgedienten Logistiker in einem Europa vor der EU gelernt haben, wo es noch Grenzen gab. "Sie können also alle verzollen und wissen, wie internationales Geschäft geht", sagte er. Außerdem seien sie viele kleine Sendungen, die heutzutage eher die Regel als die Ausnahme sind, gewohnt. "Die amerikanischen und chinesischen Logistiker hingegen wären hingegen mit allem, was weniger als Truck-füllend ist, leicht überfordert. "Die österreichischen Spediteure waren außerdem wegen des kleines Landes immer gewohnt zu kooperieren, in Netzwerken zu arbeiten und sie zu managen", so der Forscher. All die Fähigkeiten, die in der globalen Logistik aktuell gefragt sind, beherrschen sie daher von der Pike auf. "Auch in der akademischen Welt besitzen wir eine lange Tradition. Das Institut auf der WU, in dem ich hier arbeite, wurde bereits 1921 gegründet", erklärte Kummer.
Auch von der Geographie her sei Österreich für die Logistiker extrem spannend. "Eigentlich müsste man sagen, dass es für sie furchtbar ist mit seinen vielen Bergen und Tälern", so der Wissenschafter. Selten würden die Lkw voll beladen in solch ein Tal hineinfahren, und herauskommen tun sie fast leer, was alles andere als effektiv ist. "In Wirklichkeit ist dies natürlich toll, denn wer unter solch schwierigen Bedingungen Logistik machen kann, kann auch international reüssieren", meinte er. Die österreichische Logistik habe auch von der Osterweiterung der EU massiv profitiert, denn Wien wurde dadurch Drehscheibe für die Logistik in Zentral- und Osteuropa und darüber hinaus. Die in Wien ansässige Firma Cargo-Partner sei etwa in Indien sehr erfolgreich, die Gebrüder Weiss aus Vorarlberg in China, und Lkw Walter aus Wiener Neudorf wäre einer der europäischen Marktführer beim Straßengütertransport. Auch Start-ups hätten hier gute Bedingungen, nicht zuletzt wegen einer guten Förderlandschaft, meinte Kummer.
Gute akademische und duale Ausbildung
Auch bezüglich der Ausbildung des Logistiker-Nachwuchses wäre Österreich gut aufgestellt, so Kummer. An der Wirtschaftsuniversität sei besonders das Studium zum Master in Supply Chain Management gefragt, was etwas über eine reine Logistik-Ausbildung hinausgeht. "Wir haben auch gute Logistiker an der Universität Wien und sogar auf der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien gibt es Logistik, aber auch in anderen Städten wie Linz, Klagenfurt, Graz und Leoben haben die Unis eine gute Ausbildung", sagte Kummer. Ebenso seien die Fachhochschulen hervorzuheben, bezüglich der Logistik vor allem die FH Steyr und die Fachhochschule des BFI in Wien, nebst FH in Vorarlberg und der Steiermark. In der Lehrlingsausbildung gäbe es wiederum neue, moderne "digitale" Zweige. Außerdem können sich Logistiker, Disponenten und andere einschlägig tätigen Personen ohne akademische Bildung oder Zugangsberechtigung in Universitätslehrgängen etwa zu "Logistik und Supply Chain Management" weiterbilden. "Es gibt also viele Möglichkeiten für Menschen, die nicht die klassische akademische Ausbildung gemacht haben, ihren Horizont zu erweitern", sagte er. Auch die Ausbildung in Lagertechnik etwa in Leoben und Graz könne mit den weltweit besten mithalten. "Unsere Absolventen brauchen sich also international nicht zu verstecken, sie sind natürlich für den österreichischen Markt gut ausgebildet, haben aber auch auf dem Weltmarkt ausgezeichnete Chancen."
Von Jochen Stadler (APA-Science)