Mit Smartwatch und VR: Wie wir Stress bei jungen Musikerinnen und Musikern messen
Gastbeitrag --- Was passiert im Körper einer jungen Musikerin kurz vor dem Solo in der Elbphilharmonie? Welche Stressmuster lassen sich vor, während und nach dem Auftritt erkennen? Und wie kann man darauf trainieren - nicht nur musikalisch, sondern auch physiologisch? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das "Erasmus+"-geförderte Projekt "The Future of Youth Orchestras" (TFOYO - www.tfoyo.eu), das wir am Motion-Emotion-Lab der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien gemeinsam mit Partnerinstitutionen in Norwegen und Deutschland durchführen.
Im Zentrum steht ein Ziel: die Förderung der Gesundheit und Resilienz junger Orchestermusikerinnen und -musiker. Dazu setzen wir erstmals tragbare Hochleistungssensorik ein - etwa die medizinisch zertifizierte EmbracePlus-Smartwatch, mit der wir über mehrere Tage hinweg Herzfrequenz, elektrodermale Aktivität (EDA), Hauttemperatur und Bewegungsdaten in Echtzeit erfassen. Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache: hohe Stresslevel bei Proben, Peaks vor Solostellen, aber auch Erholungsphasen nach gelungenen Auftritten. Diese Daten geben nicht nur individuelle Einblicke, sondern sollen uns helfen, gezielte Trainings- und Präventionsmaßnahmen weiterzuentwickeln.
Ein weiteres Highlight: Virtual Reality Exposure Training (VRET - www.mdw.ac.at/mrm/iasbs/virtual-performance). Musikerinnen und Musiker trainieren mit VR-Brillen reale Konzertsituationen - etwa auf einer virtuellen Bühne in der Elbphilharmonie oder in Prüfungsszenarien. Kombiniert mit den physiologischen Daten aus der Smartwatch können wir erkennen, wie gut die Teilnehmenden mit Lampenfieber umgehen und welche Techniken (z. B. Atemübungen oder mentales Üben) Wirkung zeigen.
Auch das Thema Hörschutz wird neu gedacht: Durch 360°-Soundscape-Messungen an 16 Positionen im Orchester dokumentieren wir die individuelle Klangbelastung - mit interaktiven Visualisierungen, die das Gehör als "Instrument" erfahrbar machen. Erste Audiogramme zeigen: Besonders Blechbläser sind frühzeitig von Hörminderung betroffen - hier helfen individualisierte Schutzstrategien und edukative leicht zugängliche Visualisierungen bzw. Unterrichtsmaterialien.
Neben der Hightech-Seite ist das Projekt aber auch ein Beispiel für partizipative Forschung und transnationale Bildungsarbeit: Über 130 Musikerinnen und Musiker zwischen 14 und 27 Jahren nahmen teil, gestaltet wurde das Programm in enger Zusammenarbeit mit Jugendkomitees und Coaches. Die Ergebnisse fließen in frei verfügbare Lernressourcen ein - darunter Warm-up-Videos, VR-Anwendungen und wissenschaftlich begleitete Handlungsempfehlungen.
Was bleibt, ist ein ermutigender Blick in die Zukunft: Wenn wir Gesundheit, Technologie und künstlerische Ausbildung zusammen denken, entsteht eine neue Qualität von Musikpädagogik - datenbasiert, partizipativ und nachhaltig.
Zur Person:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Matthias Bertsch ist systematischer Musikwissenschaftler an der mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Als Leiter des Motion-Emotion-Lab und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin (ÖGfMM) erforscht er die Wechselwirkungen zwischen musikalischer Leistung, physiologischer Belastung und psychischer Gesundheit. Seine Arbeit vereint Expertise in Musikphysiologie, Akustik und Biofeedback-Training.
Im Projekt "The Future of Youth Orchestras" koordiniert er gemeinsam mit Christoph Reuter (Universität Wien) und dem Forschungsschwerpunkt Gesundheit der ÖGfMM gesundheitsbezogene Studien. Dabei entwickelt er innovative Trainingsansätze für junge Musikerinnen und Musiker - unter Einsatz von Wearables, VR-Technologien und audiovisuellen Tools.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.