Wer besser schläft, ist später tot
Man könnte meinen, Schlaf wäre die einfachste Sache der Welt - wenn da nicht Stress, Smartphones, Schichtarbeit und Co. wären. Gerhard Klösch ist Schlaf- und Traumforscher an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien. Seine Schwerpunkte sind Chronobiologie, Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen, Physiologie des Träumens, soziale und kulturelle Aspekte von Schlaf/Traum. Im APA-Science-Interview gibt er einen kurzen Überblick darüber, wie man gegen Schlafstörer ankommt.
APA-Science: Herr Klösch, wie sorgt man am besten für einen erholsamen Schlaf?
Gerhard Klösch: Man braucht sich nur selber ein bisschen an der Nase nehmen. Ich denke da an Smartphones und andere digitale Endgeräte, die wir bis spät in die Nacht hinein nutzen. Es hat sich auch gezeigt, dass wir immer weniger Zeit zum Schlafen haben. Das liegt zum Teil daran, dass wir Arbeit mit nach Hause nehmen und dort weiterarbeiten. Diese klassische Regelung "Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf" ist ein bisschen in die Schräglage gekommen. Wir wollen unsere Freizeit genießen, und dieser Cocktail geht auf Kosten der Schlafzeit. Das liegt auch daran, dass sich unser Lifestyle geändert hat und wir bis spät in die Nacht arbeiten können; Licht-Verfügbarkeit ist gegeben, Beleuchtungsenergie ist immer billiger geworden, wir können damit unsere Städte und Umwelt bis in die Morgenstunden hell erleuchten.
Die damit zusammenhängende Lichtverschmutzung ist die andere Problematik. Je heller die Nächte werden, desto schwerer tun wir uns mit dem Schlafen. Denn Schlafen ist nur möglich, wenn es dunkel ist. Wir brauchen Lichtmangel. Das blauwellige Licht, das digitale Endgeräte senden, unterdrückt sehr effizient unsere Melatonin-Produktion - das ist ein Hormon, das wir zum Einschlafen brauchen. Wenn wir vor dem Zubettgehen nochmal die sozialen Medien abklappern und schauen, ob wir E-Mails bekommen haben, bekommen wir eine Blaulicht-Dusche. Und diese Blaulicht-Dusche kann dazu führen, dass das Melatonin unterdrückt wird und wir uns damit quälen, einzuschlafen.
Das betrifft auch immer mehr Kinder und Jugendliche, weil die Smartphone-Nutzung bei Kindern und Jugendlichen ein Abbild der Erwachsenenwelt ist. Laut Statistiken nehmen etwa 70 bis 90 Prozent der Jugendlichen als letztes vor dem Schlafengehen ihr Smartphone in die Hand. Das ist besorgniserregend, weil besonders Kinder und Jugendliche viel Schlaf brauchen, und den bekommen sie wahrscheinlich nicht mehr.
Was würden Sie Eltern raten?
Klösch: Wichtig ist, mit gutem Beispiel voranzugehen und den Kindern zu vermitteln, dass es handyfreie Zeiten geben soll und muss, und dass man das Smartphone ab einer gewissen Uhrzeit aus dem Schlafraum verbannt. Klingt brutal, ist aber die einzige Notbremse, die mir dazu einfällt. Das Smartphone sollte mindestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen aus dem Schlafraum entfernt werden. Das sollten Kinder, aber auch Erwachsene tun.
Wenn man leistungsstark, fit und gesund sein will, muss man für ausreichenden Schlaf sorgen. Dieser Spruch 'Schlafen kann ich, wenn ich tot bin' hat eine traurige Dimension: Diejenigen, die weniger schlafen, sterben tatsächlich früher, sind die Kränkeren und wahrscheinlich auch die weniger Erfolgreichen.
Wir behalten auch die Unfallverhütung im Auge. Es ist klar, dass unausgeschlafene Personen im Straßenverkehr Probleme haben - man denke nur an Sekundenschlaf und übermüdete Autofahrer. Aber auch Personen, die in den Morgenstunden zu früh unterwegs sind. Dazu gehören auch Schüler. Das ist ein Gefahrenpotenzial, das man adressieren muss.
Halten Sie sich selbst auch an diese zwei Stunden ohne digitale Endgeräte vor dem Schlafengehen?
Klösch: Ja. Ich nehme mein Smartphone nicht mit in den Schlafraum. Ich habe mich sehr gut in die Richtung konditioniert, dass ich ein paar Minuten vor dem Wecker wach werde und das Gerät (einen konventionellen Radiowecker) ausschalten kann, bevor es läutet. Das ist das Faszinierende: Je regelmäßiger man die Zubettgehzeit einhält, desto mehr kann sich der Organismus daran gewöhnen und den biologischen Rhythmus anpassen. Das bedeutet einen Zuwachs an Wohlgefühl, aber auch Berechenbarkeit für den Körper, und das ist etwas, das uns gesund hält.
Von wann bis wann und wie lange sollte man denn schlafen?
Klösch: Das ist total individuell. Wir gehen davon aus, dass ein Großteil der Österreicher eine Kernschlafzeit von 22 bis 6 Uhr hat, da sollten die Durchschnittsösterreicher um die acht Stunden im Schnitt schlafen. Aber es gibt auch Personen, die mit weniger Schlaf auskommen, und Personen, die deutlich mehr brauchen. Das sollte jeder für sich herausfinden, welcher Schlaftyp man ist.
Es kommt auch dazu, dass wir mit zunehmendem Alter weniger Schlaf brauchen. Wir ändern uns auch, was den Schlaftyp anbelangt, damit meine ich, ob ich eher eine Eule oder eine Lerche bin. Es hat sich gezeigt, dass wir vor allem bei Jugendlichen den Trend zu späten Bettgehzeiten haben, bei Älteren sieht man den Trend hin zu früheren Bettgehzeiten, aber die stehen dann auch früher auf. Das ist physiologisch begründet. Das ist keine Schlafstörung, wie es oft von Älteren wahrgenommen wird, sondern eine physiologische Änderung des Schlafverhaltens und völlig normal.
Wir brauchen Schlaf, um uns zu reorganisieren. Schlaf ist eine Art Instandsetzungsprogramm. Das muss man sich wie einen Aufräumprozess vorstellen, wo Abbauprodukte wegtransportiert werden, Hardware repariert wird und neuronale Verbindungen geschaffen werden, weil wir natürlich auch etwas gelernt haben. Damit das System am nächsten Tag wieder fit ist, braucht es diese Ruhe.
Warum gibt es unterschiedliche Schlaftypen?
Klösch: Es gibt eine innere Uhr. Die tickt unterschiedlich. Das ist auch sinnvoll. Wenn die genau auf den 24-Stunden-Rhythmus takten würde, hätten wir auch Probleme mit Verlängerung der Hell-Dunkel-Verhältnisse durch Jahreszeiten. Wir brauchen Zeitinformationen von außen (damit meinen wir vor allem Lichtverhältnisse), die dem Organismus helfen, seine biologischen Rhythmen an die Umgebungsverhältnisse anzupassen. Das ist einer der Gründe, warum es unterschiedliche Typen gibt: Nachtmenschen wollen eher längere Tage haben, Morgenmenschen wollen eher kürzere Tage haben. Das ist evolutionär einfach vorgegeben.
Wie bei allen anderen Dingen auch, ist Schlaf neben der biologischen Notwendigkeit ein Verhalten, das ich gelernt habe. Ich habe gelernt, meinen Rhythmus an die irdischen Verhältnisse anzupassen und durch meine Eltern eine gewisse Schlafkompetenz mitbekommen. Wir müssen zwar schlafen, aber wir haben einen Spielraum. Wir dürfen diesen Spielraum aber nicht überziehen und überdehnen und glauben wir können tun und lassen, was wir wollen. Wir müssen auf uns und unser Schlafbedürfnis hören und das entsprechend in den Schlafrhythmus integrieren.
Wie ist das denn dann mit der Schichtarbeit?
Klösch: Dadurch, dass der Schlaf unregelmäßig erfolgt, sehen wir eine ganze Reihe von sekundären Problemen, die in erster Linie die Ernährung anbelangen, dann auch den biologischen Rhythmus - und einer unserer wesentlichen biologischen Rhythmen ist die Sexualhormonausschüttung, und die wird bei kontinuierlicher Schichtarbeit gestört. Das gilt auch als einer der Gründe, warum Personen, die seit zwanzig Jahren im Schichtdienst tätig sind, ein erhöhtes Krebsrisiko haben.
Was raten Sie also Schichtarbeitern?
Klösch: Wenn ich Schichtarbeiter bin, sollte ich auf meinen Chronotyp Rücksicht nehmen - und auch der Arbeitnehmer sollte das tun. Ich sollte nicht immer zwischen Früh-, Mittel- und Spätschicht wechseln. Das ist das eine. Das andere ist, dass man überlegt -weil man weiß, dass die Hormonunterdrückung in der Nacht durch blauwelliges Licht passiert-, dass blaues Licht uns in der Nacht wacher und leistungsfähiger macht. Man könnte also Lichtpausen einlegen und so die Dosis reduzieren. Oder man erfindet eine Lichtquelle, die hell und angenehm ist, aber kein blauwelliges Licht hat und die Melatoninproduktion nicht so stark unterdrückt.
Der dritte Punkt wäre, Personen ab 50 aus dem Schichtdienst rausgleiten zu lassen. Ältere Personen sollten keinen Schichtdienst mehr machen müssen und man sollte diese Zeit auf 15 Jahre beschränken.
Was sind zurzeit die großen Trends in der Schlafforschung?
Klösch: Ich würde sagen, Trends gibt es zurzeit eher weniger. Unsere Kommunikationsstrategien gehen dahin, den Schlaf mehr zu propagieren. Das wichtige ist, sich nicht nur auf den Schlaf zu konzentrieren und ihn als singuläres Ereignis anzusehen, sondern sich bewusst zu machen, dass er in den Schlaf-Wach-Rhythmus eingebunden ist und man beides berücksichtigen muss; den Schlaf und das Wachsein. Den Schlaf müssen wir als vernetzte Geschichte ansehen, die sehr viele Lebensbereiche betrifft.
Gibt es also nicht die großen Erkenntnisse, sondern versucht man das, was man weiß, in den Alltag zu integrieren?
Klösch: Genau. Wir sehen, dass Schlafforschung auch angewandt werden muss. Unser Detailwissen ist immer noch sehr mangelhaft. Ich kann ihnen zwar Details nennen, wo Schlaf eine wichtige Funktion hat. Wir wissen aber noch immer nicht, welche fundamentalen Gesetzmäßigkeiten hinter dem Schlaf stehen. Wir müssen Schlaf auch auf das Individuum bezogen verstehen. Nicht unter dem Motto "one size fits all" Regeln für alle aufstellen, sondern diese Erkenntnisse müssen personenzentriert angepasst werden.
Das Gespräch führte Anna Riedler / APA-Science