Die Kraft der Agenda 2030 auf den Boden bringen
Die UN-Nachhaltigkeitsziele sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist "common sense", doch wie sieht es mit der Umsetzung in Österreich aus? Durch unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge zu dem Thema zeichnet sich in Österreich noch ein heterogenes Bild ab.
Der Rechnungshof (RH) etwa monierte in einem Bericht 2018, dass hierzulande in manchen Bereichen zu wenig gemacht werde. Das EU-Parlament kommt in einer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Andererseits liegt Österreich im offiziellen globalen SDG-Index der Bertelsmann Stiftung auf dem guten 9. Rang. Ebenso ordnet eine Analyse der Sustainable Development Goals (SDGs) von "Ethico", Verein für Wirtschaft und Ethik, Österreich auf Platz fünf der EU-28 ein. Die zivilgesellschaftliche Plattform SDG Watch Austria identifiziert Licht und Schatten bei der Umsetzung der Agenda 2030. Die Regierung wiederum meint: "Österreich ist auf einem guten Weg."
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich erst kürzlich vollinhaltlich zur den UN-Nachhaltigkeitszielen bekannt. Bei einem Besuch in Südkorea nannte er die SDGs einen "Kompass". Die globale Ordnung ändere sich, der wirtschaftliche Wettbewerb werde immer globaler, der technologische Fortschritt immer schneller. Die SDGs würden dabei eine nötige Orientierung und einen ganzheitlichen Blick auf die allgemeinen Ziele Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand darstellen. Der Bundeskanzler sprach sich für internationale Zusammenarbeit aus, um die UNO-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen - etwa wenn es um die Bekämpfung von Hunger und Armut geht, die Schaffung starker Institutionen oder den Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen.
Mehr hochrangiges Commitment gewünscht
Annelies Vilim von SDG Watch Austria freut das Bekenntnis, wünscht sich aber noch mehr und kontinuierliche sichtbare Unterstützung der Agenda 2030 auf höchster politischer Ebene. Bezüglich der politischen Unterstützung hat Österreich nämlich in der Studie des EU-Parlaments mit lediglich einem von vier möglichen Punkten schwach abgeschnitten. Gut sei, dass der Bundeskanzler das Ziel für Österreich ausgegeben habe, im SDG-Index von Rang 9 aus unter die Top-5 kommen zu wollen, meint Vilim gegenüber APA-Science. Das deute darauf hin, dass von der Regierungsspitze mehr aktive Unterstützung kommen werde, hofft sie.
Aus dem Bundeskanzleramt (BKA) heißt es bezüglich des politischen Commitments: "Daran arbeiten wir ständig." So habe man bereits eine Kooperation des Bundeskanzleramts mit dem "Ban Ki-moon Centre for Global Citizens" zur Umsetzung der SDGs vereinbart. "Das ist eine hochrangige internationale Begleitung, die Früchte tragen wird", ist man sich seitens des BKA gegenüber APA-Science sicher.
Das BKA ist gemeinsam mit dem Außenministerium (BMEIA) für die Koordinierung der Agenda 2030 zuständig. Dabei sei man gemäß eines Ministerratsbeschluss vom Jänner 2016 für die Zusammenführung der Aktivitäten des Bundes und der Ministerien zuständig, die man regelmäßig auf der Seite sdg.gv.at dokumentiere. Es würden aber keine strategischen Vorgaben gemacht. Die Umsetzung – strategisch, inhaltlich wie auch kommunikativ - obliege den einzelnen Ministerien, erklärt das Bundeskanzleramt.
Übergeordneter Plan?
Hier setzt auch die Kritik an. Der Rechnungshof merkte an, dass eine gesamtstaatliche Strategie für die Umsetzung der SDG fehle. Von der vorangegangenen Regierung sei zwar eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) eingesetzt worden, die jedoch nur ein Mandat zur Koordinierung der Berichterstattung bekommen habe, nicht aber zur Koordinierung der Umsetzung selbst. In die selbe Kerbe schlägt das EU-Parlament in seiner Studie vom Februar 2019. Es wird außerdem eine übergeordnete Langzeitstrategie vermisst.
Es brauche ein Zusammenspiel der sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen der 17 Ziele, eine die verschiedenen Ministerien zusammenfassende Strategie, ergänzt die NGO-Vertreterin Vilim: "Was will Österreich, wo will es hin und wie ist der übergeordnete Umsetzungsplan gestaltet. Das fehlt noch." Sie vermisst eine klare politische Prioritätensetzung: "Wo sind die konkreten Ziele, wo ist die 'bottom line' und wo wollen wir hin. Wenn es das aber nicht gibt, ist es leicht, jedwede Aktivität als Fortschritt zu bewerten."
Manche Ministerien wie zum Beispiel das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) haben laut Vilim bereits konkrete Ziele definiert. Das sei toll, es bleibe aber die Frage, wie beeinflussen diese andere SDGs der Agenda 2030, die in anderen Ministerien ressortieren. Genau darum gehe es aber bei der Agenda 2030, die die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Zielen aufzeigen soll.
"Unser nächster Schwerpunkt ist die Berichtslegung im nächsten Jahr beim Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF). Darauf konzentrieren sich derzeit schwerpunktmäßig unsere Arbeiten. Dabei gibt es eine Menge Vorarbeiten, das Ganze wird jetzt konkreter", hieß es aus dem Bundeskanzleramt. Wenn sich dann aus den Ergebnissen ableiten lasse, dass es doch eine größer aufgesetzte Strategie brauche, sei das für die Zukunft natürlich überlegenswert. Bisher seien die politischen Vorgaben aber andere, das habe sich als richtig erwiesen, da die Ministerien in ihren Rahmen einfach die beste Expertise haben. So schlecht scheint Österreich auch nicht unterwegs zu sein, verweist man im BKA auf den bereits erwähnten 9. Rang im SDG-Index.
Man dürfe außerdem die Komplexität der UN-Nachhaltigkeitsziele nicht außer Acht lassen. Das sei ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen sei, da müsse man Geduld aufbringen.
Später Fortschrittsbericht
Bemängelt wurde vom Rechnungshof auch, dass erst 2020 ein erster Fortschrittsbericht 2020 dem HLPF (bis 2030 will Österreich mindestens zwei vorlegen, Anm.) präsentiert wird. Diesbezüglich verweist man ein weiteres Mal auf den Ministerratsbeschluss von 2016. Das habe sich laut dem BKA auch aus dem Wahlzyklus ergeben. Außerdem hätten der EU-Rats- und der OSZE-Vorsitz viel Zeit und Ressourcen in Anspruch genommen. Zusätzlich stelle sich die Frage, was wäre vorzuweisen gewesen, wenn man den Bericht früher gelegt hätte. Wo wären da die Fortschritte?
Mainstreaming-Ansatz
Kritisch angemerkt wird auch (u.a. vom Rechnungshof, von der ÖFSE, Anm.) der "Mainstreaming-Ansatz", der die Verantwortung den Bundesministerien übertrug und diesen die Interpretation der einzelnen Entwicklungsziele überließ. Das führte (...) zu einer Fragmentierung des Umsetzungsprozesses, zumal eine klare politische Prioritätensetzung sowie eine zentrale und kohärente Steuerung fehlten."
In der Regierung sieht man das anders und beruft sich auf den Ministerratsbeschluss vom Jänner 2016, der vorsieht, "dass die kohärente Umsetzung der SDGs durch alle Bundesministerien in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich erfolgt ("Mainstreaming"). Durch dieses Mainstreaming werden die SDGs "in effizienter, ziel- und bedarfsorientierter, transparenter und eigenverantwortlicher Weise in sämtliche Aktivitäten der österreichischen Politik und Verwaltung integriert." Die Ministerien würden nämlich in ihrem Rahmen am besten wissen, wie man die SDGs des eigenen Fachgebiets ideal "mainstreamen" könne.
Zu wenig Wissenschaft?
Ganz schlecht bewertet das EU-Parlament die Einbeziehung der Wissenschaft in die Agenda 2030. Das stimmt so nicht, hört man seitens des BKA. So existiere etwa im Bereich des Wissenschaftsministeriums (BMBWF) zum Beispiel das Projekt UniNEtZ (siehe auch "Was Unis zum Schwenk zur Nachhaltigkeit beisteuern können"), das noch heuer ein Optionenpapier vorlegen soll.
Außerdem gebe es im Bundeskanzleramt Überlegungen, wie man Projekte mit großer Hebelwirkung identifizieren könne, die helfen sollen, im Ranking des SDG-Index nach vorne zu kommen. "Da braucht es natürlich die Wissenschaft", versichert das BKA, dass Forscher aus den verschiedenste Disziplinen eingebunden würden. Es gehe darum, Leuchtturmprojekte zu etablieren, die "den künftigen nachhaltigen Weg voranbringen".
Stakeholderpartizipation auf gutem Weg
Recht gut kommt Österreich bei der Einbindung der Stakeholder weg (Studie EU-Parlament, Anm.). Das kann Vilim von SDG Watch Austria nachvollziehen, wobei das von Ministerium zu Ministerium sehr unterschiedlich gehandhabt werde. SDG Watch Austria mit ihren mittlerweile über 150 Partnern sei genau deswegen gegründet worden, um ein adäquater Ansprech- und Dialogpartner für die Politik zu sein. "Wir wollen zeigen, dass auch wir in der Agenda 2030 einen Kompass, einen Aktionsplan sehen, der zu einem besseren Leben für Alle führen soll. Dazu wollen wir unsere Expertise einbringen", wünscht sie sich aber einen noch strukturierteren Gesprächsprozess.
Den soll es auch geben, denn im Rahmen der Berichtslegung 2020 ist laut dem BKA eine strukturierte Stakeholderpartizipation geplant. Das gehe bis zur Einbindung von Regionen und Gemeinden hin. So findet etwa am 9. April in Linz eine gemeinsame Tagung (Stadt und Land in die Zukunft denken - Kommunale Antworten auf globale Herausforderungen) von BMNT, Österreichischem Gemeindebund, Österreichischem Städtebund und der Zukunftsakademie des Landes Oberösterreich statt.
Intensiven Austausch mit den Stakeholdern gibt es seitens des BMNT. "Das könnte als Modell für andere Ministerien dienen", so Vilim. Im Herbst 2018 wurde laut Ministerium die Ressortstrategie zur Entwicklung eines SDG-Aktionsplans 2019-2022 mit zivilgesellschaftlichen Organisationen diskutiert. In weiterer Folge seien Politikfelder des BMNT dahingehend analysiert worden, inwiefern sie zu den globalen Nachhaltigkeitszielen beitragen oder eben nicht. Über Felder, die laut Analyse (noch) keinen Beitrag zur Agenda 2030 leisten, soll dann in weiterer Folge politisch diskutiert werden. "Kernstück des Aktionsplans, der im Sommer 2019 präsentiert wird, werden rund 50 Leuchtturmprojekte des Nachhaltigkeitsministeriums bilden, die noch während der laufenden Legislaturperiode realisiert werden", berichtet das BMNT.
Wirtschaft und die Nachhaltigkeitsziele
Gut eingebunden ist auch die Wirtschaft, verweist man beim BKA auf das SDG Business Forum des Wirtschaftsministeriums (BMDW), das am 21. März stattfand. "Der Transformationsprozess Agenda 2030 kann letztendlich nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn Politik, Verwaltung, Wirtschaft aber auch die Zivilgesellschaft gemeinschaftlich daran arbeiten. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen und vorantreiben, Wirtschaft und Industrie werden ihren Beitrag leisten", glaubt Vilim.
Beim SDG Business Forum haben internationale Experten erörtert, welche Chancen und Herausforderungen von Megatrends wie Urbanisierung, Klimawandel und Digitalisierung im SDG-Kontext zentral vorhanden sind. Michael Esterl, Generalsekretär im BMDW, betonte die Chancen nachhaltiger Entwicklung für österreichische Unternehmen, auf welche auch die neue Außenwirtschaftsstrategie abziele. "Die SDG geben die Richtung in die Zukunft vor. Die SDG sind eine große Chance für die heimischen Unternehmen und für den Wirtschaftsstandort. Gleichzeitig können unsere Unternehmen dazu beitragen, in Entwicklungs- und Schwellenländern Standards und Wohlstand zu heben", so Esterl.
Kritik an EU-Studie
Trotz vieler Aktivitäten fehle weiter ein gesamtstaatlicher Umsetzungsplan, bleibt Vilim dabei, dass die Erhebung des EU-Parlaments ein "Weckruf für die Regierung für noch mehr Anstrengungen sein sollte." Diese kontert, bei der Studie des Europäischen Parlaments seien zum Teil nicht mehr aktuelle Projekte berücksichtigt worden, es hätte noch Input seitens Österreichs gegeben. "Wir suchen jetzt das Gespräch mit den Studienautoren", hieß es aus dem BKA.
Das BMNT wiederum moniert, dass unzutreffend sei, wonach in Österreich aktuell kein Überwachungssystem bestehen würde, während dieses bereits 2017 von der Statistik Austria auf Grundlage der SDG-Indikatoren der Vereinten Nationen implementiert wurde.
Was die verschiedenen Protagonisten schließlich eint, ist das Bewusstsein, das die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele nur gemeinsam möglich ist. Ein Stärke der Agenda 2030 sei die Unteilbarkeit der Ziele. "Wir müssen alle aus unserem Silodenken heraus, um die Wechselwirkungen richtig zu verstehen", meint Vilim.
Von Hermann Mörwald / APA-Science