NS-Straßennamen in Salzburg: Kein Ende der Debatte
Die Debatte um NS-belastete Straßennamen in der Stadt Salzburg dürfte trotz des politischen Mehrheitsbeschlusses, keine Umbenennungen vorzunehmen, noch lange nicht beendet sein. Wie die Diskussionsreihe "Zeitgeschichte goes public" des Fachbereichs Geschichte der Universität Salzburg am Montagabend zeigte, sollten wissenschaftliche Erkenntnisse auch zu Konsequenzen führen. Eine Befragung der Bevölkerung zu Namensänderungen sehen Historiker als zweischneidiges Schwert.
"Transparenz, Information und Partizipation von Beginn an sind von größter Bedeutung", erklärte der Geschichtswissenschaftler Alexander Pinwinkler. Es brauche etwa stadtteilbezogene Workshops, damit Anrainer zu hören bekommen, was es mit einem Namen auf sich hat. "Eine Bürgerabstimmung ist aber nicht unproblematisch. Anrainer haben ganz andere partikulare Interessen, bei Straßennamen geht es um die Gesamtinteressen als Kommune."
Das bestätigte auch der deutsche Historiker Matthias Frese aus Münster. "Die Entscheidung muss letztlich die Politik, die Kommune treffen. Aber die Bevölkerung muss sich darin finden." Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass Änderungen von Straßennamen mitunter auch einen Eingriff in die private Erinnerung einer Person darstellen. "Der Erste Kuss am Hindenburgplatz in Münster - diese Erinnerung wollten sich manche nicht nehmen lassen. Mit solchen Dingen muss man sich auseinandersetzten." Eine Lösung könnten etwa Erklärungstafeln sein, warum eine Straße umbenannt wurde und wie sie früher hieß.
Für eine grundsätzlichere Diskussion trat die Linzer Historikern Birgit Kirchmayr ein. "Öffentlicher Raum repräsentiert Geschichte und Machtverhältnisse in der Geschichte. Wer wird für welche Leistung als würdig für eine Ehrung erachtet?", fragte sie. Straßennamen könnten auch nur eine Form der Orientierung bieten, wie es in den USA etwa mit dem System der 1st, 2nd, 3rd etc. Streets und Avenues der Fall sei. "Wenn wir Straßennamen aber als Denkmäler nutzen, werden wir um gewisse Checks nicht umherkommen."
Wissenschafter: Politik will sich dem Thema nicht stellen
Für den Wissenschaftler Peter Autengruber, er war Mitglied jener Kommission, die in Wien die historische Bedeutung der Namensgeber für Straßennamen untersucht hat, will sich die Politik dem Thema meist nicht stellen. "Am Anfang stehen Ignoranz und Abwehr. Dann wird beruhigt, es heißt, wir schließen uns der Debatte an. Wenn das nicht klappt, wird eine Kommission gebildet, da gewinnt man Zeit." Selbst fundierte fertige Studien seien nicht vor Verzögerungen gefeit. Die Präsentation der Ergebnisse werde etwa in die Ferienmonate verschoben, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen.
Das Thema Straßennamen dürfte auch über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus aktuell bleiben. So stellte sich bei der Diskussion am Montag die Frage, wie man mit Antisemiten, Kolonialisten oder Kriegstreibern im Ersten Weltkrieg umgehen soll. "Der Diskurs ist dynamisch und umfasst nicht nur die NS-Zeit, wenngleich uns die weiter stark beschäftigen wird", betonte Pinwinkler. Viele der heute beanstandeten Straßen seien in den 1970er Jahren benannt worden. "Wir wissen heute mehr, als es die Kommune oder die Wissenschaftler damals wissen konnten oder wollten." Gerade im Bereich der Künstler und Intellektuellen seien viele erst nach 1945 nach Salzburg gekommen. "Man hat damals nicht so genau nach ihrer biografischen Vorgeschichte gefragt, was mit dem Schweigen, Tabuisieren und Verdrängen der NS-Geschichte in Österreich zu tun hat", erklärte der Historiker.
Margit Reiter, Professorin für Zeitgeschichte in Salzburg, fragte am Ende der Diskussion: "Möchte ich wirklich in einer Straße wohnen, die nach einem Nationalsozialisten benannt ist? Da nehme ich die Unannehmlichkeit einer Adressänderung gerne in Kauf." In Salzburg drehe sich die Diskussion ohnehin nur um ein paar prominente Namen. "Aber nicht einmal davon kann man sich distanzieren", kritisierte sie.
Nach drei Jahren Arbeit war in der Stadt Salzburg im Juni 2021 der 1.100 Seiten umfassende Abschlussbericht einer Historikerkommission präsentiert worden. Darin wurden die Rollen von 66 "braunen" Straßennamenspaten penibel aufgearbeitet und in drei Klassen eingeteilt - je nachdem, wie stark diese mit dem NS-Regime verstrickt waren. Bei 13 Personen waren die Verbindungen so gravierend, dass die politischen Entscheidungsträger auch eine Umbenennung in Erwägung ziehen sollten, befand die Kommission. Eine Mehrheit aus ÖVP und FPÖ lehnte diese im entsprechenden Ausschuss der Stadt aber ab. Die 13 Straßen sollen - wie andere auch - Erläuterungstafeln erhalten. Die Textvorschläge dazu sollen noch heuer präsentiert und den politischen Gremien zur Abstimmung vorgelegt werden.