"Statt Hände ringen lieber Ärmel hochkrempeln"
Händeringend: ein oft bemühter Begriff von Unternehmen, wenn es um ihre Suche nach Fachkräften im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich geht. Die Suche nach gut ausgebildeten und kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem MINT-Bereich ist eines der großen Themen, welches die Recruiting- und Personalabteilungen beschäftigen. Dies gilt besonders für den IT-Bereich und noch mehr für den Wissenschaftsbereich. Denn die Forschung tut sich schwer mit den kompetitiven Gehältern der Industrie mitzuhalten und hat darüber hinaus noch zusätzliche Beineisen, wie befristete Projektverträge oder hohen Publikationsdruck. Sollen dann die neuen Fachkräfte auch noch weiblich sein, um Diversität und Vielfalt im Unternehmen und - wie es mehrere internationale Studien belegen - auch auf lange Sicht den Geschäftserfolg zu fördern , wird es wirklich eng. Weibliche Fachkräfte sind nicht einfach zu kriegen, hier müssen noch einmal extra Anstrengungen unternommen werden. Aber noch mehr Aufwand? Uff. Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis.
Die Ausgangslage
Als Österreichs größtes Forschungszentrum für Visualisierung und Virtual Reality bauen wir seit knapp 20 Jahren eine Brücke von der Wissenschaft in die Wirtschaft. Wir wandeln Daten in Informationen und Bilder: denn Bilder sind die verständlichste Sprache der Welt. Visualisierung ist dabei eine Querschnittstechnologie, unsere Arbeit reicht daher von künstlicher Intelligenz über interaktive Simulationen bis hin zu Data Science. So vielfältig wie die Themenfelder, die am VRVis bearbeitet werden, so einzigartig sind die am VRVis entwickelten Lösungen. Wie viele andere Technologieunternehmen sehen wir uns mit einem kleinen Angebot an (insbesondere weiblichen) Nachwuchskräften konfrontiert. Landesweit werden zahlreiche Maßnahmen an Universitäten und Schulen gesetzt, aber auch Förderschienen für Unternehmen initiiert, um Mädchen und junge Frauen für den MINT-Bereich zu interessieren und für eine F&E-Karriere zu begeistern.
Trotz all dieser Anstrengungen stagniert die Zahl der Forscherinnen im Unternehmenssektor Österreichs seit Jahren bei etwa 15 Prozent. Es fehlt schlicht und einfach der Nachwuchs. Vor allem der weibliche, und dies besonders im Bereich der Informatik. So liegt der Anteil der Studienabsolventinnen Informatik bei gerade einmal 14 Prozent. Interessanterweise sieht sich nicht nur Österreich bzw. Europa mit einem Mangel an Studentinnen in Informatikstudiengängen konfrontiert, sondern auch die USA - und dies trotz ihrer technologischen Vorreiterrolle als auch ihrer Strahlkraft im Bereich Gender & Diversity Management.
Fakt ist also, dass es zu wenig Nachwuchs im Informatik- bzw. Softwareentwicklungsbereich gibt, insbesondere zu wenig weiblichen. Fakt ist aber auch, dass es sie gibt, die Studentinnen und Absolventinnen im MINT-Bereich - auch in der Informatik. Was also?
Schema F im Recruiting- und Personalmanagement funktioniert nicht (mehr)
Der Anfang aller neuen Recruiting- und Personalmanagementstrategien besteht darin, Bisheriges zu evaluieren. Um wirklich ehrlich zu sein, haben wir eine lange Zeit nicht den Fokus daraufgelegt. Und hier mussten wir uns als erstes selber an der Nase nehmen. Daher haben wir eine neue Recruiting- und Diversitätsinitiative gestartet. Wir holten 2017 die FFG ins Boot, um das ambitionierte Ziel von 25 Prozent Forscherinnenanteil zu erreichen. Im Rahmen eines geförderten FEMtech Karriere Projekts suchten wir nach neuen Möglichkeiten und für uns praktikablen sowie nachhaltigen Lösungen im Recruiting und Personalmanagement.
Der erste Schritt war die neu geschaffene Position des Diversity Managements in unserem Unternehmen, welche sich gezielt auf alles rund um Chancengleichheit, Frauen- und Nachwuchsförderung sowie Recruiting und Personalmanagement fokussiert. Die weiteren Maßnahmen die wir setzten fielen unterschiedlich klein oder groß aus: sie reichten von scheinbaren Kleinigkeiten bis zu großen, Abteilungen übergreifenden und mehrmonatigen Prozessen. Beispielsweise überarbeiteten wir unsere bisherige Praxis der Stellenausschreibungen: diese durchlaufen nun mehrere interne und kommunikative Kanäle, um sie niederschwelliger und verständlicher zu gestalten. Das mag unwichtig, ja fast banal aussehen, ist aber sehr wichtig und brachte auch rasch positive Ergebnisse. Es gilt hier bis zu einem gewissen Grad Berührungsängste mit der Wissenschaft abzubauen. Schließlich bieten wir eine Bandbreite an abwechslungsreichen Aufgaben an und müssen diese nur deutlicher kommunizieren.
Aktiv kommunizieren und auf potenzielle Arbeitskräfte zugehen: das sind zwei wichtige Bestandteile moderner Recruitingarbeit. Daher war eine weitere, schon etwas deutlich umfangreichere, Maßnahme unser Employer Branding zu schärfen und uns verstärkt in der externen Kommunikation als attraktiven Arbeitgeber zu zeigen. Was sind unsere Stärken? Was können wir bieten? Wie ist unsere Unternehmenskultur? Je konkreter wir dies mitteilen, umso besser kann sich eine potenzielle Bewerberin oder ein potenzieller Bewerber ein Bild von uns machen. Schließlich gilt es nicht nur jemanden schnell einzustellen, sondern im besten Fall eine langfristige Arbeitsbeziehung aufzubauen - und das ist keine Einbahnstraße.
Ein weiterer wichtiger Schritt bestand auch darin, bereits vorhandene, gut funktionierende Maßnahmen und Prozesse herzunehmen und diese weiter auszubauen. Nachwuchsförderung wurde bei uns am VRVis immer schon großgeschrieben, nun ist es jedoch eine Dauerinstallation und fixer Teil unserer Personalstrategie: früh Studierende mittels Praktika oder Bachelorarbeiten zu uns holen und über kleine Projekte und individuelles Mentoring langsam aufbauen.
Gute Unternehmenskultur ist ein wichtiges Asset
Das und noch viele Maßnahmen mehr brachten uns innerhalb von kürzester Zeit nicht nur deutlich mehr Initiativbewerbungen, generell mehr Rücklauf bei Stellenausschreibungen, sondern auch einen deutlich gestiegenen Frauenanteil bei unserem wissenschaftlichen Personal: wir freuen uns aktuell über den historischen Höchststand von über 20 Prozent!
In diesem Prozess haben wir jedenfalls gelernt, dass Personalarbeit nach Schema F nicht greift. Wir sehen das Wichtige in diesem Prozess vor allem in der Erkenntnis, dass mehr Diversität nicht nur eine lästige "Hausaufgabe" ist, sondern viel Potenzial für Innovationen birgt. Als ein zukunftsorientiertes Technologieunternehmen haben wir verstanden, dass smarte Lösungen nicht nur unsere tägliche Forschungsarbeit betreffen, sondern auch unsere Unternehmenskultur. Der Schlüssel zum Erfolg und zur Zufriedenheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt langfristig in Vielfalt, kreativer Innovation und dem gemeinsamen Gestalten des Arbeitsalltages. Dem wollen wir uns auch weiterhin und sogar noch stärker verpflichten!