Tomoyo Kaba: Für Arthur Schnitzler von Japan nach Wien
Die Corona-Pandemie hat das Arzt-Patient-Verhältnis auf eine harte Probe gestellt, wieder einmal. So hat sich bereits vor mehr als einem Jahrhundert Arthur Schnitzler (1862-1931) in seinen Dramen mit der Rolle des Arztes beschäftigt, wie die japanische Literaturwissenschafterin Tomoyo Kaba in ihren Untersuchungen von Schnitzlers Werken aufzeigt.
Tatsächlich hat sie mit ihrer Arbeit Neuland betreten, denn es liegen zwar viele literarische, historische und politische Analysen seiner Werke vor, jedoch bisher nur sehr wenige Arbeiten über den medizinischen Aspekt. Das ist besonders interessant, war der Erzähler und Dramatiker doch ursprünglich selbst Arzt.
Wie eng das Verständnis von Schnitzlers Werk mit dem kulturellen Klima vor Ort verbunden ist, zeigt der Lebensweg der Autorin. Sie kam 2015 zur Fortsetzung ihrer Studien nach Wien: "In Wien habe ich neun Schnitzler-Aufführungen gesehen, die erste bereits vier Tage nach meiner Ankunft. Das war Professor Bernhardi im Burgtheater", erzählt Tomoyo Kaba. "Obwohl ich in Japan schon viele Jahre Deutsch studiert hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich auch ein Theaterstück verstehen würde. Aber wenn man Schnitzlers Werk nicht im Theater sieht, kann man sich überhaupt kein Bild davon machen, schon gar nicht in einem ganz anderen Kulturkreis. Ich glaube, dass ein Aufenthalt in Wien, wo Schnitzler sein ganzes Leben verbrachte, eine wertvolle Erfahrung ist. Als ich beispielsweise sein Stück Die Gefährtin im August 2018 gesehen habe, hatte ich das Gefühl, dass er im Publikum sitzt, genau wie ich."
An Beispielen von Tuberkulose, Sepsis und Syphilis zeigt Kaba, wie sich Schnitzler mit dem "therapeutischen Nihilismus" auseinandersetzte, für den die wissenschaftlich fundierte Diagnose Vorrang hat gegenüber wissenschaftlich nicht zur Gänze abgesicherten therapeutischen Maßnahmen, und der für die Wiener Medizinische Schule des 19. Jahrhunderts charakteristisch war. Die Analyse der dargestellten Arzt-Patient-Beziehungen lässt für die Wissenschafterin den Schluss zu, dass Schnitzler gegenüber der zeitgenössischen medizinischen Praxis skeptisch war: Während die in dieser Tradition handelnden Ärzte ihren Patientinnen und Patienten gegenüber Gleichgültigkeit zeigen, stehen ihnen Kollegen gegenüber, die in Situationen, in denen sie das Leben ihrer PatientInnen nicht retten können, Verständnis und Mitgefühl aufbringen.
Ein Dilemma zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit
Auch in der Aufführungsgeschichte des Ärztedramas Professor Bernhardi in Wien nach 1945 zeigt ein Arzt Engagement für seine Patientinnen und Patienten. Sein Konflikt mit einem Priester entsteht durch Rücksichtnahme auf eine Patientin, die nicht erwartet an ihrer Sepsis zu sterben. Der Konflikt weitet sich schließlich aus: auf die Ärzteschaft der Klinik sowie letztlich auf Politik und Öffentlichkeit, wobei ein Antisemitismus sichtbar wird, den die Japanerin Tomoyo Kaba in Österreich immer noch präsent sieht. Den anhaltenden Erfolg des 1912 uraufgeführten Theaterstückes erklärt sie auch damit, dass darin Situationen behandelt werden, die nichts an Aktualität eingebüßt haben: Originalzitat Schnitzler: "... wir leben in einer so konfusen Zeit - und in einem so konfusen Land ..." Er zwingt uns nachzudenken.
Demnächst wird Kaba ihre Dissertation abschließen und an japanischen Universitäten Deutsch unterrichten. Aber sie hat auch einen großen Traum: "Ich würde gerne Professor Bernhardi ins Japanische übersetzen und veröffentlichen. Es wäre toll, wenn ich es dann auf Japanisch aufführen könnte."
Ihre medizinhistorischen Untersuchungen wurden in den beiden jüngst erschienenen Sammelbänden der ÖAW-Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin und Medical/Health Humanities veröffentlicht: "Arthur Schnitzler und die Wiener Medizin. Über die Darstellung der Krankheit um 1900" (erschienen 2018) sowie "Die Bühnenrezeption von Arthur Schnitzlers Professor Bernhardi in Wien 1965 bis 1998" im soeben veröffentlichten Band "Medizin in Wien nach 1945 - Strukturen, Aushandlungsprozesse, Reflexionen." Herausgegeben von B. Nemec, H.-G. Hofer, F. Seebacher und W. Schütz. V&R unipress, Vienna University Press, ISBN: 978-3-7370-1393-2. Das Buch enthält Beiträge von 49 AutorInnen und hat 820 Seiten. Es kostet 114 €, ist aber auch kostenlos per Open Access zugänglich! https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/detail/index/sArticle/57244
Die Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin und Medical/Health Humanities der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften, Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wird geleitet von Dr. Felicitas Seebacher und w.M. Univ.-Prof. Dr. Helmut Denk: https://www.oeaw.ac.at/kgpw/arbeitsgruppen/geschichte-der-medizin-und-medical-health-humanities
Das Fach Geschichte der Medizin umfasst die historischen Entwicklungen der Heilkunde, inklusive der Biografien von Personen, die Einfluss auf die Medizin ausübten. Medical Humanities ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld an der Schnittstelle von Medizin und den Humanities, also allen Wissenschaften mit Bezug auf Menschen, beispielsweise Humanwissenschaften, Geisteswissenschaften, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Künste.
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