Von Mäuse- und Menschenhirnen: Erinnerungen werden anders gespeichert
Über das vorrangig für das Abspeichern von Erinnerungen zuständige Hirnareal "Hippocampus" weiß die Wissenschaft mittlerweile recht gut Bescheid - allerdings bezieht sich das Wissen fast ausschließlich auf die dortigen Abläufe bei Mäusen. Ein Team um den Neurowissenschafter Peter Jonas konnte nun auf frische menschliche Hirnproben zugreifen, deren Analyse offenbarte, dass der menschliche Erinnerungsspeicher doch sehr anders funktioniert als jener der Nagetiere.
Der Schlüssel zu dieser Erkenntnis war eine Zusammenarbeit, die die Wissenschafterinnen und Wissenschafter vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) mit Karl Rössler von der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Wien vorangetrieben haben, wie das ISTA in einer Aussendung am Mittwoch mitteilte. Letzterer behandelt u.a. eine von Rössler identifizierte, spezielle Untergruppe von Epilepsiepatienten, bei denen eine Operation Linderung der Symptomatik mit sich bringt, im Rahmen derer auch gesundes Hippocampus-Gewebe entnommen wird.
Intaktes Gewebe im Eiltempo von Meduni Wien geliefert
Für die im Fachmagazin "Cell" erschienene Publikation konnten die Forscherinnen und Forscher auf noch intaktes Gewebe zugreifen, das insgesamt 17 Betroffenen an der Meduni Wien im Zuge der Eingriffe entnommen wurde. Diese Proben wurden speziell vorbereitet und jeweils schnellstmöglich von Wien ins Labor nach Klosterneuburg geliefert, wo sie umgehend untersucht werden mussten, um sie in ihrem möglichst ursprünglichen Zustand analysieren zu können. Ins Feld geführt haben die ISTA-Wissenschafter dann das gesamte Arsenal an modernen Untersuchungsmöglichkeiten, um aufzuschlüsseln, wie die Gehirnzellen in dem CA3-Areal des menschlichen Hippocampus verdrahtet sind. Die Wissenschafter sprechen in dem Zusammenhang von der Konnektivität von Gehirnzellen.
Für die Gruppe um Jonas, Magdalena Walz und Jake Watson hielten die Proben einige Überraschungen bereit: "Wenn man mit Nagetieren arbeitet, hat man manchmal das Gefühl, dass alles über den Hippocampus bereits bekannt ist. Sobald ich angefangen habe, die ersten Proben zu untersuchen, wurde mir klar, wie wenig wir über den menschlichen Hippocampus wussten", wird Watson zitiert: Man habe stellenweise das Gefühl gehabt, "dass wir nichts über die menschliche Physiologie, die zelluläre Organisation oder die Konnektivität wussten."
Größere Rechenleistung bei weniger, aber besseren Verbindungen
Für die Wissenschafter überraschend war vor allem, dass die Nervenzellen, die das CA3-Netzwerk aufbauen, über ihre Ausleger (Synapsen) weniger Verbindungen untereinander haben, als das in der menschlichen Großhirnrinde und im Nagetier-Hippocampus der Fall ist. Gleichzeitig erscheinen die zwar spärlicheren Verbindungen jedoch sehr zuverlässig zu sein. Die Weiterleitung von Signalen erfolge hier auch deutlich präziser als im Maus-Hippocampus. In Verbindung mit der Tatsache, dass der menschliche Hippocampus über weit mehr Nervenzellen verfügt, tut das der Speicherleistung keinen Abbruch, sondern erhöhe diese klar, wie die Wissenschafter in ihrer Arbeit schreiben.
Auf Basis der neuen Daten erstellte das Team ein Modell der Rechenleistung des menschlichen CA3-Areals im Hippocampus, das ebenfalls zeigte, dass der Aufbau einer guten Merk- bzw. Assoziationsfähigkeit dienlich ist. Alles in allem würden die Ergebnisse zeigen, dass diese Hirnstruktur beim Menschen "einzigartige Mikroschaltkreiseigenschaften" aufweist. Die Studie sei ein Schritt dahingehend, "die internen Abläufe unseres komplexesten Organs zu entschlüsseln", heißt es in der Publikation. "Unsere Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, unser Verständnis des Gehirns in Bezug auf Menschen zu überdenken. Künftige Forschungen zu den Schaltkreisen des Gehirns, auch wenn sie mit Nagetieren durchgeführt werden, müssen das menschliche Gehirn im Blick haben", so Jonas.
Service - https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(24)01338-2