Schlaf, Kindlein, schlaf
Richtig schlafen will gelernt sein. Und so wie beim Zähneputzen, um Karies und Co. vorzubeugen, beginnt man damit am besten bereits im Kindesalter, damit es gar nicht erst zu Schlafproblemen und -störungen kommt.
Kerstin Hödlmoser vom Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg untersucht mit ihrem Team die neurophysiologischen Vorgänge während des Schlafes. "Wir arbeiten mit Elektroenzephalografie - dabei werden die Gehirnströme aufgezeichnet - und messen, was im Gehirn von Kindern während des Schlafens passiert, nachdem sie eine bestimmte Lernaufgabe durchgeführt haben. Also ob die Ausprägung von bestimmten Gehirnaktivitäten stärker gegeben ist, wenn sie das Wissen über Nacht stabilisieren", erklärt die Schlafforscherin gegenüber APA-Science. Ziel ist es, jene Mechanismen zu verstehen, die für die Speicherprozesse im Schlaf relevant sind.
Schlau im Schlaf
Das Thema des Zusammenhangs von Schlaf und kognitiven Leistungen bei Kindern begleitet sie seit 2008, als sie im Rahmen eines FWF-Projektes eine Studie mit Acht- bis Zehnjährigen durchführte, die sich mit dem Abspeichern von neu gelernten Gedächtnisinhalten während der Nachtruhe befasste. "Wir versuchen herauszufinden, welche Gehirnaktivitäten während des Schlafs dafür verantwortlich sind, damit Gedächtnisinhalte, die man sich während dem Wachsein aneignet, in das Langzeitgedächtnis übertragen werden", so die Expertin.
Beobachtet wird dabei vor allem die sogenannte Schlafspindel; Gehirnstrommuster im Frequenzbereich zwischen 12-15 Hertz (Hz), deren Vorkommen in einem bestimmten Schlafstadium, NREM2, darauf hinweist, dass Gedächtnisinhalte gut abgespeichert werden. Außerdem spielen auch die sehr langsamen (<2 Hz) Gehirnaktivitäten, die das Bild des Tiefschlafes (NREM3) prägen, eine wichtige Rolle. "Bei Kindern, die eine stärkere Aktivität und ein besseres Zusammenspiel dieser beiden Bereiche aufweisen, hat sich gezeigt, dass sie sich Sachen besser merken können und bei Gedächtnisaufgaben besser abschneiden", beschreibt Hödlmoser ihre Erkenntnisse. Wenn sich diese Hirnstrommuster vom Kindes- bis ins Jugendalter verstärkt entwickeln, verbessert sich auch die Merkfähigkeit, beispielsweise wenn es um das Erlernen von Vokabeln geht, wie aus einer aktuellen Langzeitstudie hervorgeht: Das Team um Hödlmoser untersuchte dazu 2016 die selben Kinder wie 2008 erneut. "Der Plan ist, diese Probanden in ein bis zwei Jahren nochmal zu untersuchen, wenn sie 18 oder 20 und erwachsen sind", führt Hödlmoser aus.
Motorik optimieren
Auch für das motorische Lernen sind diese Gehirnstrommuster und insbesondere die Schlafspindel relevant. Gemeinsam mit Jürgen Birklbauer vom IFFB Sport- und Bewegungswissenschaft der Universität Salzburg forscht Hödlmoser daran, wie sich Schlaf auf das Umlernen einer automatisierten motorischen Aufgabe auswirkt. Zum Beispiel beim Fahrradfahren, wenn der Lenker so manipuliert wird, dass aus links rechts und aus rechts links wird. Oder beim Schreiben auf einer Computertastatur, wo die Buchstaben spiegelverkehrt angeordnet sind, so dass die rechte Hand jene Tasten betätigt, für die normalerweise die Finger der linken Hand zuständig sind, und umgekehrt. "Hier wären Langzeitstudien spannend", wünscht sich Hödlmoser, "aber Rahmen, Design und die finanziellen Möglichkeiten sind leider oft begrenzt." Der Aufwand für die Forscher, die Kinder beim Schlafen in ihrer gewohnten Umgebung untersuchen zu können, ist hoch; Geräte müssen am Abend bei den Versuchspersonen zuhause adjustiert und am Morgen wieder abgeholt werden.
Dass gesunder Schlaf für die Motorik und die physische Leistungsfähigkeit essenziell ist, wissen auch Spitzensportler - weshalb Ronaldo und Co. mit "Schlafcoaches" zusammenarbeiten, um ihre Performance zu optimieren, wie Hödlmoser im Gastkommentar "Schlaf verbessert sportliche Leistungsfähigkeit und (motorisches) Lernen" näher beschreibt.
Kinder zu Experten machen
In einem gesundheitspsychologischen Parallelprojekt denkt die Expertin darüber nach, ihre Ergebnisse der Grundlagenforschung und das Thema der Wichtigkeit des Schlafes ähnlich wie bei "Zahnputzfee-Aktionen" direkt in die Schulen zu tragen. "Da geht es nicht primär um die wissenschaftliche Messung, sondern darum, das Wissen in den Alltag der Kinder zu integrieren", erklärt die Schlafforscherin. "Im Vordergrund steht die Prävention und der Wunsch, das Grundlagenwissen, das wir in den letzten Jahren gesammelt haben, zu vermitteln. Ganz groß ist zum Beispiel das Thema Smartphone: Zu wissen, dass das intensive Displaylicht am Abend den Hormonhaushalt durcheinanderbringt."
Wissensvermittlung und Prävention sind auch der Fokus des Buches "Ilvy schläft gut - Schlafen lernen mit System", das Hödlmoser gemeinsam mit Psychologin Sigrun Eder und der Illustratorin Nicole Schäufler geschrieben hat. Das Buch richtet sich an Grundschüler mit dem Ziel, sie für richtiges Schlafverhalten zu sensibilisieren. Die erste Hälfte besteht aus mehreren Kurzgeschichten über das Mädchen Ilvy, das aus verschiedenen Gründen Probleme hat, ein- und durchzuschlafen: einmal weil sie vor dem Schlafengehen Chips gegessen hat, ein anderes Mal, weil sie nervös über den bevorstehenden Kletterausflug ist. Die zweite Hälfte besteht aus Mitmachseiten, wo die Kinder Schlaftagebuch führen, Gute-Nacht-Geschichten erfinden oder die "goldenen Schlafregeln" verinnerlichen können. "Es ist die Idee einer präventiven Edukation von klein auf, damit sie selbst wissen, was zu tun ist, wenn sie einmal Probleme haben."
Wichtig für einen guten Schlaf seien beispielsweise die Rhythmisierung, das Einführen von Abendritualen und der Verzicht auf schwere Mahlzeiten sowie zuckerhaltige Getränke in den Abendstunden. Hödlmoser erklärt: "Die Kinder sollen selbst zu Experten werden, sodass nicht erst Mama oder Papa kommen und das Handy wegnehmen müssen, weil intensives Licht für das Einschlafen nicht förderlich ist, sondern weil sie es selbst wissen."
Späterer Schulstart?
Immer wieder gibt es Diskussionen und Forderungen, den Unterrichtsbeginn eine Stunde oder weiter nach hinten zu verlegen, damit Schüler genug Schlaf bekommen - denn ihr Schlafbedürfnis ist deutlich höher als das von Erwachsenen. Während die National Sleep Foundation Erwachsenen im Alter von 26 bis 64 Jahren zwischen sieben und neun Stunden Schlaf empfiehlt, sind es bei Teenagern acht bis zehn und bei Volksschülern und Unterstuflern neun bis elf.
Mit dem Unterricht später zu beginnen fände Hödlmoser grundsätzlich begrüßenswert - sie befürchtet aber einen "Rattenschwanz, den die Diskussion nach sich zieht": etwa Probleme für Eltern, die um acht Uhr zu arbeiten beginnen und ihre Sprösslinge in die Schule bringen müssen. Das selbe Problem ortet auch Bildungsexperte Andreas Salcher. "Ich selbst kämpfe noch immer vehement für eine späteren Schulbeginn, vor allem in den Volksschulen am Land, wo ein Schulbeginn um 8:30 Uhr oft bedeutet, dass Kinder vor sechs Uhr aus dem Bett gerissen werden", erklärt der Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien, Österreichs erster Schule für Hochbegabte. Auch hier startet der reguläre Unterricht um acht Uhr. Gegen einen späteren Beginn sei vor allem die Mehrheit der Eltern - "weil sie glauben, das mit ihrem Arbeitsbeginn nicht vereinbaren zu können."
"Es darf auch nicht ein späteres Zubettgehen daraus resultieren", führt Hödlmoser den Gedanken fort. Außerdem müsse man die verschiedenen Chronotypen mit einbeziehen - obwohl es im Teenageralter einen Überhang zu Nachteulen gebe, dürfe man trotzdem nicht auf die Lerchen vergessen. "Wenn ich ein Morgenmensch bin, bin ich vielleicht sogar froh darüber, wenn die Schule um halb acht schon losgeht." Eine Umfrage des Forschungszentrums Demografischer Wandel der Frankfurt University of Applied Sciences mit 7.700 Schülern aus dem Vorjahr hat ergeben, dass sich sogar die Mehrheit der Schüler für einen Schulstart um acht Uhr ausspricht, da dafür mehr Freizeit am Nachmittag bleibt. Ohnehin, so Hödlmoser, werde in Österreich bereits auf die unterschiedlichen Leistungsspitzen der Chronotypen Rücksicht genommen. Schularbeiten etwa würden meist bewusst nicht in die ersten beiden Unterrichtseinheiten gelegt.
Ganz Gallien? Nein!
Während der Großteil der österreichischen Schulen also weiterhin um acht Uhr beginnt, läutet eine Handvoll Schulen den Beginn der ersten Unterrichtseinheit zu anderer Stunde ein. So zum Beispiel an der Freien Schule Linz, wo ab dem Schuljahr 2019/2020 Gleitzeit von 7:45 bis 8:15 Uhr angeboten wird. "Der Grund dafür ist, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer bemerken, dass für die Kinder ein früherer Schulstart mühsam ist", so Johanna Paar von der Schuladministration. "Aufgrund der Tatsache, dass wir Kinder von außerhalb von Linz haben und die Schnellverbindungen mit den Bussen nur ca. zwischen 5:00 und 8:00 Uhr fahren, können wir die Schulbeginnzeit aber leider nicht noch weiter nach hinten verschieben - was der Wunsch unserer Lehrerinnen und Lehrer, die unsere Kinder im Blick haben, wäre."
An der Freien Schule Hofmühlgasse in Wien beginnt der Tag sogar noch später, nämlich erst um neun Uhr. "Allerdings ist dies nur die Ankommenszeit unserer Schülerinnen und Schüler", heißt es auf Anfrage vonseiten der Schule: "Der Unterricht beginnt bei uns erst um 9:30 Uhr." Der Gedanke dahinter sei die Schaffung einer entspannten Atmosphäre, was "zu einer besseren Arbeitshaltung und somit zu besseren Lernergebnissen" führen solle. Überlegungen seitens des Bildungsministeriums diesbezüglich gebe es nicht, so Pressesprecherin Annette Weber, den Schulen sei die Entscheidung aufgrund der ihnen eingeräumten Autonomie selbst überlassen.
Im Falle eines späteren Schulstarts müsse man in jedem Fall "berücksichtigen, dass man nicht nur den Schulstart verändert, sondern das ganze Drumherum", betonte Hödlmoser: "Die Zubettgehzeit muss gleich bleiben, auch wenn man später aufsteht."
Von Anna Riedler / APA-Science