Policy Brief: Österreichs Ziel, Innovation Leader zu werden
An vorderster Stelle der FTI-Strategie 2020 aus dem Jahr 2011 steht, dass Österreich bis 2020 zum "Innovation Leader" aufsteigen sollte. Dieses Ziel wurde bis dato jedoch nicht erreicht. Zwar haben Krisen wie die Corona-Pandemie in jüngster Zeit verdeutlicht, wie wichtig F&E und Innovation nicht nur für Wachstum, sondern auch für das Wohlergehen der Gesellschaft sind.
Zahlreiche Hilfspakete wurden geschnürt, Sonderprogramme zur Förderung der Covid-Forschung aufgestellt - ein Ende der Maßnahmen ist nicht in Sicht. Darüber hinaus stehen aber auch wichtige strategische Entscheidungen für Wissenschaft und Forschung am Standort Österreich an. Nachdem das Forschungsfinanzierungsgesetz beschlossen wurde, geht es in nächster Zeit um die Weiterführung diverser Budgetverhandlungen wie auch um die Erstellung einer neuen FTI-Strategie, welche wiederum eine Leitlinie für die nächsten zehn Jahren sein sollte. Dabei helfen natürlich Postulate wie "Mit Wissenschaft aus der Krise"1 kommen, allerdings bedarf es auch einer Analyse, welche Schwächen Österreich hat bzw. wo es Österreich bislang nicht gelungen ist, Schwächen in den vergangenen Jahren zu korrigieren.
Die FTI-Strategie 2020 basiert auf den Indikatoren des European Innovation Scoreboard 2010, nun soll bald die neue FTI-Strategie konzipiert werden. Grund genug für einen Zehn-Jahres-Rückblick: Wo konnte Österreich seine Schwächen korrigieren? Wo nicht? Was braucht es, um das Ziel "Innovation Leader" mittelfristig doch zu erreichen?
Die Faktenlage
Das Ergebnis ist ernüchternd: 2010 lag Österreich im Ranking an siebenter, 2020 an neunter Stelle.2 Österreich wurde nicht nur von Luxemburg und den Niederlanden überholt, auch relativ (in Bezug auf die EU als Ganzes) hat sich Österreich verschlechtert: Lag Österreichs Gesamt-Index-Wert 2010 noch mit 9,2 % über jenem der EU als Ganzes, waren es 2020 nur noch 14,1 %. Da sich das Ranking aus 27 Indikatoren zusammensetzt, hat sich Österreich naturgemäß auch in einigen Indikatoren (wie z.B. bei der tertiären Ausbildung) verbessert.
Das besondere Interesse des vorliegenden Policy Briefs ist auf die ausgeprägten Schwächen Österreichs gerichtet, da es hier statistisch - und somit für den Gesamt-Index-Wert - am meisten Potenzial zur Verbesserung gibt. Zu Beginn des vorliegenden Briefs wird auf die Aussagekraft von Rankings im Generellen eingegangen. Anschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der größten Schwächen Österreichs anhand des European Scoreboard 2010 (Europäische Kommission, 2011) und des European Scoreboard 2020 (Europäische Kommission, 2020a), welche auf drei, für die Weiterentwicklung des österreichischen Innovationssystems dringend zu lösende Problemfelder stößt.
Zur grundsätzlichen Aussagekraft von Rankings
Mit Rankings ist das so eine Sache: Einerseits sollen sie ein Phänomen, das zu komplex ist, um es mit einer einzelnen Variablen hinreichend beschreiben zu können, mittels mehrerer Indikatoren kompakt zusammenfassen. Andererseits werden sie dadurch naturgemäß angreifbar. Beispielsweise setzt sich der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen aus nur drei gleichgewichteten Indikatoren zusammen. Die mögliche Kritik liegt auf der Hand: Dieser oder jener Bereich der menschlichen Entwicklung sei nicht inkludiert. Die Stärken des HDI liegen jedoch darin, dass er erstens leicht verständlich ist, und zweitens hinsichtlich der Zielrichtung Einigkeit besteht: Einkommen, Gesundheit und Bildung sind Kategorien, in denen jede Gesellschaft Fortschritt anstrebt.3
Ein Index der Global Competitiveness Index (GCI) des Weltwirtschaftsforums (Schwab, 2019) hingegen setzt sich aus 103 Variablen zusammen, die ihrerseits zum Teil Indizes sind, die sich aus mehreren Variablen zusammensetzen und mit unterschiedlichen Gewichtungen in den Gesamt-Index einfließen. Folglich ist kaum zu überblicken, wie sich der Gesamt-Index zusammensetzt. Auch die Zielrichtung einzelner Indikatoren ist zweifelhaft: So fließt Arbeitsmarktflexibilität mittels acht einzelner Variablen ein, die jeweilige Richtung ist im Sinne des eigentlich interessierenden Phänomens - der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft - allerdings alles andere als eindeutig. Die fehlende Eindeutigkeit wird auch dadurch deutlich, dass die einzelnen Indikatoren und ihre Gewichtung sich von Jahr zu Jahr ändern können.4
Im Vergleich dazu schneidet der European Innovation Scoreboard (EIS) recht gut ab. Die Anzahl der Variablen ist mit 27 noch überschaubar, und indem sie alle gleichgewichtet sind, ist auch die Berechnung mühelos nachvollziehbar. Zwar kann kritisiert werden, dass wohl kaum alle Indikatoren gleich wichtig für die Innovationsfähigkeit sind, aber so bleibt der Index robust gegen den Vorwurf, ihn durch Verschiebung der Gewichtungen manipulieren zu wollen. Ebenso ist die gewünschte Richtung der Indikatoren recht eindeutig und stimmt mit den formulierten Zielen der EU überein. Das ist zwar wenig überraschend, da der EIS schließlich von der Europäischen Kommission publiziert wird, aber aus methodischer Sicht ist es wichtig, da die Interpretation somit - im Gegensatz zum GCI - eindeutig ist.5
Da die Variablen des EIS 2020 auch für zehn Jahre davor zur Verfügung stehen, ist ein längerfristiger Vergleich möglich. Österreich hat bei insgesamt acht Indikatoren entweder im EIS 2010, im EIS 2020 oder in beiden einen Wert von unter 80 % der EU als Ganzes erzielt.6 Diese acht Indikatoren können damit als Schwachstellen des österreichischen Innovationssystems von damals oder eben heute interpretiert werden und werden infolge einer näheren Betrachtung unterzogen.
Österreichs Schwächen: damals und heute
Indikator 1: Bevölkerung von 25 bis 34 Jahren mit tertiärer Ausbildung ("Population aged 25-34 having completed tertiary education (percentage share)")
2009: 20,4 % des EU-Werts
2019: 106,6 % des EU-Werts
Die Expansion im Hochschulwesen trägt Früchte, Österreich hat sich hier enorm verbessert. In der Wissenschaft ist unumstritten, dass das vorhandene Humankapital Produktivität und Innovationsfähigkeit einer Ökonomie positiv beeinflusst, da die Träger des Humankapitals definitionsgemäß mehr können und wissen. Die Weltbank schätzt sogar, dass der Humankapitalbestand der OECD-Staaten mit hohem Einkommen mittlerweile 70 % ihres Wohlstands ausmacht und damit die Bedeutung des Sachkapitals weit übertrifft (Lange u.a., 2018). Auch wenn tertiäre Bildung nur einen Teil des Humankapitals ausmacht (der Fachkräftemangel bleibt hier z.B. unberücksichtigt), zeigt die Entwicklung deutlich, dass Österreich eine langjährige Schwäche mittlerweile überwinden konnte. Allerdings liegt Österreich innerhalb der EU dennoch nur auf Rang 17. Der Grund dafür ist, dass einige Länder, darunter mit Deutschland und Italien zwei der bevölkerungsreichsten, hier sehr niedrige Werte aufweisen.
Indikator 2: Breitband-Durchdringung ("Broadband penetration")
2009: 133,3 % des EU-Werts
2019: 77,3 % des EU-Werts
Dieser Indikator bezieht sich auf die Zahl der Unternehmen mit einem Internet-Anschluss von mind. 100 MB/s. Österreich ist hier von Platz zwölf auf Platz 18 zurückgefallen, auch wenn sich der Wert der zugrundeliegenden Variablen erhöht hat. Der Befund deckt sich insofern mit dem ebenfalls kürzlich von der Europäischen Kommission (2020b) veröffentlichten Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI), in dem Österreich im Bereich der Breitbandnutzung ebenfalls deutlich schlechter abschneidet als die EU als Ganzes, wobei erwähnt werden muss, dass sich der DESI auf Haushalte, der EIS jedoch auf Unternehmen bezieht. Im August 2019 verabschiedete die österreichische Regierung die österreichische Breitbandstrategie 2030, die als Ziel die flächendeckende Versorgung mit Gigabit-fähigen Verbindungen bis 2030 definiert. Insofern ist eine Verbesserung möglich, allerdings müssen für eine bessere Platzierung im EIS die Unternehmen auch bereit sein, sich an das Netz anzuschließen.
Indikator 3: Chancen getriebene Gründerinnen und Gründer ("Opportunity-driven entrepreneurship (Motivational index)")
2009: 160,7 % des EU-Werts
2019: 37,8 % des EU-Werts
Dieser Indikator ist definiert als das Verhältnis von Personen, die ein Unternehmen aus der Notwendigkeit heraus gründen, sonst kein Einkommen erzielen zu können, zu Personen, die ein Unternehmen gründen, um damit Unabhängigkeit oder ein höheres Einkommen erreichen zu können. Unterstellt wird, dass ein höherer Anteil Letzterer sich in der Innovationstätigkeit niederschlägt, da Chancen zur Geschäftstätigkeit Innovationspotenzial widerspiegeln. Die Variable selbst entstammt dem Ranking des Global Entrepreneurship Monitor (Bosma und Kelley, 2018), der zwar jährlich erscheint, aber in dem nicht alle Länder in jeder Ausgabe berücksichtigt werden. Zu beobachten ist, dass der Wert der EU als Ganzes kontinuierlich zugenommen, jener Österreichs jedoch abgenommen hat.
Indikator 4: Wagniskapital ("Venture capital (percentage of GDP)")
2009: 42,8 % des EU-Werts
2019: 39,8 % des EU-Werts
Der Mangel an Wagniskapital bildet eine der chronischen Schwächen in Österreichs Innovationssystem und zeigt keine Verbesserungen im Zeitverlauf, 2019 befindet man sich innerhalb der EU nur an 21. Stelle. Durch den Austritt Großbritanniens, das im Bereich Wagniskapital europaweit führend ist, wird sich Österreich zwar statistisch etwas verbessern (Österreich erreicht 2019 42,2 % des EU-Werts ohne Großbritannien), was an der Realität natürlich nichts ändert. Es ist vor allem der Mangel an Wagniskapital, der von österreichischen Fonds bereitgestellt wird, der für den extrem niedrigen Wert ausschlaggebend ist (Keuschnigg und Sardadvar, 2019). Auch wenn der Indikator der Chancen getriebenen Gründerinnen und Gründer für sich wenig aussagekräftig sein mag, die beiden Schwächen ergänzen einander, da Wagniskapital jedenfalls die Chancen für Gründerinnen und Gründer, ein erfolgreiches Unternehmen zu führen, erhöht.
Indikator 5: Innovationsausgaben ohne F&E ("Non-R&D innovation expenditures (percentage of turnover)")
2009: 73,6 % des EU-Werts
2019: 66,3 % des EU-Werts
Eine weitere chronische Schwäche ohne große Veränderungen im Zeitverlauf, der abdeckt, was nicht als F&E definiert ist, darunter Investitionen in Ausrüstung und Maschinen sowie den Erwerb von Patenten und Lizenzen, um die Verbreitung neuer Produktionstechnologien und Ideen zu erfassen. Das schwache Abschneiden Österreichs passt zum empirischen Befund, dass Österreichs Arbeitsproduktivität recht niedrig ist. Österreich liegt hier 2018 innerhalb der EU nur an zehnter Stelle, beim BIP je Einwohnerin und Einwohner jedoch an fünfter Stelle.7 Österreich könnte also seinen Wohlstand über eine Verbesserung bei der Produktivität erheblich erhöhen (oder müsste für dasselbe Wohlstandsniveau weniger arbeiten). Bemerkenswert ist auch, dass außer Großbritannien alle acht Länder, die im EIS-Ranking basierend auf Daten von 2018 vor Österreich liegen, auch bei der Arbeitsproduktivität je Stunde 2018 vor Österreich liegen. Der Zusammenhang zwischen Innovationstätigkeit und Wohlstand zeigt sich bei diesem Indikator möglicherweise am deutlichsten.
Indikator 6: IKT-Weiterbildung ("Enterprises providing training to develop or upgrade ICT skills of their personnel (percentage of all enterprises)")
2009: 171,4 % des EU-Werts
2019: 68,4 % des EU-Werts
Ein sehr volatiler Indikator, bei dem Österreich 2016 sogar auf Rang eins gelegen ist; in diesem Licht ist der Absturz mit Vorsicht zu interpretieren. Hier werden jene Unternehmen berücksichtigt, die ihrem Personal irgendeine Form von Ausbildung oder Training im Bereich der IKT zur Verfügung stellen. "Irgendeine Form von Ausbildung oder Training" kann natürlich viel bedeuten, und ein guter Wert heute kompensiert vielleicht nur Rückstände aus der Vergangenheit. Bedenklich stimmt allerdings, dass Österreich im aktuellen DESI beim Gesamt-Index etwas schlechter platziert als im EIS 2020 ist, (inkl. Großbritannien) nur an 13. Stelle liegt, und somit zwei Indikatoren anzeigen, dass Österreich zurückfällt.
Indikator 7: Beschäftigung in schnell wachsenden Unternehmen ("Employment in fast-growing enterprises (percentage of total employment)")
2009: 52,3 % des EU-Werts
2019: 30,3 % des EU-Werts
Hier zeigt Österreich ebenfalls regelmäßig niedrige Werte und ist auch noch erheblich zurückgefallen, im EIS 2020 auf den 26. Rang. Theoretisch hängt der Indikator mit Wagniskapital zusammen, da erfolgreiche Start-ups besonders schnell wachsen. In der Praxis ist der Indikator jedoch wenig tauglich: Er misst die Beschäftigten in jener Hälfte des verarbeitenden Gewerbes, die als innovativ eingestuft wird, darunter die Herstellung von Tabakprodukten, die es in Österreich gar nicht mehr gibt, oder die Getränkeerzeugung. Dass Österreich einen recht hohen Anteil der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe hat und in diesem Bereich, wie an den Exportstatistiken abzulesen, auch recht wettbewerbsfähig ist, fällt hier gar nicht ins Gewicht. Für eine Verbesserung müsste wohl die gesamte Industrie Österreich neu aufgestellt werden, was nicht zielführend wäre.
Indikator 8: Exporte wissensintensiver Dienstleistungen ("Knowledge-intensive services exports as percentage of total services exports")
2009: 55,6 % des EU-Werts
2019: 51,3 % des EU-Werts
Der Befund fällt hier ähnlich wie bei der Beschäftigung in schnell wachsenden Unternehmen aus: In der Theorie besteht ein Zusammenhang mit der Innovationstätigkeit, die Art der Messung taugt allerdings wenig. Zwar ist die Anzahl der als "wissensintensiv" eingestuften Branchen geringer und von der Interpretation her weniger schwierig. Problematisch ist der Nenner: Zu den Dienstleistungsexporten zählt auch der Tourismus. Ein Rückgang ausländischer Touristinnen und Touristen wird daher zwangsläufig zu einer Verbesserung beim Indikator führen, so lange der Rückgang exportierter wissensintensiver Dienstleistungen gleich bleibt oder zumindest geringer ausfällt. Aufgrund des großen Anteils der Tourismus-Branche in Österreich könnte sich Österreich hier in den nächsten Jahren verbessern, wenn durch die aktuelle Krise der internationale Tourismus weiter eingeschränkt bleibt, ohne auch nur eine wissensintensive Dienstleistung mehr zu exportieren.
Drei Problemfelder
Insgesamt acht von 27 Indikatoren im EIS 2010 und/oder 2020 zeigen für Österreich einen Wert von weniger als 80 % der EU als Ganzes an. Bei einem Indikator, der Bevölkerung von 25 bis 34 Jahren mit tertiärer Ausbildung, konnte sich Österreich erheblich verbessern. Zwei Indikatoren, Beschäftigung in schnell wachsenden Unternehmen sowie Exporte wissensintensiver Dienstleistungen, sind schlecht konstruiert und ohne eine Neugestaltung der Wirtschaft, die selbst die Volksrepublik China in den Schatten stellen würde, wird sich Österreich hier kaum verbessern können - auf sie braucht daher nicht weiter eingegangen werden. Somit bleiben fünf Indikatoren mit sinnvollem Potenzial zur Verbesserung, die wiederum in drei Problemfelder eingeteilt werden können:
Problemfeld 1: Digitalisierung
Es sticht ins Auge, dass Österreich bei den Indikatoren Breitband-Durchdringung sowie IKT-Weiterbildung vor zehn Jahren deutlich über dem EU-Schnitt lag, und heute deutlich darunter. Der DESI enthält einige fragwürdige Indikatoren, aber eine genauere Betrachtung der einzelnen Indikatoren zeigt auch hier, dass Österreich bei der Digitalisierung nur im EU-Mittelfeld liegt. Die Indikatoren im EIS deuten an, dass es v.a. an den Unternehmen liegt, eine digitale Infrastruktur einzurichten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu schulen. Wie in den Forschungs- und Technologieberichten 2019 und 2020 hervorgehoben, benötigen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kompetenzen, um den zukünftigen, digitalen Anforderungen gerecht zu werden. Der Rückgang im Bereich der IKT-Weiterbildung ist hier wenig ermutigend. Ebenso sollten an Schulen und Hochschulen mehr digitale Kompetenzen vermittelt werden, inklusive eines Ausbaus interdisziplinärer Informatikstudien.
Problemfeld 2: Unternehmensgründungen
Österreich zeigt beim Indikator Wagniskapital eine chronische Schwäche und hat sich bei einem weiteren Indikator, Chancen getriebene Gründerinnen und Gründer, eine weitere Schwäche eingehandelt. Zwar ist die Verfügbarkeit von Wagniskapital nur für die wenigsten Unternehmensgründerinnen und -gründer relevant. Es ist allerdings bezeichnend, dass Österreich auch im aktuellen "Global Entrepreneurship Index" (Ács u.a., 2019) weitgehend hinter denselben Ländern liegt, hinter denen es auch im EIS 2020 positioniert ist.8 Hier kommt es darauf an, innovativen Gründerinnen und Gründern gute Möglichkeiten zu bieten, ihre Ideen unternehmerisch umzusetzen und das Angebot an Wagniskapital durch österreichische Fonds - über die aws und private Anbieter - zu erhöhen. Problemfeld 3: Anwendung von Innovationen
Österreich weist für 2018 nach Schweden die zweithöchste F&E-Quote innerhalb der EU auf,9 aber beim Indikator Innovationsausgaben ohne F&E liegt es weit zurück. Der Indikator erfasst die Verbreitung neuer Produktionstechnologien und Ideen und ist daher verwoben mit der Arbeitsproduktivität, wo Österreich ebenfalls bedeutend schlechter abschneidet als beim BIP je Einwohnerin und Einwohner. Man könnte sagen: In Österreich wird viel geforscht, aber wenig eingesetzt, und viel gearbeitet, aber wenig produktiv. Paul Krugman (1994) hat hervorgehoben, dass jegliche Wirtschaftspolitik letztlich darauf abzielen muss, den Lebensstandard zu erhöhen, und dass der Lebensstandard von der Arbeitsproduktivität abhängt: Eine höhere Produktion pro Arbeitsstunde, gemessen in Geldeinheiten, bedeutet mehr Lohn und/oder höhere Gewinne und/oder höhere Steuereinnahmen.
Fazit
Nicht nur im European Innovation Scoreboard liegt Österreich zurück, auch in den Rankings zu Digitalisierung, unternehmerischer Tätigkeit und Arbeitsproduktivität je Stunde liegt Österreich weit hinter den führenden EU-Mitgliedstaaten zurück - jedenfalls weiter, als es das BIP je Einwohnerin und Einwohner oder die F&E-Quote vermuten ließen. Dieser Rückstand deckt sich auch mit den drei Problemfeldern, die sich im Zuge der zehnjährigen Rückschau identifizieren lassen. Tatsächlich würde es sich lohnen, Maßnahmen zu treffen, um die genannten Problemfelder (die sich - so scheint es - bereits im System manifestiert haben) gezielt zu adressieren.
Sich in diesen Problemfeldern zu verbessern, erhöht nicht nur Österreichs Chance, zum "Innovation Leader" aufzusteigen, sondern verbessert auch den Lebensstandard der Bevölkerung.
Österreich erzielt im EIS 2020 einen Gesamt-Index, der 17,5 % höher als jener der EU als Ganzes (ohne Großbritannien) liegt. Angenommen, Österreich würde in den fünf Indikatoren der drei Problemfelder jenes Niveau erreichen, das es insgesamt jetzt schon hat - 17,5 % über der EU. Der Gesamt-Index läge dann 27,5 % über jenem der EU und somit deutlich über der Schwelle der 25 %, über welcher die EU ihre Innovationsführer definiert - das Ziel, Innovation Leader zu werden, wäre dann erreicht. Das wäre nicht nur ein schöner Erfolg, sondern würde auch die Grundlage für eine höhere Produktivität und somit einen verbesserten Wohlstand der Bevölkerung bilden.
Sascha Sardadvar und Brigitte Ecker, WPZ Research
Literatur
Ács, Z. J., Szerb, L., Lafuente, E., Márkus, G. (2019): Global Entrepreneurship Index 2019, Washington.
BKA, BMF, BMUKK, BMVIT, BMWFJ und BMWF (2011): Der Weg zum Innovation Leader: Strategie der Bundesregierung für Forschung, Technologie und Innovation, Wien.
Bosma, N., Kelley, D. (2018): Global Entrepreneurship Monitor - 2018/2019 Global Report, [o.O.].
Ecker, B., Brunner, Ph., Christmann-Budian, S., Fischl, I., Gassler, H., Gogola, G., Hartmann, E., Heckl, E., Kaufmann, P., Krabel, S., Mayer, K., Mozhova, A., Pechar, H., Radauer, A., Reiner, C., Ruhland, S., Sardadvar, S., Schneider H.W., Schuch, K., Sturn, D., Tiefenthaler, B., Warta, K., Welp-Park, E. (2019): Forschungs- und Technologiebericht 2019, im Auftrag von BMBWF, BMVIT und BMDW, Wien.
Ecker, B., Brunner, Ph., Dudenbostel, T., Gassler, H., Gogola, G., Hartmann, E. A., Kaufmann, J., Kaufmann, P., Krabel, S., Nindl, E., Ruhland, S., Sardadvar, S., Seth, C., Schneider, H. W., Schuch, K., Staneva, M., Sturn, D., Tiefenthaler, B., Warta, K., Zingerle, S. (2020): Forschungs- und Technologiebericht 2020, im Auftrag von BMBWF, BMK und BMDW, Wien.
Europäische Kommission (2011), Innovation Union Scoreboard 2010 - The Innovation Union's performance scoreboard for Research and Innovation [o.O.].
Europäische Kommission (2020a): European Innovation Scoreboard 2020, Luxemburg.
Europäische Kommission (2020b): Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2020: Österreich [o.O.].
Keuschnigg, C., Sardadvar, S. (2019): Wagniskapital zur Finanzierung von Innovation und Wachstum, St. Gallen und Wien.
Krugman, P. (1994): Competitiveness: a dangerous obsession, in: Krugman, Paul (1997): Pop Internationalism, Cambridge [MA] und London.
Lange, G.-M., Wodon, Q., Carey, K. (2018): The Changing Wealth of Nations 2018 - Building a Sustainable Future, Washington, DC.
Schwab, K. (2010): The Global Competitiveness Report 2010-2011, Genf.
Schwab, K. (2019): The Global Competitiveness Report 2019, Genf.
Herausgeber: WPZ Research GmbH, Mariahilfer Straße 115/16, 1060 Wien, Internet: www.wpz-research.com
Die WPZ Research GmbH ist ein unabhängiges und eigenständiges Forschungsinstitut, das den Transfer von der Grundlagen- und angewandten Forschung in die wissenschafts- und wirtschaftspolitische Praxis unterstützt. WPZ Research soll vor allem dazu beitragen, evidenzbasierte Politikberatung in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung und Innovation weiter auszubauen.
1 Siehe zuletzt https://www.derstandard.at/story/2000119606882/mit-wissenschaft-aus-der-krise-kommen.
2 Alle Angaben und Berechnungen im vorliegenden Policy Brief beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf die EU inkl. Großbritannien und Kroatien. Datenquellen sind die Datensätze zum EIS 2017 (für das Jahr 2009) und zum EIS 2020 (für das Jahr 2019).
3 Wie schwierig es ist, Indikatoren zu finden, deren Interpretation universell übereinstimmt, zeigt das Beispiel individueller Freiheit: Ein Wert, der hierzulande den meisten erstrebenswert erscheint, genießt in anderen Gesellschaften keineswegs denselben Stellenwert. Hinzu kommt, dass Freiheit schwierig zu messen ist und im Gegensatz zu den tatsächlich in den HDI aufgenommenen Indikatoren entsprechend schwammig ausfiele.
4 So hat sich die Zahl der Variablen im Laufe der Zeit etwas reduziert, 2010 waren es noch 111 (s. Schwab, 2010). Dass die Interpretation einzelner Indikatoren nicht eindeutig ist, zeigt das Beispiel der Arbeitsmarktflexibilität, wo gerade die für Österreich typische enge Bindung zwischen Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer und Arbeitgeber-innen/Arbeitgeber zum Aufbau unternehmensinternen Humankapitals führt, was der Wettbewerbsfähigkeit förderlich ist. Der Index fällt jedoch umso besser aus, je einfacher Personen eingestellt und entlassen werden können. Detail am Rande: Die Variable "Rigidity of employment" findet sich so im aktuellen Bericht nicht mehr, dafür "Hiring and firing practices" (s. Schwab 2010, 2019).
5 Auch im EIS kann man bei einzelnen Indikatoren überlegen, wie aussagekräftig sie sind. Zum Beispiel die Variable "Foreign doctorate students as a percentage of all doctorate students": Ob sie die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft durch einen größeren Anteil (nicht: Anzahl) ausländischer Doktorats-Studierender (nicht: Absolventinnen und Absolventen) messbar erhöht, sei dahingestellt. Aber es gibt - im Gegensatz zum oben genannten Beispiel der Arbeitsmarktflexibilität - auch keine Hinwiese auf einen gegenteiligen Effekt.
6 Alle im Folgenden genannten Prozentwerte beziehen sich auf normalisierte Werte (für Details zur Berechnung vgl. Europäische Kommission 2020), da diese den Gesamt-Index bilden.
7 Daten nach Eurostat; die Arbeitsproduktivität ist nicht direkt abrufbar, sondern muss aus dem vorhandenen Datenmaterial berechnet werden; 2018 ist das letzte Jahr, für das alle notwendigen Daten zur Verfügung stehen.
8 Von den acht EU-Mitgliedstaaten, die im EIS 2020 vor Österreich liegen, sind sechs auch im Global Entrepreneurship Index vor Österreich positioniert (Ács u.a. 2019, S. 19).
9 Daten nach Eurostat.