Immunsystem spielt tragende Rolle bei Herzinfarkt
Nach einem überstandenen Herzinfarkt kommt das Immunsystem schnell auf Touren. Abgestorbene Zellen werden entfernt, die Wundheilung startet. In manchen Fällen lässt eine überschießende Immunreaktion aber unverhältnismäßig große Vernarbungen entstehen, was eine anhaltende Herzschwäche zur Folge haben kann. Grazer Forschende haben nun untersucht, wie sich der Heilungsverlauf schon frühzeitig besser abschätzen lässt - und dabei neue Ansätze für zukünftige Diagnoseverfahren entdeckt.
Ein Herzinfarkt ist eine Weichenstellung im Leben vieler Menschen. Abgesehen vom Lebensstil, der oft grundlegend zu überdenken ist, kann es selbst bei rechtzeitiger und guter Behandlung zu einer anhaltenden Herzschwäche kommen. Der Grund dafür sind umfangreiche Vernarbungen am Herzmuskel, die die Pumpkraft vermindern. Das Ergebnis: Trotz glimpflich verlaufenden Notfalls und bester Vorsätze bestehen unter Umständen kaum Chancen, sich dauerhaft wieder gesund und fit zu fühlen.
Überschießende Entzündungsreaktionen des Immunsystems
Ob es im individuellen Fall tatsächlich zu einer Herzschwäche kommt, ist allerdings schwer vorherzusagen. Auslöser für ausufernde Vernarbungen sind überschießende Entzündungsreaktionen des Immunsystems. Um diese rechtzeitig zu unterbinden, fehlen den Ärzt:innen sowohl die diagnostischen als auch die therapeutischen Mittel. Einen neuen Ansatz in diesem Bereich lieferten nun Medizinforschende im EU-Projekt „Die Rolle der adaptiven Immunantwort nach Myokardinfarkt“, das in Österreich vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde.
Peter Rainer und sein Team vom Universitären Herzzentrum an der Medizinischen Universität Graz untersuchten gemeinsam mit Kolleg:innen von der Universitätsklinik in Würzburg und der Sorbonne Université in Paris die komplexen immunologischen Prozesse, die an der „Wundheilung“ des Herzens beteiligt und schlussendlich auch für die Vernarbungen verantwortlich sind. „Ein wichtiger Ausgangspunkt unserer Forschungen ist die Erkenntnis, dass das adaptive – also im Lauf des Lebens erworbene – Immunsystem, das in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist, eine tragende Rolle im Heilungsprozess spielt“, betont Rainer. „Deshalb war es unser Ziel, Biomarker oder Muster in den individuellen immunologischen Prozessen zu finden, die über den zu erwartenden Krankheitsverlauf Auskunft geben.“
Das Projekt „Die Rolle der adaptiven Immunantwort nach Myokardinfarkt“ wurde im Rahmen des Europäischen Forschungsnetzwerks ERA-CVD durchgeführt und vom Wissenschaftsfonds FWF mit 300.000 Euro kofinanziert.
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Komplexe Immundynamik
Ein Herzinfarkt entsteht am häufigsten durch ein Gerinnsel, ausgelöst durch eine Verletzung von Gefäßwänden aufgrund von Arteriosklerose – also der „Verkalkung“ der Blutgefäße. Die Blut- und Sauerstoffzufuhr zum Herzen wird dadurch unterbunden. Brustschmerzen und Atemnot treten auf, nach wenigen Minuten sterben Herzzellen ab. Im schlimmsten Fall folgt auf den Infarkt ein Herzstillstand. Das Absterben der Zellen löst gleichzeitig aber auch eine Reaktion des körpereigenen Immunsystems aus. Die über Wochen dauernde Geweberegeneration nach dem überstandenen Notfall verläuft äußerst dynamisch. „Die Vorgänge am Beginn sind vollkommen andere als jene in einem späteren Stadium“, erklärt Rainer. „In jeder Phase verändert sich die Kombination der beteiligten Immun- und Botenstoffe. Für eine effektive Behandlung braucht es ein besseres Verständnis dieser Prozesse.“
Gleich zu Beginn der Immunreaktion treten auch die T-Lymphozyten – sie gehören zum erworbenen Immunsystem – auf den Plan. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Entzündungsreaktion, weshalb sie für die Untersuchungen von Rainer und Kolleg:innen besonders interessant waren. Sie wurden unter anderem mittels Einzelzell-Sequenzierung analysiert. Bei diesem Verfahren kommt das untersuchte genetische Material nicht aus einer Vielzahl von Zellkernen, sondern kann gezielt aus einer individuellen Zelle extrahiert werden. „Wir konnten damit die Arbeit der Immunabwehr wirklich auf die Funktion der einzelnen Zelle – und damit der Proteine, die die DNA darin hervorbringt – herunterbrechen“, betont Rainer. Besonders interessant war hier, welche Proteine und Antigene von den Rezeptoren an den T-Zellen jeweils erkannt werden.
Untersuchungen an menschlichem Gewebe
Einen weiteren Zugang zu den immunologischen Vorgängen gewährte die Analyse menschlicher Gewebeformen, die im Rahmen des Projekts zur Verfügung standen. Dazu gehört nicht nur Blut, sondern etwa auch Proben von Herzmuskeln erkrankter Personen. „Dank dem Zugang zu diesen Materialien konnten wir etwa Erkenntnisse der immunologischen Forschung mit Tiermodellen für den Menschen verifizieren“, hebt der Mediziner hervor.
Einzelzell-Sequenzierung und andere Methoden trugen schließlich dazu bei, die verschiedenen Heilungsverläufe in einer kleinen Gruppe ausgewählter und sehr gut charakterisierter Proband:innen genau nachvollziehen zu können. Alle Teilnehmenden hatten gerade einen ersten „großen“ Herzinfarkt hinter sich und nach aktuellem Wissensstand sehr ähnliche Heilungsvoraussetzungen. Dennoch vernarbte das Gewebe bei einigen besser als bei anderen.
Hinweise für den Heilungsverlauf
In der Analyse der beteiligten immunologischen Prozesse konnte nun tatsächlich eine relevante Signatur gefunden werden, die diese Unterschiede in der Genesung frühzeitig erkennen lässt, erklärt Rainer. „Unsere Daten zeigten bei Patient:innen mit gutem Heilungsverlauf einen anderen immunologischen Fußabdruck als bei jenen mit starken Vernarbungen“, betont der Forscher. „Diese Ergebnisse müssten nun allerdings in einer umfangreicheren Studie mit einer größeren und vielfältigeren Gruppe von Herzinfarktpatient:innen bestätigt werden.“ Ein detailliertes Verständnis, welche Mechanismen hinter der gefundenen Signatur und den damit zusammenhängenden Folgeerscheinungen stehen, bleibt ebenfalls Gegenstand zukünftiger Forschung. Schlussendlich stellt der Ansatz aber einen neuen Diagnose-Marker in Aussicht, der rechtzeitige Interventionen möglich machen könnte.
Rainer und Kolleg:innen nähern sich der Problematik indes auch mit neuen Forschungsansätzen. Zum einen werden in einem neuen, vom FWF unterstützten Projekt große Mengen an Patientendaten – vom Laborbefund bis zum Röntgenbild – mithilfe künstlicher Intelligenz durchforstet, um Zusammenhänge mit späteren Herzinfarkten zu erkennen und Risikoabschätzungen sowie Vorsorgeempfehlungen abzuleiten. Zum anderen untersuchen die Forschenden im Flagship-Projekt „VascHealth“ der Medizinischen Universität Graz eine Art Rückkopplungseffekt, den ein Herzinfarkt mit sich bringt. Mit ihm steigen nämlich oft die Entzündungswerte im Körper schlagartig an und beschleunigen damit die Arteriosklerose – der Beginn eines Teufelskreislaufes, der weitere Herzinfarkte wahrscheinlicher macht. Das komplexe Zusammenspiel zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Immunsystem birgt noch viele offene Fragen.
Zur Person
Peter P. Rainer studierte Medizin in Graz und Florenz, bevor er unter anderem Postdoc-Fellow an der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, war. Ab 2018 wirkte er als assoziierter Professor an der Medizinischen Universität Graz sowie als Oberarzt und Leiter der kardiologischen Ambulanzen und des Herzinsuffizienz-Programms am Universitären Herzzentrum Graz. Mittlerweile ist Rainer Primarius der Internen Abteilung des Bezirkskrankenhauses St. Johann in Tirol.
Publikationen
Delgobo M., Weiß E., Ashour D., Richter L. et al.: Myocardial Milieu Favors Local Differentiation of Regulatory T Cells, in: Circulation Research 2023
Sattler S., Ramos GC, Ludewig B., Rainer P: Cardioimmunology: the new frontier!, in: European Heart Journal 2023
Le Gouge K., Ashour D., Heinrichs M., Stys P. et al.: A distinct T cell receptor signature associates with cardiac outcome in myocardial infarction patients, in: medRxiv 2023 (pre-print)
Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Ingrid Ladner, Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-Mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at