Es geht noch grüner
Plastik ist als Produkt des Alltags in Verruf geraten. So endet das Plastiksackerl allzu oft nach einmaliger Verwendung in der Umwelt und findet sich als Mikroplastik in Flüssen, im Meer und erwiesenermaßen im tierischen und menschlichen Körper wieder. Auch in der CO2-intensiven Produktion ist dringender Handlungsbedarf gefordert, um das Klima zu schonen und Verbesserungen auf mehreren Ebenen im Lebenszyklus eines Polymers zu erreichen.
Im Rahmen des EU-Projekts FlexFunction2Sustain arbeiten die Forscherinnen und Forscher des Instituts MATERIALS - Institut für Oberflächentechnologien und Photonik der JOANNEUM RESEARCH daran, bioabbaubare UV-härtende Prägelacke und nachhaltige Stempelwerkzeuge für die Nanostrukturierung von Folien zu entwickeln, die oft der optischen Funktionalisierung oder Veredelung von Produkten oder als Sicherheitsmerkmale dienen. Ziel ist es, wesentliche Verbesserungen in der nachhaltigen Produktion eines Plastikprodukts, wie auch im Recycling, beziehungsweise der biologischen Abbaubarkeit am Ende des Lebenszyklus eines Produkts vorzunehmen. JOANNEUM RESEARCH MATERIALS mit Standort Weiz ist einer von 19 europäischen Partnern, die wesentlich daran beteiligt sind, Materialien und Verpackungen aus Plastik (Polymer) sowie deren Herstellungsprozesse nachhaltiger zu gestalten. Das Projekt läuft bis 2024 und hat ein Gesamtprojektvolumen von rund 16 Millionen Euro. Das ist Forschung am Puls der Zeit zum Nutzen für die Allgemeinheit, für Mensch, Umwelt und Natur.
Green Deal
Das im "Green Deal" erklärte Ziel der Europäischen Union ist es, die Kunststoffindustrie nachhaltiger zu gestalten, was in drei verschiedenen Bereichen passieren soll. Zum einen sollen Recyclingmöglichkeiten verbessert und damit der Anteil wiederverwerteter Verpackungsmaterialien erhöht werden. Außerdem sollen Polymere so formuliert sein, dass sie bioabbaubar, beziehungsweise kompostierbar sind. Zu guter Letzt will man Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnen.
Was steckt in Verpackungen aus Plastik?
Getränkebecher, Salatschalen, Menüboxen, Tragetaschen, Spritzen und Ähnliches aus Polymeren haben vielfältige Eigenschaften. Sie schützen vor Feuchtigkeit und Schmutz, sind hygienisch, auslaufsicher und damit praktisch für unterwegs, um Essen to go zu transportieren. Verpackungen bestehen meist aus mehreren Schichten Plastik, genauer gesagt Plastiklaminaten, was das Recycling erschwert oder sogar unmöglich macht. So wird das Rezyklat, das Rohgranulat, mit dem sich neue Produkte herstellen lassen, durch eine Vielzahl an Stoffen verunreinigt. In der Folge können damit nur noch minderwertige Stoffe, wie das Plastiksackerl, erzeugt werden, was als Downcycling bezeichnet wird.
Forschungsgruppenleiterin Barbara Stadlober erklärt: "Im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist der Recyclingaspekt bei den verschiedenen Polymeren wichtig. Laminate bestehen oft aus verschiedenen Grundstoffen, daher sind sie schwer zu trennen. Der Trend ist homogene Bestandteile auf beispielsweise Polyethylenbasis zu verwenden, um die gleichen Eigenschaften mit einem einzelnen Polymer zu erzielen und keine Laminate zu verwenden. Dann hat man später das Auftrennungsproblem nicht. Abhilfe schafft die Anwendung verschiedener Nanocoatings, die an unserem Standort Weiz und bei Projektpartnern gemacht werden. Der Vorteil ist, dass diese beim Recyceln wegen ihrer extrem geringen Schichtdicke nicht ins Gewicht fallen. Wenn einzelne Schichten nur ein paar Nanometer dünn sind, zählen sie nicht als zweite Komponente." Die verschiedenen minimalen Schichten im Nanometerbereich (ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters) werden benötigt, um gewünschte Produkteigenschaften wie Sauerstoff- und Feuchtigkeitsbarriere sowie Leichtigkeit zu gewährleisten. Zusätzlich können lichtblockende und sogar antivirale und antibakterielle Funktionalität hinzugefügt werden.
Was ist der Beitrag von MATERIALS?
In diesem Projekt liegt die Verantwortung der Forscherinnen und Forscher der JOANNEUM RESEARCH darin, neue bioabbaubare UV-härtende Prägelacke zu formulieren und Stempelwerkzeuge anzufertigen, womit die Strukturen für die Nanobeschichtungen geprägt werden. Der Prägeprozess selbst wird ebenso am Standort Weiz durchgeführt. Dabei ist es essenziell, dass die Materialien zusammenpassen, die neuen UV-Lacke auf der Folie haften bleiben, der Prägeprozess selbst feinabgestimmt ist und damit die Kompatibilität von Materialien und Prozess gegeben ist. Die nachhaltige Substrat-Folienherstellung übernehmen andere Partner, zum Beispiel aus recyceltem PET oder aus nachwachsenden Rohstoffen.
"Ein Beispiel aus unserem Haus ist der Druck von schillernden Hologrammen für einen großen österreichischen Hersteller von Sicherheitsmerkmalen für Banknoten. Aber auch andere Firmen setzen diese auffälligen Hologramme auf ihren Verpackungen ein, simpel als Hingucker", erläutert Stadlober. Wissenschaftlicher JOANNEUM-RESEARCH-Projektleiter und "Alchimist" Dieter Nees beschreibt den Prozess so: "Das Hologramm ist kein Farbstoff, das ist einfach eine Rauigkeit, die Schillereffekte ergibt. Das findet man als Sicherheitsstreifen auf Geldscheinen, auf Zigarettenverpackungen und auf vielen Produkten, um sie ansprechender zu gestalten; es ist ein Eye-Catcher. Solche Sicherheitsmerkmale und ein Schillern für den rein optischen Effekt können wir bei uns prägen. Wir nehmen eine klassische Plastikfolie, bringen einen UV-Lack, also einen lichthärtenden Lack auf, prägen diesen, härten ihn aus - dann kommt ein Hologramm heraus." Prägen heißt, mit einem Stempel Oberflächen-Strukturen in ein Polymer abzuformen. Für gewöhnlich werden Kunstharze verwendet, welche allerdings bisher immer erdölbasiert waren. "Ziel ist es, auf biobasierte Materialien umzustellen. Diese können beispielsweise aus Zucker, Stärke oder pflanzlichen Ölen (beispielsweise Soja oder Rizinus-Öl) hergestellt werden. Oft sind diese biobasierten Polymere auch biologisch abbaubar. Das wäre der beste Fall, wenn wir für ein Produkt kein Erdöl benötigten. Denn das macht uns unabhängig von Mineralölimporten, und obendrein wird im gesamten Produkt-Lebenszyklus kein zusätzliches CO2 emittiert", führt der Forscher weiter aus.
Die Folien selber, die Barriere-Eigenschaften haben, werden von anderen Instituten entwickelt. Auf die bioabbaubaren Grundfolien werden in der Folge verschiedene Nanometer dünne Schichten mit dem neuen bioabbaubaren Lack aufgetragen, um die Reißfestigkeit zu verbessern, antivirale, antibakterielle und eventuell lichtblockende Eigenschaften hinzuzufügen. Das ist jetzt zwar noch Zukunftsmusik, aber in vier Jahren, am Ende der Laufzeit des Forschungsprojekts sollte das die gelebte Realität des Herstellungsverfahrens sein.
Green Electronics: Services für die Nachhaltigkeit
Die Projektleiterin Barbara Stadlober erklärt: "Eigentlich geht es im Projekt darum Services aufzubauen, die am Ende in marktfähige Produkte einfließen. Das Service, neue bioabbaubare Folien zu entwickeln und diese am Ende recyceln zu können. Neue biobasierte Lacke zu formulieren, die nicht auf erdölhaltigen Harzen basieren." Diesen Entwicklungsprozessen gehen viele Lernprozesse und Erfahrung mit speziellen zukunftsweisenden Technologien voraus, wie das Rolle-zu-Rolle-Nanoimprinten (R2R-NIL). Das Institut MATERIALS verwendet bereits seit einigen Jahren eine Rolle-zu-Rolle-Anlage für den Druck beziehungsweise das Prägen von Mikro- und Nanostrukturen auch für Anwendungen in der gedruckten Elektronik. Diese Strategie passt bereits ideal in die Nachhaltigkeitsthematik dieses EU-geförderten Projekts hinein. "Die Prägung der Lackstrukturen erfolgt bei Raumtemperatur, ihre Aushärtung mit energiesparendem LED-Licht. Insgesamt ist bei dieser Herstellungsart der Energieverbrauch vor allem wegen der niedrigen Temperaturen weit geringer als beispielsweise bei einer klassischen Siliziumhalbleiterproduktion, auch wird kein Wasser zur Kühlung benötigt. Deswegen nennt man mit Rolle-zu-Rolle-Verfahren hergestellte elektronische Schaltungen nicht umsonst "Green Electronics", führt die Physikerin weiter aus.
Es geht aber noch grüner: "Diese Idee, die vor drei bis vier Jahren am Institut geboren wurde, ist unser Steckenpferd; nämlich, dass wir wegkommen wollen von den klassischen Polymerfolien, die wir in vielen Projekten für den Druck an der Rolle-zu-Rolle-Anlage verwenden, und in Richtung recycelte, kompostierbare oder aus nachwachsenden biobasierten Rohstoffen wie z.B. Maisstärke, Kartoffeln, oder Holzabfällen hergestellte Folien gehen wollen. CO2-Emission ist ein großes Thema: Wir wollen die Ersten sein, die in der Nanoimprint-Lithografie rein biobasierte Materialien verwenden, wobei kein überschüssiges CO2 erzeugt wird."
Lebenszyklusanalyse
Sukzessive hat das Institut MATERIALS versucht, die gesamte Prozesskette zu schließen. Weitere Kompetenzen werden durch die EU-Projektpartner abgedeckt, wie beispielsweise das Life Cycle Assessment (LCA) zur Entwicklung und Validierung von Strategien für Recycling- und Kompostierung. Ziel ist es, Plastikprodukte zu entwickeln, die sich in eine Kreislaufwirtschaft einfügen. Das französische Institut IPC (Innovation Plasturgie Composites) hat sich darauf spezialisiert zu erforschen, welche Arten von Plastik sich gut recyceln, auftrennen, und kompostieren lassen und entwickelt auch neue Granulatformulierungen als Rohstoffe für kompostierbare Folien. "Bei neuen Produkten wird es immer wichtiger werden, dass man die gesamte Lebenszyklusanalyse mitliefert und somit das Ende eines Produkts nicht nur mitdenkt, sondern auch konkrete Daten, Entsorgungs- beziehungsweise Recyclingstrategien und eventuell sogar Zertifikate dazu liefert. Hier ergeben sich Handlungsrichtlinien für die zukünftige Forschung. Wir brauchen nicht durch diverse Regularien dazu gezwungen werden. Es ist unser eigenes Interesse, möglichst nachhaltig zu arbeiten", ist Barbara Stadlober überzeugt.
Zielstrebig wird diese Vision nach und nach umgesetzt. Gelingen wird das in diesem Open-Innovation-Test-Bed und einem Netzwerk an europäischen Partnern, das Quellen für nachhaltige Grundmaterialien eröffnet. "Wir hoffen, bis zum Projektende ein Netzwerk an Partnern verfügbar zu haben, von dem wir wissen, dass wir Polymerfolien erhalten, die für Mikro und Nanostrukturierungen geeignet sind, die das Prägen und Aushärten aushalten und sich nicht verziehen. Und die trotzdem entweder recycelbar oder bioabbaubar sind", gibt sich die Forschungsgruppenleiterin optimistisch.
Consumer Awareness stärken
Dieses Forschungsprojekt will auch das Bewusstsein der Verbraucher erhöhen und bestimmte Informationen beispielsweise zur Mülltrennung der Öffentlichkeit bereitstellen. Barbara Stadlober macht bewusst: "Aktuell ist der Ruf von Plastik schlechter, als es tatsächlich ist. Oft steckt fehlendes Wissen dahinter. Wenn man eine Stofftasche, eine Papiertasche und eine Plastiktasche vergleicht, ist die Umweltbilanz der Plastiktasche die Beste, nur wegwerfen darf man sie nicht sofort, sondern muss sie mindestens dreimal wiederverwenden. Eine Papiertasche benötigt bei der Herstellung u.a. sehr viel Wasser und schneidet auch in der CO2-Bilanz schlecht ab. Plastik ließe sich gut recyceln, es gehört nur eingesammelt statt weggeworfen, dann wäre die Ökobilanz viel besser. Die Produktion von Textiltragetaschen aus Baumwolle ist CO2-intensiv. Man muss die Stofftasche 30 bis 50-mal verwenden, damit die Bilanzen vergleichbar werden. Für jede Tragetasche gilt, je länger sie verwendet wird, desto besser ist es für die Umwelt."
Projektkoordinator ist das Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP, Dresden.
Mehr Informationen:
https://flexfunction2sustain.eu/
Rückfragehinweis: Mag.a Dr.in Barbara Stadlober JOANNEUM RESEARCH MATERIALS Hybridelektronik und Strukturierung Telefon: +43 664 602876-3100 E-Mail: barbara.stadlober@joanneum.at Franz-Pichler-Straße 30, 8160 Weiz Austria