"Der digitale Mensch. Zur Interkonnektivität auf allen Ebenen"
All unsere Lebensbereiche sind heute mit digitalen Medien durchdrungen. Wir wachen bereits mit dem Wecker des Handys, einem multifunktionalen Allround-Gerät auf, schauen vor dem Start in den Tag zuerst nach den letzten Tweets, Mails, Fotos auf Instagram und vor allem auch natürlich, wer was warum und vor allem mit wem auf Facebook teilt. Und sind wir ehrlich, eigentlich geht der Tag so weiter, nämlich digital.
Nachdem wir es dann, vielleicht begleitet von Musik oder den aktuellsten News oder beidem aus ebensolchem Handy bis zur Arbeit geschafft, und in der Zwischenzeit mehrere dringliche Fragen, die über WhatsApp kamen, beantwortet haben - nur um weitere zu erhalten - schalten wir den Computer ein, der uns mit einer Fülle an Informationen überhäuft. Unter Mediatisierungsdruck (Anm.: sozialer und kultureller Wandel durch die Durchdringung des Alltags mit Medien) geraten, haben wir uns vielleicht ebenso selbstredend digital vernetzt, vorher noch die Schritte gezählt, die wir zur Arbeit zurückgelegt haben, denn auch das Messen, Dokumentieren, und natürlich vor allem das Veröffentlichen und Vergleichen ist für den ein oder anderen zum bestimmenden wie auch belastenden Lebensinhalt geworden. Körperoptimierung im digitalen Zeitalter ist für viele, wie eben auch die digitale Kommunikation an sich, ein "Muss", zwingend, dringend, ubiquitär, allgegenwärtig, omnipräsent und vor allem, so scheint es, unerlässlich, um mitzuhalten in einer individualisierten und konkurrenzorientieren Welt.
Hinzu kommt: In der heutigen mediatisierten, postindustriellen, postmodernen Digitalgesellschaft ist der globale Informationsfluss zu einer fundamentalen, treibenden Kraft und einem integralen Bestandteil des Alltags geworden. Neue Technologien durchdringen den Alltag auf persönlicher, gesellschaftlicher und globaler Ebene. Innerhalb mediatisierter Umgebungen sind sowohl einzelne als auch systemische Akteure und Handlungen interdependent miteinander permanent verknüpft (Döveling & Knorr 2018). Diese Interkonnektivität der digitalen Kommunikation steht in direktem Zusammenhang mit technischen und kulturell-gesellschaftlichen Entwicklungen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene. So wird unser Zuhause "smart", wir sprechen mit Alexa, "die" dafür sorgt, dass genügend Hundefutter gekauft wird, und die richtige "Playlist" am Abend läuft. Smart-Home-Infrastrukturen offerieren mit einer Vielfalt an Bedienelementen neue Möglichkeiten, Menschen in ihrem Alltag zu begleiten und ihnen zu helfen, ihnen Aufgaben, ja sogar auch ihre Präsenz abzunehmen. Auf der Ebene der Gruppen sind wir vernetzt mit Freunden, die sich für die gleichen Themen interessieren, und interessanterweise erhalten wir zu genau diesen Themen Amazon-"Kauf-Empfehlungen". Medientechnologische Fortschritte bewirken und beschleunigen zudem aber auch globale Emotionalisierungs-, Informations- und Entscheidungsprozesse.
Diese zunehmende Interdependenz von Mensch und Technologie stellt Herausforderungen an die Analyse der digitalen Handlungsräume im Zeitalter von Krisen, Terrorangst, Fake News, Big Data, Cyber-Mobbing, Rechtspopulismus und steigenden Bilderfluten. Interaktionslogiken sowohl auf individueller als auch auf systemischer Ebene verändern sich, neue Handlungs- und Spielräume in sozialen Netzwerken entstehen. Die permanente Interkonnektivität von digitalisiert-sozialem Handeln ist dabei immer mit alltäglichen Prozessen offline verbunden und wirkt auf diese. Konnektivität und Digitalisierung sind "all around": Durch die digitalen Medien wird Kommunikation zeit- und raumunabhängig. Wir handeln, posten, tweeten, liken international und das beinahe in Echtzeit. Dies stellt uns vor Herausforderungen, denn der Mensch im digitalen Zeitalter ist nicht nur in regionale und länderspezifische Strukturen involviert, sondern durch die digitalen Medien auch permanent an globalen Prozessen beteiligt. Mehr noch: Er gestaltet diese aktiv mit.
Der vernetzte Mensch agiert in einem Netz der Kommunikation, Information und Emotion und das auf mehreren Kanälen, in unterschiedlichen Lebensbereichen und verschiedensten digitalen Räumen nahezu in Echtzeit. Was machen solche Prozesse mit uns? Diese Frage treibt mich an und stand im Zentrum der Thematik der von mir initiierten und geleiteten internationalen Konferenz "Global Mediatization Research and Technology. Findings, Challenges and International Perspectives in the Digital Age". Denn: Die meisten Studien, die es zu den Auswirkungen der Mediatisierung gibt, befassen sich mit einem Land bzw. einer bestimmten Kultur. Ich will aber wissen: Wie können wir angesichts der zunehmenden globalen Digitalisierung kulturübergreifend und -vergleichend derartige Prozesse erfassen und verstehen? Dazu wollte ich mit den Kolleginnen und Kollegen, die aus aller Welt zur Tagung anreisten, weiterdenken.
Gibt es etwa durch die Digitalisierung Homogenisierungstendenzen? Ich vermute sehr stark, dass dies der Fall ist, aber man sollte genauer untersuchen, wann es diese gibt. Obwohl jedes Individuum natürlich von seiner eigenen Kultur geprägt ist, scheint es so, dass vor allem sogenannte Medienereignisse, global betrachtet, ähnliche Reaktionen auslösen. Im Fall von Krisen kann ein Hashtag sehr schnell durch die ganze Welt wandern. In solchen Fällen werden wir sehr schnell zu einem kollektiven digitalen Dorf, einem Welt-Dorf sozusagen. Aber auch die Prozesse der Digitalisierung im Alltag in unterschiedlichen Ländern zeigen ähnliche kulturübergreifende Tendenzen, etwa permanent online sein zu müssen, durch den Einfluss von Facebook, Twitter, WhatsApp und Co. Die im "Vor-digitalen Zeitalter" noch vorhandenen Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit, von Beruf und Familienleben, von Inszenierung und Realität, von Zeit und Raum schwinden.
Zugleich vermitteln uns digitalen Medien mittlerweile auch Gefühlsnormen: Passiert etwas, wie etwa ein Anschlag, hat man den Eindruck, man müsse ein Zeichen setzen, weil man ja zu den "guten" Menschen gehören will. In gewisser Weise hat man bei solchen Ereignissen mitzufühlen oder dieses Gefühl zumindest zu zeigen. Auf der anderen Seite signalisiert man dabei aber auch etwas ganz Wichtiges. Eine Vergemeinschaftung, etwas, das für den Menschen rein anthropologisch sogar essenziell ist. Das gemeinsame digitale Zeigen von Betroffenheit und Erschütterung zum Beispiel erfüllt aber auch diese Funktionen: In der post-modernen, digitalen Welt, die zunehmend von omnipräsenter Individualisierung, Informatisierung, Terrorgefahr, Klimakatastrophen, Krisenherden und Kriegen aus den Fugen zu geraten scheint ist, bestärken wir uns durch das Internet, dass wir nicht alleine sind. Das kollektive Weltdorf bietet uns einen scheinbaren, aber durchaus gefühlten Schutz, mit all dem nicht allein zu sein. Digitalisierung zeigt sich also in den unterschiedlichsten Formen.
Wir stehen vor wichtigen Herausforderungen, denn es ist nahezu unmöglich, alles, was an digital-technologischem Fortschritt passiert, auch zeitnah umfassend zu untersuchen. Diese Entwicklungen sind so rasant und die Datenmengen (Thema Big Data) und ihre Auswirkungen auf uns alle sind so immens, dass wir es kaum schaffen werden, einen Gesamtblick zu gewinnen.
Aber genau deswegen sollten wir uns alle und zwar auch Disziplinen-übergreifend in einem internationalen Diskurs hiermit beschäftigen und es ist mein persönlicher Ansporn, diese Herausforderung ambitioniert anzugehen und zum Verständnis dessen beizutragen, was sich durch unsere Handlungen mit und in digitalen Medien permanent verändert.
Service: Aktuelle Studie zum Thema: http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2056305117743141
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