Eltern und Lehrer müssen fit für die digitale Welt werden
"Medienkompetenz ist eingebettet in eine größere kommunikative Kompetenz - und damit eigentlich Alltagskompetenz", erklärt die Kommunikationswissenschafterin Ingrid Paus-Hasebrink von der Universität Salzburg im Gespräch mit APA-Science. Sie plädiert dafür, junge Menschen beim Umgang mit dem Internet mit wohlwollendem Interesse zu begleiten und weist auf die dringende Herausforderung hin, insbesondere auch die Erwachsenen - also Eltern und Lehrer - fit für die digitale Welt zu machen.
Paus-Hasebrink, Professorin für Audiovisuelle Kommunikation und Leiterin der Abteilung für Audiovisuelle und Online-Kommunikation am Fachbereich Kommunikationswissenschaft, beschäftigt sich als Leiterin der EU-Kids Online-Studie - das Forschungsnetzwerk arbeitet bereits seit 2006 zusammen, mittlerweile läuft die vierte Projektphase - seit Jahren mit der Wahrnehmung von Risiken und Chancen von Heranwachsenden im Internet. "Inzwischen läuft das Projekt auch außerhalb der Europäischen Union, etwa auch in Russland, Brasilien oder Australien. Jeder Abschlussbericht enthält einen breiten Teil an 'political recommendations', zudem halten wir Vorträge und publizieren viel. Wir weisen darauf hin, welche Akzente in den verschiedenen Ebenen wie Politik, Schule, im Bereich der Elternbildung oder auch bei den Kindern selbst gesetzt werden sollten", so die Forscherin, die derzeit im Rahmen eines Sabbaticals am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg tätig ist.
Medienkundige Lehrer in allen Fächern
Heute müsse sich ein Mensch in einer stark von Digitalisierung und Konvergenzprozessen geprägten Alltagswelt zurechtfinden. "Das setzt voraus, dass man Medien bedienen - also beispielsweise mit Plattformen umgehen - kann, aber das setzt auch voraus, dass man die Chancen erkennt, aber auch die Risiken, und mit ihnen klarkommt", erklärt Paus-Hasebrink. Den Grundsatzerlass Medienerziehung des Bildungsministeriums findet die Wissenschafterin gut, in den Schulen habe sich schon einiges getan, "wenn auch noch längst nicht genug". Das Querschnittsthema Medienkunde zu einem eigenen Unterrichtsfach zu machen, befürwortet sie ganz und gar nicht. "Das kann man nicht in eine Ecke bzw. ein eigenes Fach abschieben - mediale Kommunikation, ihre vielfältigen Angebote und Dienste und die Frage, wie man sie klug nutzen kann, spielen ja, ob das in Deutsch oder Geografie ist, überall mit hinein. Das setzt natürlich voraus, dass Lehrer im Umgang mit digitalen Medien selbst kompetent sind", stellt sie fest.
Deshalb müsse man bei der Lehreraus- und -weiterbildung ansetzen, befindet sie. "Oft liegt dem Widerstand eine Angst zugrunde, dem nicht ganz gewachsen zu sein und 'noch eine Verantwortung' umgehängt zu bekommen. Wir haben im Rahmen eines Forschungsprojekts zu 'Lernen mit Web 2.0' zunächst etwa einen Workshop für Lehrer und Lehrerinnen über den Einsatz von Blogs, Wikis oder Youtube im Unterricht abgehalten, bevor die Schüler und Schülerinnen diese in einer Projektwoche genutzt haben. Als Feedback war von den Lehrpersonen ganz oft zu hören, sie hätten Sorge, nicht mehr diejenigen zu sein, die wissen, wo es langgeht", erklärt sie. Fakt sei aber, dass die jüngere Generation mit den technischen Neuerungen der nächsten Generation immer sehr viel besser zurechtkomme als die Älteren, "das hat jetzt nicht alleine etwas mit Medien zu tun".
Eltern sind zu blauäugig
Ängste bei Lehrern und Erziehern abzubauen, sei wichtig, aber auch die Elternbildung dürfe man nicht vergessen. "Es hat sich gezeigt, dass österreichische Eltern hier im Vergleich zu europäischen und insbesondere deutschen Eltern eher blauäugig und vertrauensselig agieren, nach dem Motto: 'Wird schon nix passieren'", so ihre Erfahrung. Österreichische Kinder würden sehr viel häufiger von wahrgenommenen Risiken im Netz berichten als ihre Eltern. "Ein hoher Anteil der Eltern hierzulande interessiert sich vergleichsweise wenig für die Internetnutzung ihrer Kinder und begleitet sie dabei nur wenig", führt die Expertin weiter aus. Hier gelte es, die Eltern zu einer stärkeren aktiven Begleitung des Online-Handelns ihrer Kinder zu animieren und ihr Bewusstsein sowohl für die Risiken als auch die Chancen des Internet zu schärfen, betont sie.
Erwachsene sollten versuchen, Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen und sich an ihren Interessen orientieren. "Kinder wollen schon Hilfe und Begleitung, aber keine Beobachtung oder gar Bespitzelung", erklärt die Forscherin, die auch seit elf Jahren an einer Langzeitstudie zur Mediensozialisation sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher arbeitet. "Mein Rat ist, Kinder von klein auf zu stärken: Starke Kinder, die sich auch wehren können, können am ehesten mit Risiken im Netz umgehen. Sie sind auch diejenigen, die etwas ausprobieren - und dann, wenn ihnen etwas entgegenkommt, sich Hilfe suchen, etwa bei Peers", erläutert sie. "Risiken sind Teil unseres Lebens - aber wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen keine Schäden davontragen", meint sie. Haben Kinder mehr Resilienz, lassen sie sich auch nicht so leicht erschrecken: "Wenn ein Kind überhaupt keinen Kontakt mit riskanten Inhalten hat, 'Barbie' in eine Suchmaschine eingibt, sich vertippt und auf einer Pornoseite landet, ist das furchtbar." Wichtig sei, dass das Kind in so einer Situation nicht allein gelassen werde - "viel hängt davon ab, was im Elternhaus geleistet wird", so Paus-Hasebrink.
Sozialer Hintergrund beeinflusst Medienumgang
Die formale Bildung, aber auch der soziale Hintergrund und die sozioökonomische Ausstattung einer Familie seien maßgeblich für den Umgang mit digitalen Medien verantwortlich, habe sich in einer großen Studie in Deutschland zum Heranwachsen mit dem Social Web gezeigt. Insgesamt habe sich aber ein rudimentäres Wissen verbreitet, "dass nicht alles geht - Stichwort Sexting oder Mobbing - auch wenn insbesondere formal schlechter gebildete junge Menschen annehmen, dass dies schlicht zur Internetnutzung dazugehört und man mal Opfer, mal Täter ist", führt die Kommunikationsexpertin aus. Was Privatsphäre und Datenschutz anbelangt, zieht sich übrigens das sogenannte "Privacy Paradox" quer über alle Bildungsschichten: es bedeutet, im Grunde weiß man, dass man aufpassen muss - "aber es geht ja so schnell, sich auszutauschen und letztlich ist mein Nutzen im Moment größer als der Schaden, der in Kauf genommen wird", erklärt die Forscherin.
Medienkompetenz spiele auch bei der "nicht ganz von der Hand zu weisenden" wachsenden Wissenskluft in der Gesellschaft eine Rolle. Mit dem Ausdruck "Wissenskluft" ist die Expertin vorsichtig: "Man spricht heute von 'second digital divide'. Diese Bezeichnung legt nahe, dass nicht nur der technische Zugang zu digitalen Medien, sondern auch die Ressourcen zur gesellschaftlichen Teilnahme über Medien ungleich verteilt sind - ebenso wie, und damit aufs engste verflochten, die sozialen und kulturellen Ressourcen bei unterschiedlichen sozialen Gruppen", erklärt sie. Faktum sei: Je besser gebildet und je besser eingebettet sich ein Mensch in die Gesellschaft fühlt, umso besser könne er mit all diesen Herausforderungen umgehen. Paus-Hasebrink: "Wer die digitalen Medien durchschaut, kann sich auch einmal bewusst über gewisse Regeln hinwegsetzen. Aber den Kindern nicht beizubringen, mit Medien kompetent umzugehen, können wir uns als Gesellschaft eigentlich nicht leisten."
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science