Critical Making - Tüfteln mit Verantwortung
Ein um den Hals getragenes smartes Gerät kann für Krankenhauspersonal sehr nützlich sein - aber auch sehr gefährlich. Dass das bereits in einer sehr frühen Phase erkannt wurde, ist dem Ansatz des Critical Makings zu verdanken, den das Austrian Institute of Technology (AIT) im Rahmen mehrerer Projekte erforscht.
Ziel war, tragbare Elektronik zu konstruieren, um Krankenschwestern und Krankenpflegern durch Wearables das Leben zu erleichtern. "Mit unserer ersten Idee, einer Smartwatch, sind wir sehr schnell auf Probleme gestoßen - etwa im Hinblick auf Hygienebestimmungen. Denn die Unterarme müssen frei von Schmuck sein", erklärte Georg Regal vom Center for Technology Experience des AIT im Gespräch mit APA-Science. Daraufhin beschloss man, das Krankenhauspersonal im Rahmen eines Workshops selbst einen Prototypen entwerfen und bauen zu lassen - mit Karton, Klettband und diversen anderen Materialien.
Abgesehen von den Krankenhausvorschriften zeigte sich, dass das Display einer Smartwatch ohnehin viel zu klein gewesen wäre, um alle relevanten Informationen anzeigen zu können. Also dachte man an eine Lösung, die um den Hals getragen wird. "Da kam das Feedback von Personen, die auf psychiatrischen Stationen arbeiten, dass das im Hinblick auf aggressive Patienten nicht so klug wäre. Durch den gemeinsamen Gestaltungsprozess und das frühe Reflektieren waren solche Probleme sehr schnell erkennbar", sagte Regal.
Rahmen für Co-Design und Prototyping
Die Grundidee des Critical Makings sei, dass man "critical thinking" und "physical making" kombiniert und so die Lücke zwischen kreativer, physischer und theoretisch konzeptioneller Erforschung schließt. Indem man zusammen entwickle, werde klarer, welche Probleme auftreten könnten und welche Auswirkungen das hätte. Der von Mark Ratto im Jahr 2008 formulierte Ansatz bilde quasi einen Rahmen um Themen wie Co-Design, Open Innovation, Design Thinking und Prototyping. Der gemeinsame Konstruktions- und Herstellungsprozess werde genutzt, um zu reflektieren und gesellschaftliche Probleme zu lösen.
"Unter anderem wird Critical Making auch gerne bei sozialen Themen wie beispielsweise Prothesenentwicklung für Menschen mit Behinderung eingesetzt, wo auch Begriffe wie Empowerment reinspielen", so der Wissenschafter. Ziel der Maker-Szene sei es oft, ein konkretes Problem zu lösen, indem etwas produziert wird. "Das spannende beim Critical Making ist, dass man einen Schritt zurückgeht und sagt: Der finale Prototyp ist eigentlich nicht das Ziel, sondern bis zu einem gewissen Maße der Weg dorthin", erklärte Regal.
Gemeinsames Bauen und Reflektieren
Im Rahmen eines anderen Projekts wurde daran gearbeitet, bewegungsfördernde Spiel-Objekte für blinde und sehbehinderte Schüler zu gestalten, da diese im Vergleich zu sehenden Menschen weniger aktiv sind. Konkret sollte in mehreren Workshops herausgefunden werden, wie das durch spielerische Aspekte und eine entsprechende Gestaltung unterstützt werden könnte. Zuerst wurden Werk- und Turnlehrer befragt und Brainstorming-Workshops mit Schülern durchgeführt. Daraufhin entwickelte man Würfel, die digitale Funktionen - Sound, Vibration, und so weiter - haben, und die mit Klettband kombiniert werden können.
"Mithilfe dieser Bausteine haben wir gemeinsam mit den Schülern spannende Spiele entwickelt. Da sich aus den Würfeln sehr schnell Prototypen zusammenbauen ließen, konnte man die Spiele einerseits gleich ausprobieren und andererseits in der Diskussion mit den Schülern auch gleich hinter andere Probleme blicken", erläuterte Regal. Der Teil der Kinder und Jugendlichen, die keine Blindenschule besuchten, sondern am Regelunterricht teilnahmen, fand die Spiele zwar cool, war aber skeptisch, was das Interesse und die Akzeptanz ihrer sehenden Mitschüler betrifft. "Die wollen eigentlich nur die ganze Zeit Völkerball spielen", hieß es beispielsweise.
Theoretisch-abstrakte Diskussionen reichen nicht
"Das war ein wichtiger Input, weil man auf dem aufbauen und reflektieren kann, wie inklusive Spiele gestaltet werden müssen", so Regal. Durch das gemeinsame Bauen der Objekte sei man in der Diskussion auf ganz andere gesellschaftliche Ebenen, eben Barrierefreiheit, Inklusion und soziales Zusammenspiel, gekommen. Mit theoretisch-abstrakten Überlegungen würde man das nicht erreichen. "Wesentlich bei diesen Makingprozessen ist, dass aktiv gestaltet und nicht nur Feedback gegeben wird. Also nicht, dass wir als Forscher etwas bauen und dann den Schülern präsentieren", strich der Experte hervor.
Die schwach ausgeprägte Bekanntheit der Methodik und des Begriffs sei noch eine gewisse Hürde. "In der Maker-Szene ist das noch nicht so stark angekommen. Vielleicht fehlt da ein bisschen der theoretische Unterbau", meint der Forscher. Dabei sei eine kritische Reflexion über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Makings in der Maker-Szene durchaus relevant, beispielsweise auf der Umweltebene, wenn beim 3D-Druck viel Plastikmüll anfällt. "Unsere Erfahrungen mit Maker Spaces zeigen, dass durchaus über das eigene Wirken kritisch nachgedacht wird, aber vielleicht nicht unter dem Begriff Critical Making", sagte Regal.
Größeres Interesse an dem Thema sei inzwischen auch in der Industrie feststellbar. Einerseits werde das als ein spannendes Absatzfeld gesehen, etwa im Bereich der Mikroelektronik zur Smart Home-Steuerung, wo man eine Verankerung des Produkts in der Zielgruppe anstrebe. "Andererseits wird versucht, den Input aus der Maker-Szene, was Innovation betrifft, zu nutzen und da am Ball zu bleiben. Es ist erkannt worden, dass gewisse Schöpfungsprozesse auch von einer anderen Ebene kommen können", so der Forscher.
Von Stefan Thaler / APA-Science