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Das Comeback der Psychedelics

Sie verändern das Bewusstsein auf profunde Weise und können bei psychischen Krankheiten helfen: Nach Jahrzehnten der Verbannung sind Psilocybin, LSD & Co. wieder ein wachsendes Forschungsthema.
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Psychedelika sind in der einen oder anderen Form vermutlich schon seit Tausenden Jahren in Gebrauch. Der Altertumsforscher Brian Muraresku greift in seinem Werk „The Immortality Key“ etwa die These auf, dass mit einem Bestandteil des Mutterkorn-Pilzes versetztes Bier den Besuchern der Mysterien von Eleusis im antiken Griechenland zu Nahtod- und visionären Erfahrungen verholfen haben könnte. Dieses Wissen könnte über den gesamten Mittelmeerraum tradiert worden sein und habe auch das Urchristentum stark beeinflusst, so Muraresku. Mit archäobotanischen und  -chemischen Belegen und nach einer exzessiven Spurensuche in Archiven und Museen erweckt er die Hypothese, Psychedelika hätten einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der westlichen Zivilisation gehabt, zu neuem Leben.

Muraresku beruft sich auf das Forschertrio Carl Ruck, Gordon Wasson und Albert Hofmann, das Ende der 1970er-Jahre gemeinsam das Buch „The Road to Eleusis” herausgegeben hatten, ihre Annahmen aber damals noch nicht untermauern konnten (siehe Interview Ein Trip ins Jenseits und Zurück). Mit den beiden letzteren beginnt üblicherweise jede moderne Erzählung über die Entdeckung von Psychedelika, obwohl das nur zum Teil wahr ist (siehe „Vom Meskalin – Prototyp des Psychedelischen“). Während der Schweizer Albert Hofmann 1938 im Rahmen seiner Forschung zum Mutterkorn Lysergsäurediethylamid (LSD) herstellte, 1943 aus Versehen dessen psychedelische Wirkung entdeckte und danach einen Selbstversuch anstellte, machte sich Wasson auf die Jagd nach Magic Mushrooms. Fündig wurden der US-amerikanische Bankier und seine Frau in Mexiko, wo sie 1955 eine einheimische Schamanin an einer Pilzzeremonie teilnehmen ließ.

1957 wurde über ihre Erfahrungen im „Life-Magazin“ im Artikel „Seeking the Magic Mushroom” ausführlich berichtet, wodurch Wasson und die Zauberpilze quasi über Nacht berühmt wurden. Wasson sandte Hofmann eine Probe und der Schweizer Chemiker identifizierte Psilocybin als deren Hauptwirkstoff, der im Körper zu Psilocin umgewandelt wird. LSD und Psilocybin wurden in den 1950ern und 1960ern für die Forschung entdeckt und erfolgreich zur Unterstützung für Psychotherapien oder Alkoholsucht eingesetzt.

Auf einen Blick
  • In den USA und vereinzelt in Europa haben sich bereits eigene Psychedelika-Forschungszentren gebildet, in Österreich tut sich noch wenig.
  • Klinische Studien untersuchen Anwendungen gegen Depressionen, Angststörungen oder Suchtkrankheiten
  • Psychedelische Renaissance: Vorsicht vor Hype und erneuter Stigmatisierung
Facts

Einige wichtige Forschungszentren:

Johns Hopkins Psychedelic Research

Imperial College London, Centre for Psychedelic Research

Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS)

Usona Institute

MIND Foundation

Psychedelika im Überblick

Der Begriff „Psychedelics“ geht auf einen Schriftverkehr des Psychiaters Humphrey Osmond mit dem Schriftsteller Aldous Huxley zurück und setzt sich aus den griechischen Wörtern für Seele (psyche) und „offenbar, offenkundig“ (delos) zusammen (Näheres zur Begrifflichkeit siehe „Vom Meskalin…“). Zu Psychedelika gehören (Quelle: DocCheck Flexikon):

  • Wirkstoffe aus der Gruppe der Phenylethylamine, u.a. Meskalin
  • psychoaktive Substanzen wie halluzinogene Tryptamine und verwandte Indolalkaloide: Ergin (LSA), Psilocybin, Psilocin, LSD oder Dimethyltryptamin (DMT). Diese halluzinogenen Tryptamine weisen eine große strukturelle Ähnlichkeit mit dem Neurotransmitter Serotonin auf.
  • bestimmte Dissoziativa, sofern eine ausreichend hohe Konzentration gegeben wird. Dazu gehören Wirkstoffe wie Salvinorin A und Ketamin

Doch als LSD quasi aus dem Labor entkam und als Partydroge entdeckt wurde, war der Anfang vom Ende der ersten Ära der Psychedelics eingeläutet. Niemand personifizierte diese Zeit stärker als der Harvard-Dozent Timothy Leary, der rasch vom Psychologen und Forscher zum selbsternannten LSD-Guru mutierte und jedem, der es hören wollte, kundtat, es ihm gleichzutun („Turn on, tune in, drop out“). Die Antikriegs-Bewegung und der Sommer der Liebe jagten den Entscheidungsträgern einen gehörigen Schreck ein und 1970 war der Spuk zumindest offiziell wieder vorbei. Als „Schedule-I“-Substanzen eingestuft, also als süchtig machend und ohne medizinischen Nutzen, kam die Forschung um die bewusstseinserweiternden Substanzen zum Erliegen – für Jahrzehnte.

Eindeutig lässt sich die Frage nach dem Zeitpunkt des Wiederaufloderns der psychedelischen Forschung nicht beantworten. Als wichtige Pionierarbeit gilt jedenfalls eine Studie, die 2006 an der Johns Hopkins Universität vom Psychopharmakologen Roland Griffiths durchgeführt wurde und gezielt mystischen Erlebnissen unter Einfluss von Psilocybin auf der Spur war. Gut zwei Drittel der Teilnehmer an der ersten doppelblinden, Placebo-kontrollierten klinischen Studie seit Jahrzehnten reihten das Experiment noch Monate später unter die fünf wichtigsten Erfahrungen ihres Lebens. Unter der Leitung von Griffiths hat das Center for Consciousness and Psychedelic Research seitdem eine namhafte Liste an Publikationen hervorgebracht.

Wie Psychedelika wirken

Psychedelika haben eine aktivierende Wirkung auf den 5HT2A-Serotoninrezeptor und lösen so eine Veränderung des Bewusstseins (etwa die sensorische Wahrnehmung, die Stimmung, das Denken und das Ich-Bewusstsein) aus. Im Unterschied zum Rausch (z.B. durch Alkoholkonsum) ist der Betroffene dabei hellwach und die Sinne sind sogar noch geschärfter.

 

Diese Schärfung der Sinne führt dazu, dass sensorische Reize (z.B. Farben, Formen, Töne) viel stärker wahrgenommen werden als sonst und ineinander übergehen können. Auch Halluzinationen sind möglich. Wie die Wirkungen am Rezeptor zustande kommen, ist aktuell Gegenstand der Forschung (siehe Gastbeitrag „Psychedelika by Chance…“).

Psilocybin gegen schwere Depressionen

In Europa ist das Imperial College London der wichtigste psychedelische Knotenpunkt. Aufbauend auf mehr als zehn Jahre entsprechender Forschung wurde dort 2019 ein eigenes Centre for Psychedelic Research ins Leben gerufen. Unter der Leitung des Neuropsychopharmakologen David Nutt und vor allem auch des Psychologen Robin Carhart-Harris wurden etwa klinische Studien durchgeführt, die auf schwer depressive Patienten abzielten. Laut den Forschern erlaube die Droge den Betroffenen, festgefahrene negative Denkmuster zu durchbrechen (siehe David Nutt: „Mushrooms sind gekommen um zu bleiben).

Anders als bei der Gabe von traditionellen Psychopharmaka hält der positive, stimmungsaufhellende Effekt von Psilocybin selbst bei einer einzigen Dosis noch nach Monaten an. Nutt und sein Team konnten nun mit Gehirnscans erstmals bildlich festhalten, wie ein Antidepressivum dauerhafte Effekte im Gehirn auslöst. Eine Publikation der Ergebnisse in „Nature Medicine“ steht laut Nutt kurz bevor, wie er gegenüber APA-Science erklärte: „Wir können eine physiologische Veränderung sechs Monate nach der Behandlung mit Psychedelika nachweisen, die mit einer verbesserten Stimmung korreliert und diese erklärt.“

Psilocybin unter der Lupe

In Österreich gibt es zumindest in der Datenbank des Wissenschaftsfonds FWF (Stand Februar 2022) nur ein Projekt, das sich mit Psilocybin beschäftigt. In einem Kooperationsprojekt zwischen FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sehen sich ein Team um Bernhard Rupp (MedUni Innsbruck) und Dirk Hoffmeister (Universität Jena) die molekularen Strukturen der Enzyme, die an der natürlichen Herstellung von Psilocybin im Pilz beteiligt sind, mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse genauer an.

 

„Wenn wir die Strukturen der Enzyme kennen, dann können wir sie auch verändern“, sagte Hoffmeister, der 2017 eine Arbeit zur enzymatischen Basis von Psilocybin publizierte, auf Anfrage von APA-Science. Ziel des bis 2024 laufenden Projekts ist es laut den beiden Forschern, Psilocybin biotechnologisch herstellen zu können.

Aufsehen erregte auch eine im Vorjahr erschienene Studie des Imperial-Teams, die zeigte, dass Psilocybin zur Behandlung von Depressionen Escitalopram, einem zugelassenem und wirksamen Antidepressivum, zumindest ebenbürtig ist (siehe auch Gastbeitrag „Psychedelika by chance…“). Neben Depressionen sieht Nutt große Potenziale für Psychedelika-unterstützte Therapien vor allem bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Suchterkrankungen, aber auch zum Beispiel bei Magersucht oder Zwangsstörungen.

LSD und MDMA

Während sich die Forschung oft um Psilocybin dreht, ist etwa in der Schweiz auch das ähnlich wirkende LSD nicht in Vergessenheit geraten (siehe „LSD – eine therapeutische Alternative“). Der Schweizer Psychiater Peter Gasser hat etwa 2007 nach mehr als 30 Jahren die erste LSD-Studie mit Patienten gestartet und therapiert Patienten auch mit MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin; „Ecstasy“). Potenzial für MDMA gebe es vor allem bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) mit schlechten Behandlungsaussichten.

Rechtliche Hürden

Nach dem Inkrafttreten des Controlled Substances Act 1971 kam die Psychedelika-Forschung weitgehend zum Erliegen, denn deren Einstufung in die höchste Risikostufe „Schedule I“ spricht den Substanzen jeden medizinischen Nutzen ab. Das wirkt bis heute nach und blockiert auch in Österreich das Anbieten psychedelischer Therapien und die Forschung (siehe „Psychedelika in klinischen Tests – bitte warten!“). „Psilocybin ist in Österreich auch als Suchtgift klassifiziert, was für mich nicht rational nachvollziehbar ist“, sagt etwa Matthäus Willeit von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Psychedelika würden keine Sucht auslösen, sondern könnten im Gegenteil helfen,  Suchtverhalten für andere Stoffe zu vermindern.

Die Suchtgift-Gesetzgebung nennt der Mediziner „vollkommen irrational“. Eine zusätzliche Hürde stellt die „gute Herstellungspraxis“ (englisch: Good Manufacturing Practice, GMP) dar, die eine Reihe von Qualitätsmerkmalen für Wirksubstanzen auferlegt. GMP-konformes Psilocybin gibt es jedoch weder in Österreich noch in einem anderen EU-Land zu kaufen. In diesen strengen Regulierungen ortet auch der britische Experte David Nutt einen Grund für die kaum vorhandene Forschung in Österreich und Deutschland. In Österreich kommt in der Therapie das bereits zugelassene Medikament Esketamin zum Einsatz, das im Molekülaufbau mit Ketamin identisch ist. Ob das Narkotikum zu den Psychedelika zählt, ist zwar nicht unumstritten, bei der Behandlung hartnäckiger Depressionen gibt es aber Erfolge zu vermelden (siehe „Per Trip zur psychischen Gesundheit?“).

Microdosing und Neuro-Enhancement

Mit Aufkommen der psychedelischen Renaissance rücken auch Einsatzgebiete außerhalb des klinischen Umfelds in den Fokus. So wird etwa ein positiver Einfluss von Psychedelika auf die Kreativität vermutet, und unter dem Begriff „Neuro-Enhancement“ werden psychoaktive Stoffe gezielt dazu eingesetzt, die intellektuelle und kognitive Leistung günstig zu beeinflussen (siehe „Psychedelische Substanzen und Neuro-Enhancement“).

Bei allen möglichen positiven Wirkungen darf nicht auf die Schattenseiten des Konsums psychedelischer Drogen vergessen werden (siehe „Höhenflug und Höllentrip“). Kurt Fellöcker, Leiter der Studiengänge „Mental Health“ sowie „Suchtberatung und Prävention“ der Fachhochschule St. Pölten, sieht dabei eine geringe Gefahr einer psychischen Abhängigkeit, größer sei dagegen die Vergiftungsgefahr.  Auch sind psychische Störungen wie Schizophrenie oder bipolare Störungen Kontraindikationen für die Anwendung von bewusstseinserweiternden Substanzen. Fazit: Psychedelika sollten weder verteufelt, noch verharmlost, sondern als Werkzeuge gezielt eingesetzt werden.

Trips mit Kontrolle

Ob Renaissance oder Revolution, Expertinnen und Experten mahnen zur Vorsicht, wenn es um die Zukunft der Psychedelics geht. Die Sozialwissenschafterin Claudia Schwarz-Plaschg, die im Rahmen des von der europäischen Kommission geförderten Marie Skłodowska-Curie Projekts „ReMedPsy“ die Medikalisierung, Entkriminalisierung und Legalisierung von Psychedelika in den USA untersucht hat, resümiert (siehe untenstehenden Podcast sowie den Gastbeitrag „Trippen ohne Überwachung und Strafen?„): „Psychedelika sind ein echter Hype. Aber wir müssen vorsichtig sein, nicht zu ‚high‘ zu werden und am Boden zu bleiben. Was alle Forscher und Aktivisten der Zivilgesellschaft vermeiden wollen ist, das Debakel der 1960er zu wiederholen, als Politiker wie US-Präsident Richard Nixon Psychedelika stigmatisierten, um engstirnige politische Ziele zu erreichen und politische Gegner und marginalisierte Gruppen einzusperren. Die ganze Welt leidet unter den Konsequenzen. Um Psychedelika wieder sicher in die Gesellschaft zu bringen, müssen wir die Fakten mit den riesigen Erwartungen abwägen, die auf diese faszinierenden Substanzen projiziert werden. Um zu den Fakten zu kommen, brauchen wir die Wissenschaft.“

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