No Brain, no Gain
Österreichs Forschungslandschaft macht ein intellektueller Aderlass zu schaffen: Brain Drain statt Brain Circulation. Was tun? APA-Science hat nachgefragt.
Es ist ein altbekanntes Problem: Wissenschafter werden im Inland ausgebildet, gehen aber um zu arbeiten und zu forschen anschließend ins Ausland. Zahlen gibt es dazu keine - es lasse sich nicht genau fest machen, was ein "kluger Kopf" eigentlich sei, und ab wann wirklich von einem "Brain Drain" die Rede ist, so Jürgen Janger vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Da die Attraktivität österreichischer Einrichtungen im Vergleich zu beispielsweise der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich oder der Universität Cambridge, abgesehen von kleineren Einrichtungen wie dem Institute of Science and Technology (IST) Austria oder dem Institut für Molekulare Pathologie (IMP), nicht auf Augenhöhe liege und es viele Beispiele hervorragender österreichischer Wissenschafter gebe, die wegen besserer Bedingungen im Ausland tätig sind, könne man trotzdem eine Abwanderung vermuten.
Welche Schritte unternehmen Österreichs universitäre und außeruniversitäre Spitzenforschungsinstitutionen, um diesem Abfluss kluger Köpfe entgegenzuhalten? Wie kann man als Forschungsunternehmen die Attraktivität als Arbeitgeber steigern?
Tenure-Track-Modell
"Indem wir nach Exzellenz in der Forschung streben", heißt es in einer Stellungnahme der Universität Wien. Voraussetzung für diese Exzellenz sei es, "kluge, kreative und fleißige Menschen zu gewinnen und zu halten". Die Uni Wien setzt bei den Jungen an und versucht, Dissertanten, Post-Docs und Co durch ein Tenure-Track-System zu gewinnen, also die Aussicht auf eine Professur oder Stelle auf Lebenszeit nach einer Bewährungsperiode.
Auch am IST Austria, das oft als österreichisches Paradebeispiel einer Wissenschaftseinrichtung genannt wird, erhalten Professorinnen durch ein solches System nach einer fünfjährigen Probezeit die Möglichkeit auf eine unbefristete Professur. "Dieses US-Karrieremodell macht das IST Austria vor allem in Mitteleuropa sehr attraktiv. In den letzten zehn Jahren wurden so aus über 11.000 Bewerbungen 54 Professorinnen und Professoren rekrutiert", betont Heidemarie Binishofer vom Personalmanagement. Damit die besten Köpfe uneingeschränkt die Möglichkeit bekommen, am IST zu forschen, werden Bewerberinnen und Bewerber rein nach ihrer Qualifikation und nicht nach einem vorab definierten Spezialgebiet ausgewählt: "Bewerben sich in einem Jahr gute Physiker/innen, werden gute Physiker/innen angestellt. Sollte sich im darauffolgenden Jahr niemand aus der Physik bewerben, wird nicht speziell gesucht, sondern qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Fächern erhalten das Angebot, hier ihre Forschungsgruppe aufzubauen."
Früh übt sich
Eine durchgängige Karriereperspektive ist laut einem Monatsbericht des Wifo von 2018 ein sehr wichtiger Faktor für die Arbeitsplatzwahl junger Wissenschafter - im Austausch für Forschungsautonomie und Karriereperspektiven würden sogar Einkommenseinbußen in Kauf genommen werden. Aus diesem Grund fördert man am Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größter angewandter Forschungseinrichtung, "den Wechsel zwischen Karrierewegen und Rollen" und bietet so "Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihre persönliche berufliche Weiterentwicklung bewusst zu gestalten", wie es vonseiten des AIT heißt. Am AIT setzt man auch auf Talenteförderung schon vor Beginn der wissenschaftlichen Karriere in Form von Schnuppertagen oder Töchtertagen, um Schülerinnen und Schüler für das eigene Unternehmen zu begeistern.
Auch am VRVis - Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung - ist Nachwuchsförderung ein fixer Bestandteil der Recruiting-Strategie, also "früh Studierende oder Bachelorarbeiten zu uns holen und über kleine Projekte und individuelles Mentoring langsam aufbauen". Diese und weitere Maßnahmen (siehe dazu den Gastkommentar von Geschäftsführer Gerd Hesina) wie Diversitätsförderung und Niederschwelligkeit bei Ausschreibungen haben seit 2017 zu mehr Bewerbungen und zu einem deutlich gestiegenen Frauenanteil beim wissenschaftlichen Personal geführt.
Internationale Konkurrenz
Das Berufsbild eines Wissenschafters zeichnet sich unter anderem durch eine hohe Mobilität aus - und diese verläuft oft einseitig, denn es besteht "auch für Österreich das Risiko einer asymmetrischen Mobilität von jungen, talentierten Forschenden", wie es im Wifo-Bericht heißt. Trotz aller Bemühungen kommt es also weiterhin zu einer Abwanderung talentierter Wissenschafter.
Der Konkurrenzkampf ist dementsprechend international. An der Universität Wien kommen rund zwei Drittel aller neuen Professuren aus dem Ausland. Besonderes Augenmerk legt die Universität aus diesem Grund auf ein möglichst breites Fächerangebot. Dabei sei einerseits wichtig, Wissenschaftern die Möglichkeit zu bieten, in Nischen zu forschen, die sonst nur selten angeboten werden (Sinologie oder Afrikanistik gibt es beispielsweise österreichweit nur hier), und andererseits Kompetenz in förderwürdigen, gesellschaftlich relevanten Themengebieten zu demonstrieren. Im Herbst 2018 wurden an der Universität Wien 73 neue Professuren in zukunftsträchtigen Entwicklungsfeldern wie "Data Science & Digital Humanities" oder "Quanten und Materialien" ausgeschrieben.
An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geht man häufig den Weg der Doppelberufung: Wenn eine leitende Position einer Forschungsgruppe besetzt werden soll, wird neben der Gruppenleitung auch eine Professur an einer Universität angeboten. Das soll die Stelle attraktiver machen und Synergien zwischen Unis und ÖAW ermöglichen.
Um sich gegen andere Forschungsinstitutionen international behaupten zu können, setzt auch die Universität für Angewandte Kunst auf Vernetzung: Forschungsprojekte werden gemeinsam mit weltweiten Partnern von Singapur bis Los Angeles umgesetzt und auch im internationalen Raum präsentiert. Besonders wichtig ist die Unterstützung ihrer Forscherinnen und Forscher bei Projekten. Ein eigenes Zentrum "Fokus Forschung" soll Forschenden Projektanträge und -durchführung erleichtern.
Blick über den Tellerrand
Besonders benötigt werden - neben den vielverlangten Expertinnen und Experten im naturwissenschaftlich-technischen Bereich (Stichwort MINT) - laut ÖAW "Menschen mit Doppelexpertise: in ihrem jeweiligen Fach und in Informatik. Angesichts der sogenannten "Grand Challenges", mit denen unsere Gesellschaften konfrontiert sind, wie Klimawandel, Digitalisierung, oder Biotechnologien, müssten zudem Ausbildungen gefördert werden, die Kreativität, vernetztes Denken und den Blick über den Tellerrand ermöglichen. Damit man diese klugen Köpfe anschließend nicht wieder ans Ausland verliere, sei auch die Politik gefragt, um die Attraktivität Österreichs als Forschungsstandort weiter auszubauen und aus "Brain Drain" eine "Brain Circulation" zu machen.
Von Anna Riedler / APA-Science