Blatt: "Quantencomputer ist kein Alleskönner"
Der Quantenphysiker Rainer Blatt von der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) diskutiert bei den Alpbacher Technologiegesprächen mit Kollegen über die Zukunft des Quantencomputers. Im APA-Interview gibt er einen realistischen Ausblick und warnt er vor einer Überbewertung des Hypes um den Quantencomputer sowie vor dem Verlust der Unabhängigkeit der Wissenschaft.
Frage: Sie diskutieren bei den Alpbacher Technologiegesprächen über mögliche künftige Anwendungen von Quantencomputern, wobei im Programm komplexe digitale Materialentwicklung oder eigenständige Analyse medizinischer Bildgebung genannt werden. Wie weit ist diese Zukunft entfernt?
Blatt: Solche Ankündigungen versprechen zu viel in zu kurzer Zeit und sind dann sehr schnell falsch. Der Quantencomputer ist eine revolutionäre Technologie, aber die Frage ist, wann diese Revolution kommt. Das Problem ist, dass viele nicht verstehen, dass ein Quantencomputer kein Alleskönner ist, um klassische Computer zu ersetzen - das wird er nie im Leben tun.
Frage: Wo wird er dann seine Überlegenheit ausspielen?
Blatt: Es gibt ein paar Probleme, die sind so hartnäckig, dass sie sich einer Lösung auf dem klassischen Computer verwehren. Ein paar Algorithmen sehen hier sehr vielversprechend aus, an denen kann man zeigen, dass Quantencomputer in der Tat besser sind. Dazu gehören gewisse Optimierungs- und Signalverarbeitungsverfahren. Alles, dem das Wellenbild der Quantenmechanik zugrunde liegt, geht besser. Natürlich ist ein Fernziel die Materialwissenschaft mit der Berechnung von Materialeigenschaften, vielleicht sogar die Chemie, etwa für pharmakologische Stoffe. Aber davon sind wir weit, weit weg.
Frage: Wie erklären Sie sich dann die Begeisterung für den Quantencomputer?
Blatt: Es gibt derzeit einen Hype und das liegt daran, dass jeder weiß, wie stark klassische Computer in den letzten 50 Jahren unsere Welt revolutioniert haben. Und jetzt geht man davon aus, dass Quantencomputer das in den nächsten 50 Jahren noch einmal tun. Das mag gut möglich sein, ist aber in dieser Weise nicht vorhersagbar. Ich warne deshalb davor, diesen Hype überzubewerten. Wir müssen die Welle reiten, aber wir dürfen uns als Wissenschafter davon nicht erdrücken lassen. Es besteht die Gefahr, in dieser Welle nicht mehr links oder rechts rauszukönnen, weil man getrieben wird vom Geld, der Meinungsmache, den Erwartungen der Förderagenturen und Politikern. Damit verlieren wir zu einem gewissen Teil unsere Unabhängigkeit und die Motivation, out-of-the-box zu denken. Wir dürfen nicht zu viel versprechen, aber den Leuten einen realistischen Ausblick geben.
Frage: Wie ist Ihr realistischer Ausblick?
Blatt: Es werden sicher einige revolutionäre Dinge herauskommen, aber die können vielleicht ganz woanders sein, als nur in dieser Rechentechnik. Wir werden in weiterer Zukunft tatsächlich Probleme angehen in der Chemie, in der Materialwissenschaft, usw., aber dazu muss man erst einmal die Hardware richtig entwickeln und davon sind wir noch weit weg.
Frage: Was ist notwendig, um zu dieser Zukunft zu kommen? Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich hat kürzlich versucht, es mit "wir brauchen viele Qubits und gute Qubits" (die Informationseinheiten des Quantencomputers, Anm.) auf den Punkt zu bringen.
Blatt: Das ist sicher ein wichtiger Teilaspekt, aber ich sehe das noch umfassender. Es geht um ein ganzheitliches System. Ich verteidige diesen ganzheitlichen Ansatz gerade auch für das neue Programm "Quantum Austria" und in meiner Funktion beim "Munich Quantum Valley" (Blatt koordiniert die mit 300 Mio. Euro ausgestattete Initiative Bayerns, Anm.). Die Ziele werden gerne nur auf die Verfügbarkeit von Demonstratoren und Hardware-Plattformen reduziert. Aber das ist nicht das einzige, da gibt es sehr viel mehr. Auch wenn wir viele Qubits mit hoher Güte haben, stellt sich die Frage, was fangen wir denn damit an. Denn die Art mit dem Quantencomputer zu rechnen, ist ganz anders als am klassischen Rechner und da hinken wir noch sehr hinterher.
Frage: Ihr Kollege Peter Zoller hat kürzlich gemeint, von einem "skalierbaren, ultimativen, fehlertoleranten, programmierbaren Quantenrechner" sei man noch "meilenweit entfernt". Was fehlt also noch zu dem von Ihnen geforderten ganzheitlichen System?
Blatt: Wir sind derzeit in der Ära von "noisy intermediate-scale quantum devices". Um diese zu überwinden, müssen wir daran gehen, Fehlerkorrekturen und Fehlervermeidungsprotokolle zu machen, die diesen Namen auch verdienen. Wir müssen Daten anders kopieren, anders schützen und anders bearbeiten. Ziel muss sein, ein Qubit so lange am Leben, also kohärent, zu erhalten, wie der Rechenvorgang läuft. Alle Details dazu sind weltweit zwar prinzipiell einzeln gelöst, aber das in einer einzigen Maschine zum Laufen zu bringen, wurde bisher nicht demonstriert.
Dazu braucht man Technologie, die die Universitäten nicht mehr liefern können, weil wir weder die Maschinen, noch die Ingenieure haben. Wir benötigen dringend technologische Kapazitäten, die die Industrie zur Verfügung stellen kann. Was es auch noch braucht sind Verfahren zur Verifikation und Validierung, die zeigen, dass ein Quantenrechner tatsächlich mehr kann als ein klassischer Rechner.
Frage: Es gibt verschiedene Methoden, um Qubits zu realisieren. Ist der Wettkampf der Plattformen schon entschieden?
Blatt: Der ist nach wie vor weit offen und ich hoffe, dass noch andere Plattformen dazu kommen. Angeblich haben supraleitende Qubits die Nase vorn - angeblich deswegen, weil sie (Google mit seinem 53 Qubit-Prozessor, Anm.) behaupten, "quantum supremacy" zu haben. Diesen Quanten-Vorteil muss man aber erst einmal sinnvoll zeigen. Googles Entwicklung ist ein Meilenstein, aber sie können nicht zeigen, dass tatsächlich alle 53 Qubits ständig miteinander verschränkt sind, weil die Werkzeuge dafür fehlen. Ist das nicht der Fall, gibt es keinen Quanten-Vorteil.
Frage: Sie erwähnten bereits das neue, mit 107 Mio. Euro dotierte Förderprogramm "Quantum Austria". Zudem startet die Exzellenzinitiative, wo es wohl auch ein "Center of Excellence" für Quantenphysik geben wird. Die Rahmenbedingungen in Österreich scheinen derzeit nicht schlecht zu sein?
Blatt: Mit "Quantum Austria" und der Exzellenzinitiative sind wir gut aufgestellt, paritätisch zu Deutschland und anderen Ländern mit ähnlichen Initiativen. Ich habe viele dieser Dinge mit angestoßen. Wünschenswert wäre es, im Rahmen der D-A-CH-Initiative in Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam Anträge zu stellen, aber national zu finanzieren. Die Exzellenzinitiative wird in erster Linie den Universitäten zugutekommen. Die Standorte in Österreich sind jeder für sich ganz gut aufgestellt, aber es muss gemeinsam etwas mehr daraus werden. Die Frage ist, wie sich an dieser Stelle die 107 Mio. Euro von "Quantum Austria" einbauen. Hier muss das Geld komplementär eingesetzt werden, also nicht einfach noch einmal oben darauf. So sollte man versuchen, diese notwendige technologische Unterfütterung zu machen, damit auch eine Firmeninfrastruktur entsteht, Ansiedlung von Start-ups, usw., damit wir eine Quanten-Wissensbasis in Österreich bekommen, die ihresgleichen in Europa sucht.
(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)
(Diese Meldung ist Teil einer Medienkooperation mit dem AIT - Austrian Institute of Technology)