"Wie ehrlich ist die Wissenschaft?"
Der Wissenschafter Daniele Fanelli hat in einer Metastudie 2009 über 20 Studien zusammengefasst, in welchen Forschende (anonymisiert) befragt wurden, ob sie selbst schon einmal Daten gefälscht oder erfunden haben bzw. ob sie schon einmal Kollegen dabei beobachtet haben. Während nur 1 bis 2 Prozent zugeben, dass sie es wissentlich selbst schon gemacht haben, sind es zumindest 14 Prozent, die sagen, dass sie andere dabei beobachtet haben.
Beim Fälschen bzw. Erfinden von Daten ist man schon am "schlimmsten" Ende der Skala, was in der Wissenschaft falsch laufen kann. Nach dieser - aber auch anderen - Studien gibt es durchaus gängige, vor allem auch fragwürdige oder inakzeptable Praktiken, die von einer großen Menge an Forschenden zumindest hin und wieder ausgeführt werden (bei Fanelli et al bis zu 70 Prozent). Dazu zählen z.B. das Verschönern oder sogar Weglassen von Daten, damit diese besser zur eigenen Hypothese passen. Auch dabei werden andere (nicht nur Forschende) in die Irre geführt.
Es braucht einen spektakulären Fall
Die großen und spektakulären Fälle, die auch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen, führen meist dazu, dass erst dann im jeweiligen Land oder an der jeweiligen Institution nach einer Einrichtung gerufen wird, die sich mit diesen unerfreulichen Dingen beschäftigt. So war es in vielen europäischen Ländern. Auch in Österreich hat ein Artikel in Nature im Jahr 2008 - im Zusammenhang mit einem Fall an einer österreichischen Universität - beklagt, dass es keine nationale Einrichtung gibt, die Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens untersuchen könnte. Eine solche Organisation war zwar davor schon länger im Gespräch, aber dann wurde sie sehr schnell umgesetzt: Ende Dezember 2008 wurde die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität als Verein ins Leben gerufen. Während es damals 16 Mitgliedsorganisationen waren, sind es heute bereits 38. Dazu gehören alle öffentlichen Universitäten, eine Privatuniversität, Fachhochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Forschungsförderer.
Die ursprüngliche Idee war, dass Mitglieder Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens an die Agentur abgeben können, damit diese extern auf neutraler und unabhängiger Basis untersucht werden. Zu diesem Zweck wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die vor allem aus Nicht-Österreichern besteht, um die Unabhängigkeit zum österreichischen Wissenschaftssystem zu gewährleisten. Beratend steht den Mitgliedern der Kommission seit 2018 eine österreichische Juristin zur Seite. Seitdem die Kommission im Juni 2009 ihre Arbeit aufgenommen hat, hat sie bis Ende 2018 150 Anfragen untersucht. Bei über 70 Anfragen ging es um den Verdacht auf Plagiat, gefolgt von Autorschaftskonflikten (ca. 30), Datendiebstahl, Forschungsbehinderung und Datenfälschung (jeweils ca. 15). Die Zahlen sind natürlich nur ein Bruchteil der Fälle, die tatsächlich an den Forschungseinrichtungen auftreten, die Mitgliedsorganisationen können nämlich auch selbst untersuchen.
Prävention ist wichtig(er)
Während bei der Gründung der Agentur vor allem die Idee der Untersuchungskommission im Vordergrund stand, hat sich in den letzten Jahren immer mehr gezeigt, dass Prävention ein wichtiger Faktor ist. Die ÖAWI bietet seit 2010 auf Einladung ihrer Mitgliedsorganisationen Trainings zur guten wissenschaftlichen Praxis an. Mehr als 150 Vorträge und über 50 Workshops haben an österreichischen Forschungseinrichtungen stattgefunden. Das Zielpublikum ist breit: Vom Bachelorstudierenden zum Senior Scientist, von der Ombudsperson zum Forschungsmanagement, oder Lehrern, die vorwissenschaftliche Arbeiten betreuen, gibt es viele Fragen rund um das Thema wissenschaftliche Integrität. Darüber hinaus kann man sich auch von der Agentur beraten lassen: Oft geht es um Autorschaftskonflikte oder auch um die Frage, wie man eigene Vorarbeiten korrekt zitiert oder wiederverwendet. Viele der Fragen, aber auch viele der Anfragen an die Kommission, kommen von jungen Forschenden, die in Abhängigkeitsverhältnissen stehen. Aus unterschiedlichen Gründen wollen sie diese Fragen oder Probleme vor Ort nicht ansprechen.
Wenn man sich etwas wünschen könnte
Dann wäre Schluss mit Impact Faktor-Zählen! Der unnötige Fokus auf Quantität statt Qualität von Publikationen nimmt kein Ende, obwohl seit langem bekannt ist, dass sich das auf das Wissenschaftssystem insgesamt nicht positiv auswirkt. Es führt vor allem zu Stress und ungesunder Konkurrenz unter Forschenden. Anhand der Impact- oder auch Hirschfaktoren wird das Institutsbudget entsprechend aufgeteilt, hängt die nächste Förderung bzw. auch Beförderung ab; sogar die Reihenfolge der Beschreibung von Forschenden und ihrer Arbeitsgruppe im Institutsjahresbericht kann sich danach richten.
Dann wäre gute wissenschaftliche Praxis ein fixer Bestandteil in den Curricula sämtlicher Studien und zwar nicht einmalig, sondern immer wieder an geeigneter Stelle integriert. Gute wissenschaftliche Praxis ist kein zusätzliches "soft skill", so sollte Forschung eigentlich durchgeführt werden.
Dann hätten wir ein offenes Klima, in dem WissenschaftlerInnen auch über Fehler sprechen können.
Daniele Fanelli, How Many Scientists Fabricate and Falsify Research? A Systematic Review and Meta-Analysis of Survey Data
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0005738