Selbstvermessung: Wenn Daten verunsichern
Gastbeitrag --- Immer mehr Menschen tragen smarte Geräte am Handgelenk, in der Kleidung oder nutzen Sensoren in ihrer Wohnumgebung - in der Hoffnung, ihre Gesundheit besser zu verstehen und gezielt zu verbessern. Doch was, wenn die Sensoren etwas anzeigen, das man selbst nicht spürt? Und was passiert mit diesen sensiblen Daten, wenn sie über persönliche Nutzung hinausgehen? Forscherinnen und Forscher der Vorarlberg University of Applied Sciences (FHV) analysieren in verschiedenen langfristigen Feldstudien Fragen wie diese und kommen zu interessanten Erkenntnissen.
Selbstvermessung im Alltag: Was sagt der Sensor wirklich?
Was bedeutet "ausreichend Bewegung" oder "guter Schlaf" - und wie lässt sich das objektiv mit unaufdringlicher Sensorik erfassen? Diese und weitere Fragen zum Thema "Aufrechterhaltung der Gesundheit" untersucht das Forschungszentrum Human-Centred Technologies an der FHV in Feldstudien mit unterschiedlichen Zielgruppen, darunter Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter oder ältere Menschen. Zum Einsatz kommen hier tragbare Sensoren am Handgelenk oder Finger, in Kleidung oder Betten integriert sowie raumbezogene Messtechnologien. Diese erfassen rund um die Uhr Vitaldaten wie Herzaktivität, Schlafqualität oder Bewegungsmuster - oft über Jahre hinweg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten die Auswertungen sowie darauf basierende Empfehlungen, meist grafisch aufbereitet und leicht verständlich.
Denn das Ziel dieser Studien ist es, einerseits langfristige Veränderungen sichtbar zu machen, die durch sporadische Untersuchungen nicht erkannt würden und andererseits durch neue Technologien Ergebnisse so darzustellen und aufzuarbeiten, dass diese für die Nutzerinnen und Nutzer nachvollziehbar und motivierend bleiben. Ein zentrales Anliegen, denn die anfängliche Begeisterung für die Nutzung von Geräten zur Selbstvermessung nimmt oft rasch wieder ab.
Die unterschätzte Lücke zwischen Daten und Deutung
Wie gehen die Nutzerinnen und Nutzer nun mit den gewonnenen Informationen um? Viele von ihnen vertrauen anfangs stark auf die Technik - verlieren aber das Interesse, wenn sich die Ergebnisse nicht mit ihrem subjektiven Empfinden decken. So berichteten Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer etwa, dass eine gemessene Verbesserung der Schlafqualität nicht spürbar war. Die Daten waren objektiv korrekt, ohne den entsprechenden Kontext und die individuelle Kommunikation fehlte allerdings das Vertrauen in diese.
Um den Trend der Selbstvermessung weiter zu vermarkten, werden die Geräte von diversen Anbietern mit immer mehr Funktionen ausgestattet. Möglichkeiten zur Integration in soziale Medien werden geschaffen oder automatisierte Analysen durch das Hochladen von z.B. Fotos von Mahlzeiten ermöglicht. Dies birgt jedoch auch Risiken: Werden Daten von Nutzerinnen und Nutzern falsch gedeutet, kann das zu ungerechtfertigter Sorge oder einer falschen Gesundheitsoptimierung führen. Hier braucht es Expertinnen und Experten, die komplexe Informationen evidenzbasiert und zielgruppengerecht verständlich machen und die richtige Wahl der Darstellung von Messergebnissen finden.
Ethische Fragen: Wem gehören unsere Gesundheitsdaten?
Die gesammelten Daten liefern nicht nur individuellen Mehrwert - sie bergen auch gesellschaftliches Potenzial zur Prävention und Systemoptimierung. Doch genau hier ergeben sich sensible Fragen: Wer hat Zugriff auf diese Daten - und wofür werden sie verwendet? Was, wenn sie in die Hände von Versicherungen oder IT-Konzernen geraten und sich daraus Nachteile wie z.B. Leistungsverweigerung ergeben?
Die Forscherinnen und Forscher der FHV plädieren daher für transparente Regeln, ein starkes Datenschutzregime und ethische Begleitforschung. Denn die Vision eines datenbasierten Gesundheitssystems darf nicht in einem 'gläsernen Menschen' münden, der seine Gesundheitsvorsorge mit Unsicherheit bezahlt.
Das Forschungszentrum Human-Centred Technologies an der FHV arbeitet an Technologien, die den Menschen und seine Lebenswelt in den Mittelpunkt stellen - mit dem Ziel, digitale Gesundheitslösungen verständlich, sicher und wirksam zu gestalten.
Zur Person:
DI (FH) Walter Ritter ist seit vielen Jahren Wissenschafter am Forschungszentrum Human-Centred Technologies der Fachhochschule Vorarlberg. Seine Forschung - auch jene zu Wearables und stationären Sensorsystemen - vermittelt er sowohl als Hochschullehrer in den Studiengängen Informatik und Digital Innovation als auch in angewandten Projekten mit Partnern aus der Wirtschaft. In zahlreichen Studien zur Selbstvermessung hat er sowohl das große Potenzial als auch die Grenzen dieser Technologien kennengelernt. Er selbst zählt zu den überzeugten Selbstvermessern.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.