Mangelerscheinungen
"Gefühlt" fehlen Fachkräfte an allen Ecken und Enden. Wie groß ist der Mangel wirklich? Ein genauerer Blick lohnt.
"Mehr als vier von fünf Unternehmen in Österreich (83 Prozent) haben nach eigenen Angaben Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden, 30 Prozent der Unternehmen sogar erhebliche." Das Ergebnis dieser Studie der Unternehmensberatung EY vom März 2019, bei der 900 mittelständische Unternehmen befragt wurden, zeigt eine bekannte Tendenz der vergangenen Jahre auf. Außer Umfrageergebnissen wie diesen gab es für Österreich bisher aber keinen umfassenden Überblick, der auch auf statistische Daten zurückgreift.
Einen ambitionierten Versuch in diese Richtung hat die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) mit dem im Vorjahr erstmals erschienenen "Fachkräfteradar" unternommen. "Die Datenlage war schlecht und unbefriedigend", schilderte Margit Kreuzhuber, Referentin in der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit der WKO, gegenüber APA-Science die Ausgangslage, beim ibw (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft) eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben, der eine zweite Auflage für 2019 folgen soll.
"Ein relevanter Indikator ist der Stellenandrang, also das Verhältnis zwischen offen gemeldeten Stellen und Arbeitssuchenden im jeweiligen Beruf. Nur kann man nicht davon ausgehen, dass alle Betriebe ihre offenen Stellen dem AMS melden", so Kreuzhuber. Diese Tatsache hat sich im Studiendesign niedergeschlagen: Ergänzend zum ersten Teil mit Daten wie Stellenandrangzahlen des AMS und der "Offene Stellen"- Erhebung der Statistik Austria gibt es auch eine quantitative Unternehmensbefragung.
Fachkräftemangel verstärkt
Die so gebündelten Daten und Aussagen des aktuellen Fachkräfteradars ergeben ein recht eindeutiges Bild: Seit dem Jahr 2015 hat sich der Fachkräftemangel in Österreich in fast allen Berufsgruppen und Wirtschaftssektoren verstärkt.
Hochgerechnet fehlen in Österreich laut ibw-Umfrage vom Vorjahr 162.000 Fachkräfte. "Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl 2019 nochmals steigt", sagt Studienautor Helmut Dornmayr vom ibw - wobei diese Hochrechnung auf WKO-Mitgliedsbetrieben basiert. In den nächsten Jahren, so die Studienautoren, sei mit einer weiteren, sogar drastischen, Verschärfung des Fachkräftemangels und in der Folge mit einer Einbremsung von Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum zu rechnen.
Demografische Entwicklung als Hauptfaktor
Ein Hauptfaktor dafür sei in der demografischen Entwicklung zu sehen: einer zu erwartenden starken Zunahme der Pensionierungen und einer gleichzeitigen Abnahme bzw. Stagnation der Zahl der Personen im Berufseinstiegsalter. "Inwieweit dieser steigende Fachkräftemangel durch Anpassungen im Rahmen der Erstausbildung und einer breiten Ausschöpfung und Mobilisierung des im Inland vorhandenen Arbeitskräftepotenzials oder durch (vermehrte) Zuwanderung abgedeckt werden kann, ist nicht zuletzt eine Frage von politischen Entscheidungen und Strategien", heißt es in der Conclusio.
Was damit gemeint ist, zeigt ein Blick auf die Bevölkerungsprognose (Hauptszenario) der Statistik Austria. Demnach wird die Zahl der Personen im üblicherweise erwerbstätigen Alter (20- bis 60-Jährige) ab dem Langzeithöhepunkt 2018 (rd. 5,05 Mio.) bis 2030 um mehr als 250.000 Personen zurückgehen. Bei einem "radikal isolationistischen Szenario", also wenn es gar keine Zu- und Abwanderungen nach und von Österreich gäbe, wäre der Rückgang noch viel stärker - dann wäre die Zahl der 20- bis 60-Jährigen um 400.000 Personen niedriger.
Weitere wichtige Ergebnisse des Fachkräfteradars: Das seit gut 70 Jahren relativ kontinuierliche Beschäftigungswachstum in Österreich basierte bisher neben einem sukzessiven Wirtschaftswachstum auch auf einer kontinuierlichen Ausweitung des Arbeitskräfteangebots, das nun wiederum aufgrund der erwartbaren demografischen Entwicklung bedroht sei. Zusätzlich ergab eine Auswertung der Indikatoren zum Fachkräftebedarf auf Bundesländer- bzw. Bezirksebene erhebliche Unterschiede zwischen Regionen, vor allem zwischen Wien und West-Österreich (inklusive Oberösterreich). Während es etwa in Wien in manchen Berufen eine relevante Zahl an Arbeitslosen gibt, herrscht in westlichen Bundesländern ein eklatanter Fachkräftemangel vor.
IHS: Österreich steht gut da
Für den Arbeitsmarktexperten des Instituts für Höhere Studien (IHS), Helmut Hofer, steht Österreich im Vergleich zum wichtigsten Handelspartner Deutschland in Sachen Fachkräfte grundsätzlich besser da. "Dies liegt zum Teil auch an der Zuwanderung aus Osteuropa, die das Problem des Fachkräftemangels entschärft. Wir haben zwar seit einiger Zeit eine relativ konstant 'hohe' Arbeitslosenquote, gleichzeitig aber immer mehr Menschen in Beschäftigung - also neue Jobs, die zum Teil durch Zuwanderer besetzt sind." Was also tun? "Ohne Zuwanderung trocknet unser Arbeitsmarkt aus.
Was wir jedoch brauchen, ist eine qualifikationsorientierte Zuwanderungsstrategie - wir müssen attraktiv für Spitzenkräfte werden", so Hofer. Lediglich die Rot-Weiß-Rot-Karte zu attraktivieren werde laut IHS nicht ausreichen. Zur Erklärung: Die RWR-Karte wurde ab Mitte 2011 als Steuerungsinstrument für den Zuzug von Nicht-EU-Bürgern und -Bürgerinnen nach Österreich etabliert. Ziel war es, mittels eines Punktesystems vor allem qualifizierte Beschäftigte für den Arbeitsmarkt zu finden. Ausgegangen wurde von etwa 8.000 Personen, die jährlich eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten. Dieser Wert wurde bisher mit laut Wirtschaftsministerium im Schnitt rund 2.000 solcher Bescheide pro Jahr klar verfehlt.
Österreich mäßig attraktives Ziel
Für hochqualifizierte Arbeitskräfte und Studierende aus dem Ausland ist Österreich jedenfalls ein nur mäßig attraktives Ziel. Das zeigt die Studie "OECD Indicators of Talent Attractiveness" (Mai 2019), für die die Rahmenbedingungen in 35 OECDStaaten verglichen wurden. Bei der Anziehungskraft auf ausländische Unternehmer landet Österreich im vorderen Drittel. Neben den Einwanderungsgesetzen haben noch viele weitere Faktoren Einfluss darauf, wie attraktiv ein Land für hochqualifizierte Ausländerinnen und Ausländer ist. "Für Fachkräfte ist die Geschwindigkeit der Visa-Erteilung ein wichtiger Faktor, aber für viele Hochqualifizierte sind auch die Rahmenbedingungen für Partner und Kinder wichtig", so Stefano Scarpetta, OECD-Direktor für Arbeit, in einer Aussendung.
Berücksichtigt man die Einwanderungsgesetze und -praktiken, sind laut der Untersuchung für Unternehmerinnen und Unternehmer die klassischen Einwanderungsländer Kanada und Neuseeland sowie die Schweiz am attraktivsten, gefolgt von Schweden, Norwegen und Deutschland. Grund dafür sind laut OECD die geringen Hürden, um Unternehmen zu gründen und Jobs zu schaffen. Österreich landet auf Rang elf. Die Detailauswertung zeigt dabei: Bei den Möglichkeiten für Familienmitglieder kann sich Österreich zwar mit den attraktivsten Ländern messen. Schwächen gibt es allerdings bei Einkommen und Steuern, Zukunftsaussichten oder der Chance auf eine der Qualifikation entsprechende Arbeit.
Die größte Anziehungskraft auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Master- oder PhD-Abschluss haben dank der guten Berufschancen für Hochqualifizierte Australien, Schweden und die Schweiz, vor Neuseeland, Kanada, Irland, den USA und den Niederlanden. Deutschland belegt Rang zwölf, Österreich findet sich mit Rang 17 im Mittelfeld, mit denselben Stärken und Schwächen wie sie auch für Unternehmer gelten. Ebenfalls nur im Mittelfeld findet sich Österreich bei der Attraktivität für internationale Studierende (Platz 18 von 35). Besonders schlecht eingeschätzt werden hier die Möglichkeiten für Familienmitglieder, besonders gut die Inklusivität.
Mehr als Geld
Es geht aber im Kampf um Nachwuchstalente und Top-Absolventinnen und -Absolventen nicht nur darum, Fachkräfte aus dem Ausland anzuziehen, wie Experten immer wieder betonen, sondern sie auch mit attraktiven Anreizen zu halten. Für potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spielt Geld zwar eine wichtige, aber beileibe nicht die einzige Rolle, wie eine Umfrage des Wirtschaftsförderungsinstituts (WIFI) Wien und Marketagent.com ergeben hat. Von Bedeutung sind demnach neben einer "fairen Entlohnung/ Gehältertransparenz" auch, sich mit dem Unternehmen identifizieren zu können und dessen gutes Image - in dieser Reihenfolge.
Service:
WKO-Fachkräfteradar wko.at/fachkräfte
OECD-Studie "Talent Attractiveness" www.oecd.org/migration/talent-attractiveness
WIFI/Marketagent-Umfrage "War for Talents" (März 2019): http://go.apa.at/8Djqs8Kb
EY-Studie "Fachkräftemangel und Flüchtlingsintegration im österreichischen Mittelstand" http://go.apa.at/q0ZLh2vv