Virtueller Garn und biegsame Balken
Architekt_innen, die stabile Strukturen mit gekrümmten Fassaden entwerfen wollen, und Animationsdesigner_innen, die die Textur der Kleidungsstücke ihrer Charaktere aufpeppen wollen, können jetzt auf leistungsstarke Algorithmen aus der Visual Computing-Forschung des Institute of Science and Technology (IST) Austria zurückgreifen. Die Wissenschafter im Team von Chris Wojtan und Bernd Bickel wurden erneut eingeladen, ihre neuesten Ergebnisse auf der SIGGRAPH-Konferenz zu präsentieren.
Computersimulationen sind oft ein Kompromiss. Je mehr Details man einbezieht, desto mehr verstrickt man sich in langwierige Berechnungen, oder es wird teurere Hardware benötigt. Doch Chris Wojtan, Bernd Bickel und ihre beiden Forschungsgruppen am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) trotzen diesen Kompromissen. Sie haben raffinierte und leistungsstarke Algorithmen entwickelt, die es ermöglichen, gestrickte Stoffe mit faszinierenden Details zu animieren oder gekrümmte Komponenten für die Architektur zu entwerfen, wobei in beiden Fällen die Rechenzeiten gering bleiben. Diese Woche stellen sie ihre Ergebnisse auf der renommierten SIGGRAPH-Konferenz vor.
Leistungsstarke Textilanimationen
Die Berechnung des Verhaltens jedes einzelnen Fadens ist sehr rechenaufwändig. Letztes Jahr stellte Georg Sperl, Hauptautor der neuen Arbeit, eine effiziente maschenbasierte Simulation vor, die das Verhalten von Stricktextilien erfasst. Dabei wird die Stoffoberfläche in viele kleine, sich verformende und bewegende Dreiecke aufgeteilt. Dieses Gitter faltet und kräuselt sich dann nach den Gesetzen der Physik. Aber die naive Projektion eines flachen Strickmusters auf dieses Gitter erreicht nicht den gewünschten Effekt. "Dann fehlt die lokale Physik des Garns", fasst Sperl die Methoden hochgelobter Animationsfilme zusammen. Erst wenn man das lokale Verhalten von Garnknoten mit einbezieht, kann man das Zusammenziehen und Neuordnen von Fäden in Maschengeweben realistisch nachbilden. "Unsere Methode ist eine bessere Annäherung an das, was wirklich passiert."
Im ersten Schritt berechnet die neue Methode, wie ein winziges Stück des sich wiederholenden Strickmusters auf verschiedene Verformungen reagiert. Das ist wie das Erstellen einer Bibliothek von möglichen lokalen Bewegungen und Positionen der Fäden für ein bestimmtes Muster. Anschließend kachelt der Algorithmus diese Flecken auf das Gitter der maschenbasierten Simulation. Wenn ein gedrehter Ärmel animiert wird, dient jedes verformte Dreieck als Indikator, der dem Computer mitteilt, welche Garnverformung aus der vorberechneten Bibliothek dort platziert werden soll.
Das Verfahren ist zudem parallelisierbar. Das heißt die Bewegung der Garnsegmente kann gleichzeitig auf der Grafikkarte (GPU) nachgeschlagen werden. Das ermöglicht eine Animation in Echtzeit, selbst bei Millionen von Maschen. "Georgs Methode ist ein Weg, eine hochgradig realitätsnahe Simulation bis hinunter auf die Ebene des einzelnen Fadens durchzuführen", sagt sein Betreuer Wojtan, "und Kleidung hundert- oder tausendmal schneller zu simulieren."
Mit elastischen Elementen bauen
Effizient und doch detailliert - der Beitrag der Bickel Gruppe ist in diesem Sinne aus dem gleichen Garn gestrickt, aber er neigt sich einer anderen Anwendung zu. Krümmt man schlanke Balken, lassen sich damit spektakuläre Strukturen in Architektur, Möbel- und Produktdesign erzeugen. Mit einem neuen Algorithmus hat der Doktorand Christian Hafner einen effizienten Weg gefunden, Entwürfe digital zu erstellen, die sich durch das Biegen flacher Balken in gekrümmte Formen physisch umsetzen lassen. Die Herstellung von Balken in flachem Zustand minimiert dabei den Materialabfall und nutzt die natürliche Elastizität von Materialien wie Holz optimal aus.
Das Programm prüft, ob eine gewünschte Krümmung möglich ist und wie sie durch Veränderung der Balkenbreite erreicht werden kann. Mit seinem mathematischen und physikalischen Wissen bewies Hafner, dass Formen nur dann möglich sind, wenn die Wendepunkte ihrer Kurve auf einer Geraden liegen. "Ich habe ziemlich lange herumgespielt, bis mir klar wurde, dass die Gleichung eine einfache geometrische Beschreibung enthält", freut sich Hafner über die Eleganz des Theorems. "Es war eigentlich ein Glücksfall, dass das Problem eine so simple Lösung hat."
Außerdem zeigen die Forscher, wie die Balkenformen für eine einfache Herstellung optimiert werden können und wie der Einfluss der Schwerkraft ausgeglichen werden kann, um die gewünschte Form beizubehalten, ohne den Algorithmus zu verlangsamen. Ein weiteres Merkmal des Programms ist die Fähigkeit, ein instabiles Design durch eine leichte Anpassung seiner Form zu stabilisieren. Die Konstruktion bleibt standfest, wo sie zuvor in eine andere Form gesprungen wäre. Mit Hilfe von 3D-Drucken und Karton bauten die Wissenschafter dann die simulierten Ergebnisse nach und bestätigten deren Stabilität experimentell. In Zukunft möchte Hafner seine Arbeit auf drei Dimensionen ausdehnen. Dort können sich Träger in verschiedene Richtungen biegen und verdrehen, wodurch faszinierende neue Möglichkeiten für Baukonstruktionen entstehen.
Publikationen:
Georg Sperl, Rahul Narain, und Chris Wojtan. 2021. Mechanics-aware Deformation of Yarn Pattern Geometry. ACM Transactions on Graphics 40(4) (SIGGRAPH 2021). DOI: 10.1145/3450626.3459816
Christian Hafner, und Bernd Bickel. 2021. Design Space of Plane Elastic Curves. ACM Transactions on Graphics 40(4) (SIGGRAPH 2021). DOI: 10.1145/3450626.3459800
Projektförderung:
Das Projekt "Design Space of Plane Elastic Curves" wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union gefördert (Grant Agreement No 715767).
Medienkontakt: Kathrin Pauser kathrin.pauser@ist.ac.at +43 676 70 16 752