Smarte Bewegungstherapie
Gastbeitrag --- Ob beim Stiegen-Steigen, Gehen oder Trainieren: Immer mehr Menschen nutzen digitale Tools, um ihren Körper besser zu verstehen. Der digitale Fortschritt eröffnet auch in der Gesundheitsversorgung neue Möglichkeiten, insbesondere in der Prävention und Rehabilitation von Krankheiten.
In der Physiotherapie, zu deren Kernaufgaben die Förderung von Bewegung und Aktivität zählen, spielen diese Entwicklungen eine zentrale Rolle. Am Department Gesundheitswissenschaften der FH Campus Wien entwickeln wir aktuell im Projekt "Smarte echtzeit-feedbackunterstützte Trainingstherapie" das System "HomeSETT". Die MA23 der Stadt Wien fördert das Projekt. HomeSETT soll Patientinnen und Patienten nach einer Hüftgelenksoperation bei der Bewegungstherapie zu Hause unterstützen. Das System erhebt Bewegungsdaten individuell und analysiert diese, um den Nutzerinnen und Nutzern personalisiertes Feedback in Echtzeit zu geben und ihr Tele-Reha-Training individuell anzupassen.
Denn nach einer Hüftgelenksoperation ist gezieltes, korrekt ausgeführtes und regelmäßiges Bewegungstraining essenziell für die Rückkehr in den Alltag. Das Feedback von Physiotherapeutinnen und -therapeuten kann dabei effektiv unterstützen. Was aber, wenn keine Supervision durch Therapeutinnen und Therapeuten möglich ist? Dann können technologische Hilfsmittel, die in Echtzeit Feedback rückmelden, eine Ergänzung oder gar Alternative sein.
Referenzdatenbank zu Alltagsbewegungen gesunder Menschen
Technisch basiert HomeSETT auf einer Referenzdatenbank menschlicher Alltagsbewegungen. Für diese wurden Daten von 80 gesunden Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahren gesammelt. Während die Probandinnen und Probanden funktionelle Übungen, wie beispielsweise Kniebeugen, durchführten, wurden ihre Bewegungen mittels 3D-Bewegungsanalyse aufgenommen. Marker an unterschiedlichen Körperpartien visualisieren die Bewegungen als 3D-Modell und werten die Gelenksbewegungen aus. In einem weiteren Schritt wurden diese Daten einer detaillierten Analyse unterzogen. Anhand dieser Daten können Normbereiche für diese gemessenen Alltagsaktivitäten und funktionellen Übungen ermittelt werden. Diese Daten bilden die Grundlage für ein intelligentes Feedbacksystem, das mithilfe von Machine-Learning-Techniken individuell angepasste Rückmeldungen zum Training gibt.
Erste klinische Studie: motivierend und wirksam
Ein erster Prototyp von HomeSETT wurde gemeinsam mit dem Orthopädischen Spital Speising mit Patientinnen und Patienten nach einseitigem Hüftgelenksersatz in einer klinischen Studie getestet. Das Ergebnis: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfanden das System als motivierend und unterstützend. Zwar ist das System derzeit noch für die stationäre Verwendung daheim oder in der Physiotherapie konzipiert, doch wir arbeiten bereits an mobilen Lösungen.
Digital und datenschutzkonform
Natürlich drängen sich in diesem Zusammenhang auch ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf: Wer hat Zugriff auf die hochsensiblen Gesundheitsdaten? Wie wird die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer geschützt? Wir begegnen diesen Fragen mit einem klaren Fokus auf Datenschutz. Das System funktioniert vollständig offline, anonymisiert die Daten, indem es lediglich Koordinaten des biomechanischen Modells speichert und entspricht DSGVO-Vorgaben.
Das Projekt SETT zeigt, dass die digitale Vermessung des Menschen – verantwortungsvoll eingesetzt – neue Wege in der physiotherapeutischen Therapie und Prävention eröffnet. Wenn evidenzbasierte Bewegungserfassung, personalisierte Rückmeldung und datenschutzkonforme Technik zusammenwirken, können sie Menschen nach medizinischen Eingriffen nachhaltig stärken.
Zur Person
FH-Prof. Klaus Widhalm, MSc ist Physiotherapeut, er lehrt im Bachelorstudium Physiotherapie sowie im Masterstudium Health Assisting Engineering an der FH Campus Wien, wo er auch das Bewegungslabor leitet. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Themen Bewegungskontrolle, degenerative muskuloskelettale Symptomatiken und Motor-Re-Education. Unter seiner Leitung wurden an der FH Campus Wien bereits mehrere erfolgreiche und thematisch relevante Projekte in Forschung und Entwicklung umgesetzt.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.