Verhalten von Menschenmassen: Analyse-System entwickelt
Mit der Größe von Veranstaltungen steigen die Ansprüche an die Organisatoren, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der Besucher gewährleistet bleibt. Heimische Forscher haben nun ein System entwickelt, mit dem aufgrund von Bildern der Menschenmenge aus der Vogelperspektive, darauf geschlossen werden kann, wo sich möglicherweise kritische Situationen ergeben, die sich zu Massenpaniken ausweiten könnten. Ein Prototyp der Entwicklung ist bereits fertig, die Wiener Technologiefirma "Frequentis" arbeitet nun an der Markteinführung, wie es bei der Vorstellung des Projekts in Wien hieß.
Für Massenpaniken gibt es meist nicht einen isolierten Auslöser. Viel häufiger baut sich in einer Menschenmenge aufgrund der Tatsache, dass an bestimmten Stellen zu viele Leute in eine Richtung drängen, Druck auf. Wird dieser Druck zu groß, entlädt er sich in Form von "Schockwellen", die sich ausbreiten, was dazu führen kann, dass die Panik große Teile einer Menge erfassen kann, wie der am "EVIVA"-Projekt beteiligte Forscher Helmut Schrom-Feiertag vom Austrian Institute of Technology (AIT) erklärte.
Veränderungen in Richtung und Geschwindigkeit
Der Schlüssel zur Früherkennung solcher Entwicklungen liegt darin, Veränderungen in Richtung und Geschwindigkeit der Bewegungen innerhalb der Menge zu erkennen und darüber Bescheid zu wissen, wie viele Menschen sich auf einer bestimmten Fläche aufhalten. Dirk Helbing, Professor für Soziologie an der ETH Zürich, konnte etwa aufgrund nachträglicher Beobachtungen von Videos, die kurz vor einer großen Massenpanik 2007 in Mekka aufgenommen wurden, durch die Analyse dieser Faktoren bereits etwa 20 Minuten vor der Eskalation Hinweise auf die Panik finden, so Schrom-Feiertag.
In dem von Alexander Almer von Joanneum Research geleiteten und im Rahmen des Sicherheitsforschungs-Förderprogramms "KIRAS" durchgeführten Projekt setzten die Wissenschafter daher auf Luftbilder, die von Kleinflugzeugen oder Helikoptern kommen. Hier gilt das Prinzip, "je steiler, desto besser", so Almer. Der Grund liegt darin, dass es bei Aufnahmen aus der Vogelperspektive zu weniger Überschneidungen auf den Bildern kommt. Je flacher der Winkel, umso schwieriger wird es, zwischen Personen zu unterscheiden - die Schätzung der Personenanzahl wird ungenauer. Daten über einzelne Personen zu sammeln, sei dezidiert nicht das Ziel des Projekts gewesen, wie Almer betonte.
Aus Informationsvielfalt filtern
Auf besonders großen Veranstaltungen, wie etwa dem Wiener Donauinselfest, gebe es mittlerweile sehr viele Kameras. Das Problem sei vor allem, aus dieser Vielzahl an Informationen die Wichtigen herauszufiltern. Das System kann Bilder aus normalen, optischen Kameras sowie Thermalaufnahmen verwerten, mit denen auch noch Informationen gesammelt werden können, wenn es dunkel wird. Die neue Technologie filtert die Bewegungsdaten heraus und gibt den für die Sicherheit auf der Veranstaltung zuständigen Personen automatisch Hinweise darauf, wo eine kritische Situation auftreten könnte. Der Einsatzleiter kann dann auf aktuelle Bilder von dem jeweiligen Ort zugreifen und einschätzen, ob man mit Lautsprecherdurchsagen eingreifen oder Einsatzpersonal dorthin schicken sollte.
Anfang 2013 wurde "EVIVA" abgeschlossen, etwa 1,6 Mio. Euro wurden insgesamt investiert. Das Ergebnis ist ein einsatzfähiger Prototyp, dessen Weiterentwicklung aber noch vorangetrieben wird. So brauche das System momentan noch zwischen zwei und drei Minuten für die Verarbeitung und Aufbereitung der Daten. Es sei aber denkbar, alles so zu optimieren, dass es das zukünftig in etwa 30 Sekunden schafft. Seit Projektabschluss hat der Industriepartner "Frequentis" weitere 400.000 Euro in die Weiterentwicklung gesteckt, hieß es seitens des Unternehmens.
Service: Video zum Forschungsprojekt "EVIVA" unter: http://www.youtube.com/watch?v=HD7FRMMOsqA.