Wie Tropenpflanzen zu ihren Bestäubern finden
In tropischen Wäldern sind nicht nur Bienen und Nachtfalter, sondern auch Kolibris, Fledermäuse und Nagetiere für die Bestäubung von Pflanzen zuständig. Botaniker:innen der Universität Wien haben anhand einer in Südamerika endemischen Pflanzengruppe erforscht, wie es im Zuge der Evolution zu einem Wechsel der bestäubenden Tiere kommt und wie sich die Pflanzen daran anpassen. Dabei spielt das vorherrschende Klima eine wichtige Rolle, wie ihre Ergebnisse zeigen.
Ein Großteil der Blütenpflanzen ist für ihre Fortpflanzung auf Tiere angewiesen, die die Bestäubung übernehmen. Während in Europa Insekten wie Bienen und Nachtfalter diesen Job erledigen, helfen in den Tropen unter anderem auch Kolibris, Fledermäuse und Mäuse bei der Verteilung des Pollens. Die evolutionäre Anpassung einer Pflanzenart an eine Bestäubergruppe kann dabei starke Auswirkungen auf Aussehen und Gestalt der Pflanzen haben. Form und Farbe der Blüten sowie Lockmittel und Belohnungen für die Bestäuber differieren. Eine nicht ganz unumstrittene Hypothese geht von bestimmten Merkmalskombinationen aus - etwa, dass von Vögeln angeflogene Blüten oft rot, geruchslos und nektarreich, von Nachtfaltern besuchte Blüten dagegen weiß, duftend und nektararm sind. In der Forschung spricht man in diesen Zusammenhängen auch von Bestäubungssyndromen.
Auf diese Anpassung der Blüten an ihre Bestäuber und mögliche Bestäuberwechsel durch veränderte Umweltbedingungen haben sich Jürg Schönenberger und Agnes Dellinger von der Universität Wien in einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt konzentriert. Die Botaniker:innen nahmen dabei eine bestimmte Gruppe tropischer Pflanzen in den Fokus. "Viele Forschungsgruppen in der Bestäubungsbiologie arbeiten in Europa und Nordamerika. Wir haben uns dagegen auf eine rein tropische Pflanzengruppe konzentriert, über die noch wenig bekannt ist, und an der sich die evolutionären Mechanismen gut studieren lassen", erklärt Schönenberger.
Büsche, Sträucher, Bäume und Lianen
Die wissenschaftliche Bezeichnung der untersuchten Pflanzengruppe lautet Merianieae. Sie gehört zur großen, weltweit annährend 6000 Arten zählenden Familie der Schwarzmundgewächse. Die Merianieae, benannt nach der 1647 geborenen deutschen Naturforscherin Maria Sibylla Merian, ist nur in Südamerika beheimatet. "Die etwa 300 Arten dieser Gruppe umfassen Sträucher, kleine Bäume und Lianen, die in den Regenwäldern des Amazonas, mehr noch aber in den kühlen Nebelwäldern der Anden beheimatet sind", erklärt Dellinger. "Die Blüten der verschiedenen Spezies sind sehr vielfältig. In tiefen Lagen herrschen kleine weiße Blüten vor, in den Bergen sind sie oft groß und rot oder pink."
Dementsprechend unterschiedlich ist auch ihre Spezialisierung auf Bestäuber. "Die meisten Spezies nutzen zwar Bienen und die - auch bei uns verbreitete - Vibrationsbestäubung, bei der die Bienen durch eine vibrierende Bewegung den Pollen aus der Pflanze lösen. Bei den Merianieae hat die Evolution aber dafür gesorgt, dass ein Teil der Arten die Bestäubergruppe hin zu Vögeln, Mäusen und Fledermäusen gewechselt hat", schildert Schönenberger. "Das macht diese Gruppe für unsere Forschung so interessant."
Feldforschung in den Nebelwäldern der Anden
Ein großer Teil des Projekts bestand aus Feldforschungen in Ecuador und Costa Rica. "Es ging darum, die verschiedenen Pflanzenspezies zu finden, zu untersuchen und zu beobachten", erläutert Dellinger. "Wir konnten im Zuge der Expeditionen 30 Arten vor Ort dokumentieren." Inklusive der Leihgaben von konservierten Blüten aus bestehenden Sammlungen konnten morphologische Daten, also Daten über Form und Struktur der Blüten, von 140 Spezies gesammelt werden. Zum Teil wurde die DNA der Pflanzen extrahiert, um ihr Verwandtschaftsverhältnis zu bestimmen. In einzelnen Experimenten wurden Exemplare sogar von Hand bestäubt.
Bestehenden Theorien zufolge passt sich eine Pflanzenart im Verlauf ihrer Evolution an die für sie effizienteste Bestäubergruppe an. Die Auswertungen der gesammelten Daten zu den Merianieae zeigen, dass diese Anpassung stark vom vorhandenen Klima geprägt ist. Oft ist die Höhenlage ausschlaggebend: "In den warmen und trockenen Klimazonen im Tiefland, aber auch in sonnigen und windgeschützten Lagen weiter oben ist die Bienenbestäubung vorherrschend. In den Berg- und Nebelwäldern kommen dagegen sehr oft Kolibris, aber auch andere Wirbeltiere zum Zug", skizziert Dellinger. "Gerade in Gegenden mit hoher Feuchtigkeit sind wenige bienenbestäubte Arten zu finden." Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass auch der Klimawandel Einfluss auf dieses Gefüge hat - hier bedarf es allerdings noch weiterer Forschung.
Belohnung für Bestäuber als wichtiges Kriterium
Das Bestehen von Bestäubungssyndromen - also das Einhergehen der Bestäubungsgruppen mit bestimmten Pflanzenmerkmalen - konnten die Botaniker:innen grundsätzlich bestätigen. "Die Pflanzenmerkmale, die die Syndrome bei den Merianieae charakterisieren, sind allerdings sehr spezifisch. Wir konnten etwa sehen, dass hier rote Blüten nicht, wie man annehmen könnte, mit Kolibribestäubung und weiße Blüten nicht mit Nachtfalterbestäubung einhergehen", erklärt Dellinger. "Im Gegenteil: Die Farbe scheint bei allen Schwarzmundgewächsen kein relevantes Merkmal zu sein. Dafür stellte sich die Bestäuberbelohnung, die die Tiere beim Besuch der Pflanze erhalten, als wichtiges Kriterium heraus. Bienen werden etwa mit Pollen belohnt, Kolibris, Fledermäuse und Mäuse mit Nektar und Sperlingsvögel mit Futterkörpern, die kleinen Luftballonen gleichen." Die Anpassung der Blütenorgane an eine neue Bestäubergruppe kann zudem relativ schnell gehen - schneller als die evolutionäre Entwicklung der Pflanze als Ganzes vermuten ließe.
Künftig wollen die Botaniker:innen die Forschung noch erweitern und die gesamte Familie der Schwarzmundgewächse in den Blick nehmen. Dellinger: "Die Familie ist überall in den Tropen zu finden. Wir möchten herausfinden, ob sich die Erkenntnisse zu den Bestäubungsmechanismen sowie zu dem klima- und höhenlagenabhängigen Bestäuberwechseln bei den Merianieae auch auf die Populationen im restlichen Südamerika, in Afrika und Südostasien übertragen lassen."
Zur Person
Jürg Schönenberger ist als Professor für Strukturelle Botanik am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien unter anderem auf die Analyse von Struktur und Funktion der Blüten spezialisiert. Frühere Stationen seiner Karriere waren die Universität Zürich, das Schwedische Museum für Naturgeschichte in Stockholm, die Universität Stockholm und die University of Wisconsin-Madison in den USA. Seine Kollegin Agnes Dellinger ist Assistenzprofessorin mit Fokus auf Bestäuberwechsel, Blütenevolution und Blütendiversität. Vor ihrem derzeitigen Engagement an der Universität Wien war sie Postdoc-Forscherin an der University of Colorado in den USA. Das Projekt „Bestäuberwechsel und Blütenevolution in den Merianieae“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 300.000 Euro unterstützt.
Publikationen
Dellinger A. S., Paun O., Baar J., Temsch E. M., Fernández-Fernández D., Schönenberger J.: Population structure in Neotropical plants: Integrating pollination biology, topography and climatic niches, in: Molecular Ecology, 31, 2264–2280, 2022
Dellinger A. S., Pérez-Barrales R., Michelangeli F. A., Penneys D. S., Fernández-Fernández D. M., Schönenberger J.: Low bee visitation rates explain pollinator shifts to vertebrates in tropical mountains, in: New Phytologist, 231, 864–877, 2021
Dellinger A. S., Chartier M., Fernández-Fernández D., Penneys D. S. et al.: Beyond buzz-pollination – departures from an adaptive plateau lead to new pollination syndromes, in: New Phytologist, 221, 1136–1149, 2019
Dellinger A. S., Scheer L. M., Artuso S., Fernández-Fernández D. et al.: Bimodal Pollination Systems in Andean Melastomataceae Involving Birds, Bats, and Rodents, in: The American Naturalist 2019
Rückfragehinweis: Ingrid Ladner Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at/