Klima-Glossar: Anthropozän
Der Begriff Anthropozän beschreibt ein Zeitalter, in dem der Mensch in dominierendem Ausmaß die ökologischen, geologischen und klimatischen Systeme des Planeten bestimmt. Das Kunstwort setzt sich aus den griechischen Wörtern "anthropos" für "Mensch" und "kainos" für "neu" zusammen. Das Konzept hat Anhänger in den Sozial- und Naturwissenschaften, einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter sehen darin gar eine neue geologische Epoche.
Über den umfassenden Einfluss der Spezies Mensch auf Klima, Ökosysteme und Biodiversität besteht weitgehend Einigkeit in der Wissenschaft. Seit Beginn der Industriellen Revolution, und insbesondere ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zeigen sich die Auswirkungen des Menschen auf den Planeten immer deutlicher, etwa in Form von stark gestiegenen (CO2-)Emissionen, globaler Erwärmung, Verlust der Artenvielfalt oder häufigeren und extremeren Unwettern und Hitze.
Die "anthropogene", also menschengemachte, Klimakrise ist unbestritten. Für einige Forscherinnen und Forscher sind die weitreichenden Auswirkungen der Spezies Mensch auf den Planeten Grund genug, das Anthropozän auch zu einer geologischen Epoche zu erheben. Die geologische Zeitrechnung gliedert sich in Äonen, Ären, Perioden und Epochen und rekonstruiert die Entstehung der Erde anhand der verschiedenen Schichten im Gestein. So entstand ein hierarchisches System. Dabei umfassen Äonen die längsten Zeitabschnitte und Epochen die kürzesten. Die Zeitskala ermöglicht es, geologische Funde rasch erdgeschichtlich einzuordnen.
Holozän ist die bei weitem kürzeste geologische Epoche
Die gegenwärtige geologische Epoche, das Holozän, dauert bisher seit 11.700 Jahren an. Es ist damit die bei weitem kürzeste geologische Epoche. Den Beginn einer Epoche markiert ein sogenannter "Global Stratotype Section and Point", oder "Golden Spike" (englisch für "Goldener Nagel"), eine Art Referenzpunkt in der Gesteinsschicht. Im Falle des Holozäns geht der Golden Spike mit der Erwärmung der Erde am Ende des Pleistozän einher. Das Holozän wurde 1969 als offizielle geologische Epoche akzeptiert, auch hier ging der Anerkennung eine lange Debatte voraus.
Spezialistinnen und Spezialisten diskutieren derzeit den Golden Spike für die erstrebte neue Epoche Anthropozän. Eine Möglichkeit wäre ein Beginn rund um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit gelangten Isotope in Sedimentschichten, die mit den ersten Explosionen von Atomwaffe bzw. den damaligen Kernwaffentests in Verbindung stehen. Die 1950er-Jahre markieren auch den Beginn der sogenannten "Great Acceleration" (englisch für "große Beschleunigung"), die eine dramatische Beschleunigung von sozioökonomischen und erdsystemischen Prozessen nach dem zweiten Weltkrieg beschreibt. Auch die Sesshaftwerdung des Menschen vor 12.000 bis 15.000 Jahren (Neolithische Revolution) oder die Industrielle Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts könnten den Beginn des Anthropozän markieren.
Über die Frage, ob das Anthropozän zur geologischen Epoche erhoben wird, sollen Wissenschafterinnen und Wissenschafter 2023 abstimmen, heißt es auf der Homepage der Internationalen Kommission für Stratigraphie (International Commission on Stratigraphy (ICS).
Unterschiedliche Ansichten zu Konzept Anthropozän
Für die einen ist das Konzept des Anthropozän und die Bestrebungen, es zu einer geologischen Epoche zu erheben, ein Versuch, den Einfluss des Menschen auf den Planeten zu betonen, das Ausmaß der Veränderung klarzumachen und die Verantwortung für die Klimakrise eindeutig auf der Spezies Mensch zu platzieren. Für einige Geologinnen und Geologen ist eine Erhebung zum geologischen Zeitalter hingegen überflüssig, da die geologische Zeitskala vor allem darauf abzielt, Millionen Jahre alte Gesteinsschichte ungefähr zeitlich einordenbar zu machen. Eine Erhebung zu geologischen Epoche wäre vor diesem Hintergrund vor allem ein symbolischer Schritt.
Scharfe Kritikerinnen und Kritiker sehen im Anthropozän eine künstliche Trennung von "Mensch" und "Natur". Demnach sieht das Konzept den Mensch nicht als Teil der Natur, sondern setzt ein Bild voraus, in dem die Natur auf der einen, und der Mensch auf anderen Seite steht. Laut dem Klimapolitik-Forscher Jeremy Baskin von der Universität in Melbourne werde der Mensch in seiner Bedeutung über die Natur gestellt und so Eingriffe in die Natur durch den Menschen als Antwort auf die Klimakrise legitimiert. Baskin verweist hier vor allem auf großflächige technologische Eingriffe, etwa Geoengineering.
Dabei handelt es sich um vorsätzliche Eingriffe in das Klimasystem mit dem Ziel, die globale Erwärmung abzubremsen. Am umstrittensten ist dabei etwa die Methode des "Solar Radiation Management" (SRM, Beeinflussung der Sonnenstrahlung), bei der Sonnenlicht mit Schwefelpartikeln mit Aerosolen reflektiert und so dessen Strahlung auf die Erde verringert werden soll.
Baskin sieht im Anthropozän kein wissenschaftliches Konzept sondern viel mehr die "ideelle Untermauerung" des beschriebenen Weltbildes. Tatsächlich müsse der Mensch aber als Teil der Natur gedacht werden, da die Klimakrise dem Menschen im gleichen Ausmaß schade wie dem Rest der Natur.